Der Tod und das Mädchen im Blumengarten

[22] Fliegendes Blat aus Cölln.


Es ging ein Mägdlein zarte

Früh in der Morgenstund

In einen Blumengarten,

Frisch, fröhlich und gesund,

Der Blümlein es viel brechen wollt,

Daraus ein Kranz zu machen,

Von Silber und von Gold.


Da kam herzu geschlichen

Ein gar erschrecklich Mann,

Die Farb war ihm verblichen,

Kein' Kleider hatt' er an,

Er hatt' kein Fleisch, kein Blut, kein Haar,

Es war an ihm verdorret

Sein Haut, und Flechsen gar.


Gar häßlich thät er sehen,

Scheußlich war sein Gesicht,

Er weiset seine Zähne

Und that noch einen Schritt,

Wohl zu dem Mägdlein zart,

Das schier für großen Aengsten,

Des grimmen Todes ward.


»Nun schick dich Mägdlein, schick dich,

Du must mit mir an Tanz!

Ich will dir bald aufsetzen,[22]

Ein wunderschönen Kranz,

Der wird dir nicht gebunden sein

Von wohlriechenden Kräutern,

Und zarten Blümelein.


Der Kranz, den ich aufsetze,

Der heißt die Sterblichkeit;

Du wirst nicht seyn die letzte,

Die ihn trägt auf dem Haupt;

Wie viel allhie gebohren seyn,

Die müssen mit mir tanzen

Wohl um das Kränzelein.


Der Würmer in der Erde

Ist eine große Zahl,

Die werden dir verzehren

Dein Schönheit allzumahl,

Sie werden deine Blümlein seyn,

Das Gold, und auch die Perlen,

Silber und Edelstein.


Willst du mich gerne kennen

Und wissen, wer ich sey?

So hör mein Nahmen nennen,

Will dir ihn sagen frey:

Der grimme Tod werd ich genannt,

Und bin in allen Landen,

Gar weit und breit bekannt.


Die Sense ist mein Wappen,

Das ich mit Rechte führ,

Damit thu ich anklopfen

Jedem an seine Thür,[23]

Und wenn sein Zeit ist kommen schon,

Spät, früh, und in der Mitten,

's hilft nichts, er muß davon!«


Das Mägdlein voller Schmerzen,

Voll bittrer Angst und Noth,

Bekümmert tief im Herzen,

Bat: »Ach du lieber Todt,

Wollst eilen nicht so sehr mit mir,

Mich armes Mägdlein zarte

Laß länger leben hier!


Ich will dich reich begaben,

Mein Vater hat viel Gold,

Und was du nur willst haben

Das all du nehmen sollt!

Nur lasse du, das Leben mir,

Mein allerbeste Schätze,

Die will ich geben dir!«


»Kein Schatz sollt du mir geben,

Kein Gold noch Edelstein!

Ich nehm dir nur das Leben,

Du zartes Mägdelein,

Du must mit mir an meinen Tanz,

Daran noch kommt manch Tausend,

Bis daß der Reihn wird ganz.«


»O Tod, laß mich beim Leben,

Nimm all mein Hausgesind!

Mein Vater wird dirs geben,

Wenn er mich lebend findt,

Ich bin sein einzigs Töchterlein,[24]

Er würde mich nicht geben

Um tausend Gulden fein.«


»Dein Vater will ich holen

Und will ihn finden wohl,

Mit seinem Hausgesinde,

Weiß, wenn ich kommen soll,

Jetzund nehm ich nur dich allein:

O zartes Mägdlein junge,

Du must an meinen Reihen.«


»Erbarm dich meiner Jugend,«

Sprach sie mit großer Klag,

»Will mich in aller Tugend,

Ueben mein Lebetag.

Nimm mich nicht gleich dahin jetzund,

Spar mich noch eine Weile,

Schon mich noch etlich' Stund!«


Drauf sprach der Tod: »Mit nichten,

Ich kehr mich nicht daran,

Es hilft allhier kein Bitten,

Ich nehme Frau und Mann!

Die Kinderlein zieh ich herfür,

Ein jedes muß mir folgen,

Wenn ich klopf an die Thür.«


Er nahm sie in der Mitten,

Da sie am schwächsten was,

Es half bey ihm kein Bitten,

Er warf sie in das Graß,

Und rührte an ihr junges Herz

Da liegt das Mägdlein zarte,

Voll bittrer Angst und Schmerz.[25]


Ihr Farb that sie verwandlen,

Ihr Aeuglein sie verkehrt

Von einer Seit zur andern

Warf sie sich auf der Erd,

All Wollust ihr vergangen war,

Kein Blümlein mehr wollt holen

Wohl aus dem grünen Graß.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 22-26.
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