Sonnenlied

[275] Blendend zittert gold'nes Licht.

Um die sehnsuchtsvollen Wangen,

Strahl auf Strahl durch Wolken bricht,

Und das nebelgraue Bangen

Ist vergangen.


In dem warmen Sonnenmeer

Will ich baden traumversunken,

Blitzend wogen um mich her

Schießend, wirbelnd, wonnetrunken,

Himmelsfunken.


O du wesenloser Geist,

Gott der Strahlen, Glanz geboren,

Den das Weltall jauchzend preist,

Den zum Spotte nun die Thoren

Sich erkoren:


Geist erhab'ner Liebesmacht,

Geist des Wahren und des Guten,

Der du durch des Irrthums Nacht

Des Gedankens helle Gluthen

Lässest fluthen:
[275]

Sendest nieder du den Hauch

Deines wunderbaren Lebens,

Strömt durch meine Seele auch

Voll geheimniß-süßen Webens

Kraft des Strebens.


Heil dir Sonne, jauchzend soll

Dir mein Lied zum Aether wallen,

In die Saiten schlag' ich voll,

Daß sie durch der Erde Hallen

Hell erschallen!


In Verklärung blickt empor

Dann die Menschheit, lichtdurchdrungen,

Spenden dir im Jubelchor,

Gott der Götter, tausend Zungen

Huldigungen!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 275-276.
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