[72] Der himmlische Patron der Kirche zu Zwischenbühel, Sankt Koloman, ist ein »später Heiliger«, sein Tag fällt auf den dreizehnten Oktober. Da sich aber das Wetter in der ersten Hälfte dieses Monates meist leidlich anließ, so daß die Tanzlustigen sich im Freien, auf der Wiese hinter dem Gasthausgarten, herumtreiben konnten, wo eine große Scheuer zum Tanzboden umgestaltet war, so fand der Zwischenbüheler Wirt für die Gäste, die unter Dach bleiben wollten, sein Auslangen mit zwei Stuben, der gewöhnlichen Gaststube und seiner Wohnstube, die er für diesen Tag ausräumte; letztere nahm der Sternsteinhofbauer in Beschlag, der sich jede Kirchweih vor den »Unteren« sehen lassen wollte als einer, dem nichts zu gut und nichts zu teuer; ihm gesellte sich eine Schar »großer Bauern« von fern und nah, die ihn alle in seinem Hochmute unterstützten, wenn auch keiner unternahm, es ihm gleichzutun.
Einige unter ihnen hielten aber nicht nur dieses Unterfangen für zu ungeheuerlich, sondern verzichteten überhaupt darauf, auch nur in bescheidener Weise neben dem Sternsteinhofbauer glänzen zu wollen, fanden es ungleich angenehmer und nutzbringender, sich von ihm zechfrei halten zu lassen und nur, wie es Gästen eines solchen Wirtes zukam, dafür zu sorgen, daß »gehörig was draufginge«.
Darunter war einer, dessen Bescheidenheit fast der Tugend der Selbstverleugnung gleichkam, wenn man bedachte, daß gerade er es vermocht hätte, so tief in den Sack zu langen wie der Sternsteinhofer, und so wenig wie der befürchten mußte, die Finger leer herauszuziehen. Es war das ein langer, dürrer Mensch mit eingesunkener Brust, hohlen Wangen und tiefliegenden, unter buschigen Brauen hervorblitzenden, dunklen Augen, zwischen denen scharf eine Hakennase vorragte, die Lippen hielt er zusammengekniffen; wenn er sie öffnete und sprach, so sah es aus, als ob er seine Rede vorab auf ihren Geschmack prüfe. Das Feiertagsgewand, das er[72] trug, sah unsauber aus. Er hieß der Käsbiermartel, Martin war nämlich sein Taufname, und die andere Bezeichnung verdankte er der gewiß löblichen ökonomischen Eigenheit, mit einem Glase Bier und einem Stück Käse vor sich bei stundenlangen Zechgelagen auszuharren; für diesmal aber, wo es galt, dem, was der Sternsteinhofer »auftragen und vorfahren« ließ, alle Ehre anzutun, kam er seiner Gastpflicht in solchem Maße nach, daß öftere Male am Tische die zarte Äußerung laut wurde: »Ja, Käsbiermartel, wo frißt und saufst denn du nur alls das hin?« Daraufhin blickte er von seinem Teller auf, mit arbeitenden Backen und dem überlegenen Lächeln eines Mannes, dem es gelungen, plötzlich einen schönen, bisher unbeachtet gebliebenen Zug seines Charakters zu enthüllen.
Der Käsbiermartel war nicht ohne Begleitung von Schwenkdorf, wo er hauste, auf den Zwischenbüheler Kirchtag herübergefahren, er hatte sein einziges Kind, die etwa zwanzigjährige Sali mitgebracht, welche nun mit dem Toni vom Sternsteinhofe draußen im Wirtshausgarten saß.
