|
[241] 1842.
Ihr schaut den deutschen Michel1 an?
Er trägt nicht mehr den Stamm der Tannen,
Doch ist er noch der wilde Mann,
Der nicht viel dannen fragt noch wannen,
Das Riesenkind im alten Traum,
Vor dessen Faust die Welt muß strauchen;
Und nimmt er sich den Weberbaum,
Er weiß wie weiland ihn zu brauchen.
Ihr schaut den deutschen Michel an?
O meinet nicht mit ihm zu scherzen!
Er ist noch heut der wilde Mann,
Der viel im Arm hat, mehr im Herzen.
[241]
Traut nicht zuviel auf seinen Traum,
Er träumet hart am Morgentore,
Ein solcher Traum wird nimmer Schaum,
Er hat die volle Lichtaurore.
Ja, schaut euch nur den Michel an,
Er reibt die Augen zum Erwachen,
Ihm träumte, wie er ein Gespann
Von einem Riesen schlug und Drachen –
O schaut, wie ihm des Schlafes Sand
Vom lichtbestrahlten Auge fließet,
Wie er halb träumend mit der Hand
Wie durch die Lüfte Speere schießet.
Ja, schaut euch nur den Michel an,
Die Faust, das Herz, das Speereschießen,
Der schwere Schlaf gottlob! wird dann
Auch euch wie ihm im Licht zerfließen –
Kommt, schaut den Traum, des Träumers Spiel,
Und traut nicht, daß er nur will spielen:
Weil er mit Geistern spielt zum Ziel,
So wird er desto schärfer zielen.
Ja, schaut euch nur den Michel an
Und lernt im Michel euch erkennen,
Lernt mit dem deutschen, starken Mann
Wie weiland für die Freiheit brennen,
Für deutsche Ehre, deutsches Recht,
Für deutsche Wahrheit, deutsche Freude –
Lernt das, dann weidet eu'r Geschlecht
Auch künftig mit auf deutscher Weide.
Ja, schaut den deutschen Michel an,
Was soll ich Fürsten Wahrheit fälschen?
Zieht an den vollen deutschen Mann,
Werft weg den bunten Rock der Welschen,
Werft weg den welschen Lügenschein,
All eure welschen Feinereien –
Dann tritt der deutsche Held herein,
Der erste Freie unter Freien.
Ja, schaut den deutschen Michel an –
O wärt ihr ganz aus seinem Holze!
Gleich stünde da der ganze Mann,
Der Stille, Tapfre, Freie, Stolze,[242]
Der winkte durch die Welt hinaus:
»Still, Moskowiter! Still, Franzose!
Wir stehen fertig jedem Strauß
Und schütteln kühn die roten Lose.«
Ja, schaut den deutschen Michel an –
Das Riesenkind mit Geisterträumen –
Nicht wird die Brandung, die begann,
Im dünnen Wellenspiel verschäumen –
Mit ihm mit hellem Mut hinein,
Wie wild auch Sturm und Woge treiben!
So werdet ihr die ersten sein,
Und Michel wird der zweite bleiben.
1 Es geht dem Michel und der Michelei wie andern sprichwörtlich gewordenen Wörtern und Namen, z.B. dem berühmten Johann Balhorn. Schwer wird nachzuweisen sein, wo und woher dieser Michel zuerst in Brauch und Schwung gekommen ist. Es sind, die ihn von dem tapfern Ritter Michel Obentraut ableiten, einem rechten deutschen Michel, einem durch seine Biederkeit und Tapferkeit berühmten Feldherrn, von welchem man ein letztes schönes Michelsches Todeswort hat. Als nämlich sein alter Kriegsgesell Tilly dem auf dem Felde von Königslutter Todwunden und Gefangenen das Blut hemmen wollte, sagte er lächelnd zu ihm: »Laß laufen, Herr Bruder, auf solchem Felde pflückt man solche Rosen!« Gewiß, das waren echte Michelsworte; aber der Grund des Wortes liegt ferner und tiefer. Kommt er vom Erzengel Michel (Gott meine Stärke) oder von dem angelsächsischen Mickel, nordischen Mickil, die Bedeutung bleibt dieselbe, der Starke, der Gewaltige, wohinein jeder sich beliebig seinen Teil deutscher Derbheit und Plumpheit, auch wohl Dummheit legt./
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro