CXVII.

[131] 1. Ich weis mir ein edle keyserin,

sie ligt mir tag und nacht im sinn,

ich kann jhr nicht vergessen,

ich schlaff oder wach, thu was ich wöl,

sie ligt mir in meinem hertzen.


2. Die keyserin hett ein alten man,

daran wolt sie kein genügen han,

sie wolt sich selbs versorgen,

ein heimliche bulerin wolt sie sein,

wolt bulen unverborgen.[131]


3. Und das erhört ein junger knab,

er trat die gassen auf und ab,

gar heimlich und gar stille,

bis das er in schlaffkemmerlein kam,

da geschach jr beider wille.


4. Und da er in jr schlaffkemmerlein kam,

ein schneeweis hembdlein legt er an,

wie thu ich dir gefallen,

du magst mir ein edle keyserin sein,

du liebest mir ob allen.


5. Da es war umb die mitternacht,

da kam der edlen keyserin man,

für jr schlaffbet gegangen,

da fand er sein schönes frewelein,

mit schneeweissen armen umbfangen.


6. Die keyserin hett sich eins bedacht,

wie bald sie den knaben zum laden hinaus bracht,

wol in ein fliessend wasser,

sie schawet den knaben hinden nach,

jre äuglein gaben wasser.


7. Was weinst, was weinst mein keyserin,

darumb darffstu nit trawrig sein,

ich kan wol wasser schwimmen,

und da er wol in die mitte nein kam,

sein kunst wolt jhm mißlingen.


8. Und da er in die mitte nein kam,

Maria Gottes mutter die ruft er an,

Maria mit jrem kinde,

sie solt jm trewlich beystand thun,

wenn er kund nimmer schwimmen.


9. Und da er das gestadt naus kam,

ein schneeweis kleid leget er an,

trat hurtig uber die gassen,

der edlen keyserin für jr thür,

da jre brüder sassen.[132]


10. Da sprach der edlen keyserin man,

welcher teufel hat tragen daher,

ich sah dich nechten spate,

bey meth und auch bey külen wein,

bey meiner schönen frawen.


11. Ich glaub du seyest kein christenman,

das du dem frewelein solchs nachsagst,

was wiltu daraus machen,

und wer sich dem frewelein solches nachredt,

der leugt in seinem rachen.


12. Wolauff feins lieb mit mir davon,

du sichst das ich kein glück nit han,

man thut mirs nit vergünnen,

und wo ich uber die gassen gang,

das mich anscheint die sonne.


13. Wie kompts das ich kein glück mehr han,

und mich so gar keins wil an gahn,

das glück das thut sich meiden,

noch dennoch wil ich die keyserin nicht,

und wers aller welt ein leiden.


14. Und wer ists der dis liedlein sang,

ein reuters knab ist ers genandt,

er hats so frey gesungen,

der keyserin hat ers zu dienst gemacht,

mit freuden ist er davon kommen.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 131-133.
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