Die Dirne war hoch aufgeschossen, so daß sie trotz einer gewissen Fülle etwas derbknochig aussah. Die schwarzbraunen, dickhaarigen Scheitel, die starken, geschwungenen Brauen und die gebogene Nase – glücklicherweise nur ein schwaches Abbild der väterlichen – verliehen ihrem länglichen Gesichte den Ausdruck der Willensstärke, der aber durch die fast schüchternen Blicke ihrer dunkeln, in einem unbestimmten bläulichen Glanze schwimmenden Augen wieder wettgemacht wurde. Rosalie schien nicht gewohnt, sich unter fröhlichen Menschen zu bewegen, sie sah deren lärmend lustigem Treiben zugleich verschüchtert und neugierig zu; sie schien nicht zu wissen, was sie, als reiche Bauerstochter, für Respekt von Seite ihres Tänzers beanspruchen konnte, auch nicht, was die ärmste Dirne in solchem Falle für Aufmerksamkeiten fordern würde; schweigend saß sie an der Seite des wortkargen Burschen, und wenn er sie an der Hand aufzog und sagte: »Springen wir auch mal herum«, oder ihr[73] Glas füllte und ihren Teller mit Backwerk häufte, so dankte sie ihm mehr mit Blicken als mit Worten. Sie dachte wohl, es sei echt männisch, sich wenig mit einem Weibe abzugeben.
Den Toni vom Sternsteinhof nahm es zwar wunder, daß Käsbiermartels Sali es nicht rügte, wie mürrisch und verdrossen er neben ihr sitze, aber er war es in die Haut hinein zufrieden; er sorgte nur, seiner Verstimmung so weit Herr zu bleiben, daß niemand dem Grund derselben auf die Spur zu kommen vermöge. Er bemühte sich, die gleichgültigste Miene von der Welt beizubehalten, während er Helene nicht aus den Augen ließ, wenn sie plaudernd mit dem Holzschnitzer über den Rasen dahinschritt oder beim Tanze in den Armen des unbeholfenen Knirpses sich »gering« machte, damit der sie herumschwenken oder in die Höh lüpfen konnte; verlor sie sich aber ganz in dem Gewühle, so daß sie nicht mehr zu sehen war, dann befiel den Toni eine Unruhe, er machte einen langen Hals, rückte auf dem Sitze hin und her, erhob sich wohl auch ein und ein anderes Mal.
Eben begann wieder der Baß zu schnurren, die Trompete zu schmettern und die Klarinette zu gellen, die Paare traten zum Tanze an; der Kleebinder Muckerl hatte diesmal die Matzner Sepherl aufgezogen. Helene kam langsam über die Wiese dahergeschritten bis an den Zaun, der diese von dem Garten schied, sie warf einen Blick herüber, dann kehrte sie sich ab, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Gatter und stützte den vollen Arm auf einen Pfahl. Sie hielt das Gesicht dem Tanzboden zugewendet.
Toni erhob sich, er winkte der Dirne an seiner Seite mit der Hand zu und sagte: »Bleib nur, ich will bloß ein kleins wengerl schaun.« Er ging auf den Zaun zu und blieb zwei Schritte hinter Helenens Rücken stehen. »Leni«, rief er halblaut.
Durch eine kaum merkliche Bewegung des Kopfes zeigte die Dirne, daß sie nach ihm hinhorche.
»Ich bitt dich«, fuhr er fort, »schau dir nur die schmerzhafte Muttergottes an, die s' mir da an d' Seiten gsetzt haben.«[74]
Die Dirne griff spielend die Schürze auf und führte sie gegen das Gesicht, darunter die hohle Hand zu bergen, die sie vor den Mund legte. »Das is gut fürn Unterschied«, flüsterte sie.
»Wenn man ihr dein Halbmandel quer übern Schoß leget, wär 's Karfreitagbild fertig; zun bußfertigen Gedanken-Erwecken taugen die zwei.«
Helene kicherte unter der Schürze.
»Noch eins, Leni. Komm morgen!«
»Werd nit können.«
»Es is um nix Grings.«
»Werd halt schaun.«
»Bhüt dich Gott.«
Die Dirne neigte den Kopf, während der Bursche sich entfernte, und ging dann so bedächtig, wie sie gekommen, nach dem Tanzboden zurück.
Als der Toni an den Tisch trat, sah er zwei Gestalten, eine dicke und eine dünne, seinen Vater und den Käsbiermartel, in dem Hausflur erscheinen und sich nach dem Garten wenden, rasch bot er der Sali die Hand. »Springen wir wieder mal mit herum«, rief er und zog das Mädchen hastig mit sich fort; als die Alten am unteren Ende des Gartens eintraten, eilten die Jungen just zu seinem oberen hinaus.
