[248] Mutter.
Mädchen laß die schmachtend süßen Blicke,
Mach die Augen nicht so klein,
Denn zu ihrem schmerzlichsten Geschicke
Alle Männer sehn hinein,
Jeder meint, daß er gemeinet wäre.
Tochter.
Laß sie doch so eitel sein.
Mutter.
Nein, es schadet endlich deiner Ehre,
Meide wenigstens den Schein.
Tochter.
Mutter, sprich, wie soll ich denn nun lassen,
Was mir angeboren ist,
Wenn ich auch mit niemand möchte spaßen,
Bebt mir doch die Wang' von List.
Mutter.
Nein, das ist kein Blick, der bloß zum Lachen,
Du verwirrest jederman,
Willst du einen wirklich glücklich machen,
Sieh allein auf Einen Mann.
Mädchen, nicht bei stillen, edlen Frauen
Kannst du solches Auge sehn,
Einige so ruhig vor sich schauen,
Andre gar verschämet gehn.
[249] Tochter.
Meine Augen flüchtig sich bewegen,
Müde von dem Stillestehn,
Keinen Ausdruck mag ich drinnen hegen,
Gleich hinaus muß er da gehn.
Mutter, sprich, von wem die Deutungsaugen,
Gerngeb ich sie dem zurück,
Denn zum Glücke sie wohl nimmer taugen,
Und ich fürchte meinen Blick.
Mutter.
Tochter, könntest du den Vater finden,
Diesen Flüchtling ohne Ruh',
Gern vergäb' ich alle seine Sünden
Und vergäb' dir auch dazu.
Tochter.
Laß mich einsam, daß ich keinem schade,
Denke still bei mir an ihn,
Und erfleh' für ihn des Himmels Gnade,
Und so will ich fromm verblühn.
Alte Jungfer will ich bei dir werden,
Blühen unter Schnee und Eis,
Denn kein Jüngling, den ich sah auf Erden,
Hat verstanden meine Weis'.
Mutter.
Wie ein Vogel, der im Fluge träumte,
Sinket auf des Sees Fluth,
Siehst du bald im Spiegel die versäumte
Aufgeschreckte Liebesgluth,
Daß der Jugend goldne Zeit verrinne,
Lieblos über Lieb' hinaus;
Sieh hinaus, was dir dein Aug' gewinne,
Ob's ein Hüttchen, ob's ein Haus.
Buchempfehlung
Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro