Klagelied eines Verkannten

(des Hintern).

[257] Obschon ich beständig unter Euch lebe, so bin ich doch nicht nach Würden von Euch erkannt, ich bin ein Opfer der Vorurtheile und des Undanks und seit meiner Geburt vom launenhaften Schicksal verfolgt.

In meinen früheren Jahren, als ich mich noch öffentlich zeigte, erfuhr ich viele Mißhandlungen, nachher wurde ich verurtheilt, vor den Augen der Welt zu fliehen, und erscheine seit Jahren nie ohne Maske.

Ich könnte mit dem Alter meines Geschlechtes prahlen, welches in's graue Alterthum hinaufreicht. Eine originelle Familienphysiognomie, die[258] sanfte eigenthümliche Bauart meines Mundes documentiren die Aechtheit meiner Abstammung zuverlässiger, als der beste Stammbaum.

Durch mich sitzen Könige auf dem Throne, – ich bin Zeuge jeder Schlacht, und wehe dem Heere, wo man mich dem Geschütze des Feindes Preis gibt. Ich bin das Organ, wodurch ehemals die Kriegsheere disciplinirt wurden und habe das Vorrecht, gleich den Granden erster Classe in Gegenwart des Königs bedeckt zu bleiben. An den höchsten Gerichten habe ich meine feste Stelle, und wenn auch bei den Abstimmungen (als Assessor sine voto) keine Aeußerung von mir begehrt wird, so muß doch Jeder anerkennen, daß auf mir die ganze Sitzung beruht.

Wohl weiß ich, daß mich Einige der Windmacherei beschuldigen, aber wer mich näher kennt, wird mir bezeugen, daß ich in dieser Hinsicht nur das Organ meiner Obern bin.

Fern von Prahlerei und Eigenlob, ziehe ich es vor, wenn ich mich möglichst geräuschlos äußern[259] kann, – ja ich liebe es selbst, wenn ich in diesem Falle der Kritik schnöder Recensenten entgehe. Prahlerei und Eigenlob stinkt, das war von jeher der Wahlspruch meiner Familie! Aber die Ungerechtigkeit der Welt zwingt mich, endlich die Bescheidenheit zu verletzen, – denn kaum sollte man es glauben, bei allen meinen Verdiensten schämt man sich meiner im öffentlichen Leben.

Niemand kann läugnen, daß ich ein sehr angenehmer Gesellschafter bin, denn Jedermann würde mich entbehren, – und wenn ich auch, da mein Beruf von jeher ernst und häufig sauer ist, weniger durch Witz selbst glänze, so bin ich doch die Ursache, daß Andre witzig werden und häufig der Gegenstand der interessantesten Conversation.

Ich bin der beste Kerl von der Welt, aber im Punkte der Ehre sehr kitzlich, und Niemand hat sich noch rühmen können, daß er mich bei der Nase herumgeführt habe. Ich bin im höchsten Grade verschwiegen, denn ohne davon zu reden, bin ich häufig Zeuge von stillen Freudenfesten,[260] die in meiner Nachbarschaft gefeiert werden, und wovon ich weiter keinen Genuß habe, als daß man ab und zu liebkosend meine Wangen streichelt.

Jeder Große geht, so lange ich mit ihm und seinem Diener allein bin, vertraulich mit mir um, und es wird dann sehr gut aufgenommen, wenn ich ein Wort frei von der Brust weg rede. Aber in Gegenwart eines Dritten bin ich zurückgesetzt, man kennt mich nicht, man hält es für unpassend, meinen Namen zu nennen, und rümpft die Nase, sobald ich meine Gegenwart nur leise merken lasse. Mit den größten Monarchen stehe ich in Verbindung, und doch hält sich der geringste Bettler für beleidigt, wenn ich ihn zu Gaste lade.

Ich correspondire mit allen Gelehrten in der Welt, und doch war noch keiner so artig, mir ein Buch zu dediciren, obschon ich als Beförderer der Literatur auf sehr viele Journale subscribire, im Verlauf der Zeit mir aber fast alle aneigne. Wollte ich den Mund schließen, wo blieben unsre[261] Morgen-, Moden-, Abend- und Amtsblätter, und vor Allem unsre Schöngeister, die von der Geburt an auf mich, ihren Pfleger, schauen?

Die Welt stürbe aus, wenn ich nur vier Wochen meine Functionen einstellte.

Ich begleite den Menschen von der Wiege bis zum Grabe und beweine oft mit blutigen Thränen die Thorheiten des männlichen Geschlechts, – trotz dem ist man ungerecht gegen mich – nur der Trost bleibt mir, daß selbst keiner meiner geheimsten, leisesten Seufzer ungerochen bleibt!

Anonym.

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 257-262.
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