Der Käsbiermartel zeigte mit seinem knöchernen Arm nach dem Paare. »Schau, wie schön sauber sie mit ihm Schritt halt«, schmunzelte er. »Ich sag dir, sie mag ihn leiden.«
»Wundert mich nit, is auch ein sauberer Bub«, sagte der Sternsteinhofbauer.
»No, so uneben is die Dirn just auch nit, daß s' ihm zwider sein müßt!«
»Bewahr.«
»Also gebn wir s' einmal zsamm, wie wir's schon seit langem übereins worden sein!«
»'s hat ja noch Zeit.«
»'s hat Zeit! 's hat Zeit! Bei dir hat's Zeit! Die Dirn is mannbar, sag ich dir, warum sollt s' d' schönst Zeit verpassen[75] und überständig werdn, wie wann s' ein arms Waiserl wär, das nix nit mit ins Haus brächt wie 'n gflickten Kittel, den s' am Leib tragt?!«
»Ich weiß ja, was s' mitkriegt, 's is wohl schon a Weil her, daß d' mir's gsagt hast, aber ich hab's noch nit vergessen.«
»Is ja recht, wann dir's gmerkt hast. Was ich biet, das biet ich, und dadrauf kannst mich an der Stell beim Wort nehmen; halt aber du nur mit dem deinm nit ewig lang zruck. Bei gar zviel Zeit zum Umschaun fänd sich am End doch was anders!«
»Das fürcht ich nit. Ich kenn dich z' gut. Du bist af dein Vorteil. Du neidst 'm Gulden seine hundert Kreuzer. Von alln, die d' mir gleichstelln kannst, habn die ein'n nur Dirndeln, die andern zwei oder mehr Bubn, unter die 's Ganze einmal aufteilt wird. Stimmt mein Rechnung?«
»Freilich stimmt s'! Freilich stimmt s'! Aber schau, könnt sich leicht a bessere Glegenheit schicken wie 's nächst Frühjahr, wo s' dein Sohn zur Abstellung einberufen werdn, daß mer 'n gleichzeit von Soldaten frei und zun Bauern macheten?! Daß ich 'n von Militari losbring, das laß mir über, ich weiß mehr als ein Weg dazu, du brauchst nur d' Kosten af dich z' nehmen.«
»Das weiß ich, daß du s' nit tragen wirst, und du weißt, daß ich einer bin, wo's kein Haus kost, dem 's af kein Hütten ankommt! Aber dös is unbillig, daß ich mein Hof meinm schweren Geld nachwerfen sollt, um mir ein Herrn z' setzen.«
»No ja, du bist halt unbegnügsam, du hast dir noch allweil nit gnug herrisch gtan af der Welt! Wann ich ein Bubn hätt, ich säß schon lang in der Ruh.«
»Du hast aber kein, und wenn du dein Dirn ausm Haus gibst, bist du nur noch freierer Herr drauf! Dös is ein ungleicher Handel zwischen uns, und der verlangt sein Besinnen, und Besinnen, daß 's ein nit reut, braucht sein Zeit; darum laß ich mich nit drängen. Nun is gnug dadavon gredt, schaun wir lieber ein bissel tanzen zu.«[76]
»Gut, gut, schaun wir zu. – – Aber 's Drängens wegen is's mir nit gwest, daß d' glaubst. Ich wollt dich nit drängen.«
»Das würd dir auch viel helfen, ausghungerter Zsammscharrer«, murrte der Sternsteinhofbauer, indem er vorauf aus dem Garten schritt.
»Dich spann ich doch noch in Karren, angfressener Geldvertuer«, brummte der Käsbiermartel, hinten nachtrabend.
Als am nächsten Nachmittage Helene dem toten Walde zuschritt, trieben schwere, graue Wolken vor einem kalten Winde einher. Es begann zu »gräupeln«. In einem Augenblicke schien aller Raum zwischen Himmel und Erde allein von den durcheinanderfegenden und -wirbelnden weißen Kügelchen erfüllt; das währte einige Minuten, dann wurde ebenso plötzlich die Luft wieder hell, eine mürbe, flaumige Schichte über dem Wege dämpfte selbst den Hall der Tritte, und die Stille, die rings geherrscht hatte, dünkte dem Gehör nun lautloser wie zuvor.
