XCIIII.

[95] 1. Ein freundliches auge zu mir wencken,

nach lust meines hertzen begier,

Wenn ich an die schönste gedencke,

ach Gott wer ich bey jhr.

Ist das nit ein freundlichs leben,

hertz, mut, und all mein sinn,[95]

die schönste, die ich hab auserlesen,

reicher Gott möcht ich bey ihr wesen,

sie liebet mich je lenger je mehr.


2. Wie schwer ist all mein leiden,

wenn ich nit bey jr bin,

Gefangen und gebunden,

hat sie das junge hertze mein.

Ist das nicht ein freundlichs leben,

hertz mut und all mein sinn,

die schönste die ich hab auserlesen,

in meines hertzen grunde,

redt ichs zu aller stunde,

ey wie möcht mir das gesein.


3. Kein mensch kan mich nit trösten,

wenn ich gantz trawrig bin,

Denn mir die hertz allerliebste mein,

leit stets in meinem sinn.

Sie ist es die ich meine,

mein hertz, mut, und sinne,

die liebe die ich zu jhr trage,

sol kein kleffer erfahren,

denn nur die liebste mein.


4. Was achte ich der kleffer zungen,

wenn sie mir und dir kein schaden thun,

Seit wir uns müssen scheiden,

setz deine gedancken darein,

Trab ich gleich über die heyde,

allzeit wil ich deiner erbeyten,

deßgleich thu widerumb gegen mir.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 95-96.
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