Das Mädchen zog erschauernd das Tuch an sich. Auf der kurzen Strecke, die es noch bis ans Ziel zurückzulegen hatte, kam ihm der Bursche entgegen.
Er bot zum Gruße die Hand. »Im Wald hat's mich nit länger gelitten«, sagte er, »ich mußt doch schauen, ob du bei dem argen Wetter kämst. Ich dank dir, daß d' dich nit hast abhalten lassen. Es is zu unfreundlich, als daß ich dich lang da verhalten möcht; ich werd's kurz machen. D' schlimme Jahrzeit is vor der Tür, und bald werden mer heraußen im Freien uns nimmer zusammfinden können; daß wir aber 'n ganzen langen Winter über uns nur von fern und wie fremd begegnen sollten, ohne ein vertraulich Beinandsein, dazu kann ich mich nit verstehen, und das kannst auch du nit verlangen.«
Helene sah vor sich hin auf den Boden, sie hob die Schultern. »Was is da zu machen?« sagte sie leise.
»Das werd ich dir sagen. Dein Mutter soll ein gscheit Weib sein, das ein Einsehen hat; nit wie andere, die sich, alt, nimmer[77] erinnern mögen, daß sie selber auch einmal jung gwest wären, und nun 'n Verliebten kein frohe Stund gönnen und denselben alles für Sünd und Schand aufrechnen! Mein Vader, der halt wieder 's Ganz für a Dummheit, und vor ihm muß ich wohl unser Sach gheimhalten, bis ich ihm einmal a nachgiebige Stund ablauer, denn käm er früher dahinter, so möcht uns das leicht 's ganze Spiel verderben, aber vor deiner Mutter hab ich mich bei meinm ehrlichen Absehen nit z' scheuen; der könntst wohl alls Unsere anvertrauen, und was kann s' nachher viel dagegen haben, wann ich von Zeit zu Zeit bei euch einsprech? Da sein wir weit sicherer wie unter freiem Himmel. In euerer Hütten sucht mich gewiß neamand.«
»Geh, was du einm zumutst«, schmollte die Dirne. »Da müßt ich mich ja frei z' Tod schämen, wann ich ihr das beichten sollt! Was würd sie sich denn denken von mir, wo ich s' bisher hab glauben gmacht, mir vermöcht's keiner anzutun und ich ließ 'n Kleebinder Muckerl nur aus Gnaden neben mir herlaufen?«
»Was sie sich denken würd? Daß du hinter einm Unlieben seinm Rücken einm Liebern nachtrachtst, wie sie vielleicht selber einmal getan hat, das würd sie sich denken. Dann müßt ja auch dein Mutter kein Kopf für ihrn Vorteil und kein Herz für dich haben, wann s' dich nit lieber wie da herunten als Herrgottlmachersweib obn afm Sternsteinhof als Bäurin sitzen sähet!«
»Mein lieber Toni, da hat's wohl noch ein Weil hin!«
»Wir dürfen uns d' Weil nit lang werden lassen, eben drum müssen wir uns öfter sehen und reden können, dadrüber vergeht Zeit und schickt sich Glegenheit und fördert mit einmal, eh wir's denken und ohne Zutun, 'n rechten Ausgang.«
»Ohne Zutun? Das mein ich wohl nit.«
»Und ich auch nit so, daß ich alls 'm leidigen Zufall überließ. Gäb doch der Herrgott sein Segn 'n Feldern umsonst, wann der Bauer kein Saat streuen möcht. Jeds von uns muß sein Teil dazutun, das versteht sich, wie d' Reih an mich[78] kommt, bin ich gleich dabei; jetzt ist's an dir, red mit deiner Mutter, sonst bleibt uns kein Rat.«
»Ich werd reden. Wann kommst?«
»Übermorgen, wann's schon schön finster sein wird.«
»Is recht.« Sie reichte ihm die Hand zum Abschiede.
Er hielt sie an derselben zurück. »Gelt, aber dein Mutter wird da wohl schon übers erste Verwundern hnaus sein, daß s' kein Aufhebens und kein Getue macht, wann ich komm?«
»Mein Mutter wundert sich überhaupt nit bald über was.«
»Weil s' halt a gscheit Weib is.«
»O ja, in Sachen, wozu d' kein Verstand brauchst.«
»Ei, du mein«, seufzte besorgt der Bursche, »mir scheint gar, ihr habt euch zertragen.«
»'s kommt öfter vor; aber sorg nit, tu ich auch selten, wie sie will, so tut sie doch meist, wie ich will. Komm nur. Husch! Wie's aber kalt is, ich mach, daß ich heimfind. Bhüt dich, Toni.«
Sie lief von dem Burschen weg, und der blickte ihr, sich in den Hüften wiegend, nach, solange er noch einen Zipfel ihres Gewandes im Winde flattern sah.
In der letzten Hütte war das Licht erloschen. Die alte Zinshofer lag des Schlafes gewärtig, da trippelte Helene an deren Bett heran und setzte sich an den Rand desselben zu Füßen der Mutter.
»Ich hätt dir was zu sagen.«
»Muß das heut noch sein?« murrte die Alte.
»Weil ich just d' Kurasch dazu hab, möcht ich's nit aufschiebn.«
»Muß was Saubers sein, was d' z' sagen a Kurasch brauchst!«
»Wirst's ja hörn.«
»No, so mach schnell; brich mir nit vom Schlaf ab mit deine Dummheiten.«
»Übermorgen, wenn's finstert, werdn wir ein Besuch kriegn.«
»Was für 'n?«[79]
»'n Toni vom Sternsteinhof.«
»'n Toni vom Sternsteinhof? Was will uns der?«
Die Dirne kicherte verlegen und spielte an der Bettdecke. »Wie d' fragen magst!« flüsterte sie. »Gern hat er mich halt.«
»So, das is freilich 's Neuste! Wann d' aber glaubst, ich würd da ruhig zuschaun und mich etwa gar nit getraun, dem Bubn d' Tür z' weisen, weil er der Sohn vom Sternsteinhofbauer is, und mich da sowenig einmengen, wie ich mich wegen 'm Kleebinder-Muckerl eingmengt hab, da dürftst dich doch irren! Zu was denn eigentlich, du dumms Ding, gstehst mir dös ein? Um mein Rat is dir doch nit, dem hast nie nachgfragt, hast allweil gtan, wie d' wolln hast, und könntst's hitzt auch, wann dir just an so einer Liebschaft fürs gache Glück glegn is, nur verlauten darf nix davon; aber unter mein Augen laß ich dich nit die Henn mit zwei Hahnen spieln, daß d' nachher, wann d' allein afm Mist bleibst, leicht mir vor 'n Leuten d' Schuld gäbst? Ah, nein!«
»Ich denk, ich war da doch gscheiter, als mich d' Mutter halt. Du dankst Gott, wann ich dich af dem Mist, worauf ich z' sitzen komm, auch dein Körndel scharren laß! Will er mich, so kann er mich nur als Bäurin afm Sternsteinhof habn, und das will er.«
»Du Narr du, af so Reden gibst du was?«
»Da is nit von Reden d' Red, das hab ich schriftlich.«
»Schriftlich?!« Die Alte erhob sich mit einem Ruck und setzte sich im Bette auf. »Schriftlich, sagst? Jesus, nein! Das mußt mir vorweisen, wann ich dir glauben soll? Mach nur gleich Licht!«
Der Docht flammte auf. Beide Weiber saßen aneinandergeschmiegt an dem Tische, der knöcherne Arm der Alten ruhte auf der Schulter der Jungen, so buchstabierten sie zusammen das Schriftstück. Dann mußte die Dirne erzählen, wie sie mit dem Burschen bekannt geworden.
Die Zinshofer schlug öfter vor Erstaunen in die Hände. »Nein, nein, bist du aber eine Gfinkelte«, rief sie, »das hätt ich gar niemal in dir vermut!«[80]
Nun unterrichtete Helene ihre Mutter von den Verabredungen, die getroffen waren, um vor Tonis Vater die Sache bis zur »schicksamen Glegenheit« geheimzuhalten, und forderte zur Vorsicht auf.
»Eh beiß ich mir lieber die Zung ab, eh ich ein unbedacht Wort sag; dadrauf könnt ihr euch verlassen«, beteuerte die Alte. »Kannst dich überhaupt in allm und jedn af mich verlassen; bist ja mein bravs, gscheits Kind!« Sie tätschelte zärtlich den vollen Nacken der Dirne, dann fuhr sie fort: »Ich muß nur lachen, wann ich mir vorstell, was seinzeit wohl die Kleebinderischen für Gsichter dazu machen werden! Wir warn uns nie freund, und ich vergönn's ihnen, daß s' nachher voll Gift und Neid 'm auskommenen Vogel da hinauf nachschaun können, wo er z' Nest sitzt, afm Sternsteinhof.«
Und nun begannen beide eifrig zu schwätzen, zählten die Annehmlichkeiten des »Nestes« auf, planten, wie sie sich's in selbem wollten behagen lassen, und wurden es nicht müde bis gegen Morgengrauen; da sank das Kerzenstümpfchen verlöschend in den Leuchter, und sie saßen im fahlen Zwielichte.
Der Winter kam mit aller Strenge ins Land.
Wenn die gefrorene Erde unter der Sohle klingt, so braucht, wer auf verstohlenen Wegen geht, nur sachter aufzutreten, um nicht gehört zu werden; ein Übel ist in dem Falle freilich der Schnee, denn der behält die Tritte auf mit allen Schuhnägelspuren und verrät, woher sie kamen und wohin sie gingen.
Die alte Kleebinderin schüttelte öfter den Kopf, wenn sie an manchem frühen Morgen den Schnee, der über Nacht gefallen war, vor der Zinshoferischen Hütte rein, gegen den Bach zu, weggefegt sah, während er andere Male dort Tage über gut liegen hatte, aber sie dachte nichts Arges; derlei Wunderlichkeiten bestätigten nur, was ihr seit langem für ausgemacht galt, daß es in den Köpfen der Nachbarsleute nicht ganz richtig sei.
Auch die alte Kathel auf dem Sternsteinhofe schüttelte[81] den Kopf, aber sie dachte dabei Arges, und eines Tages nahm sie sich das Herz und zog den Bauer zur Seite und fragte:
»Wirst mir's nit für übel nehmen, wann ich dir was sag?«
»Kommt darauf an, was's sein wird«, entgegnete er. »Red! Fürs Übelnehmen kann mer doch nit zun voraus einstehn.«
»Dein Sohn soll's mit einer von da unten halten.«
»So? Könnt ja sein. Laß ihm die Freud.«
»Aber bedenkst denn auch? 's is doch sündhaft.«
»Laß dir was sagen. Da heroben af mein Hof schau ich af Zucht und Ehrbarkeit, wie mir zukommt, und unter mein Augen leid ich kein Lotterei und kein schandbarn Verkehr; aber für das, was sich etwa eins auswärts hinter mein Rücken beigehen laßt, hab ich nit aufzkommen! Mag's Knecht oder Dirn oder mein leiblicher Sohn sein, 's is dann jedm sein eigene Sach, und derwegen mag er sich auch abfinden, mit ihm selber, mitm andern, was mithalt, und mitm Beichtvatern.«
»No nimmst mir's halt doch übel, daß ich gredt hab.«
»Gar nit. 's war recht, daß d' redst, was d' weißt; aber ich weiß von nix, und da stünd mir 's Reden übel an.«
»Aber schau, könntst nit daraufhin den Bubn doch ins Gebet nehmen?«
»Daß ich vor ihm dasteh wie ein Narr, wann er mir's ableugnet? Nein, da wart ich lieber ruhig ab; is was an der Sach, dann kommt er mir schon von selber. Gschehne Sünden beicht mer 'm Pfarrer und gmachte Dummheiten 'm Vadern.«
»Dann könnt's etwa z' spät sein.«
»Z' spät? Möcht wissen, in welcher Weis? Wie tief er sich auch einglassen haben mag, dafür können wir aufkommen.« Der Bauer schlug mit der Rechten an die Stelle, wo er an Markttagen den Geldgurt trug. »Und auf das, was er sich etwa sonst in Kopf setzt, da gib doch ich nix?! Nit so viel!« Er schnippte mit den Fingern und schritt spreitbeinig über den Hof.[82]
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sternsteinhof
|
Buchempfehlung
Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.
242 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro