Müllertücke

[205] Musikalisches Kunst-Magazin von J.F. Reichardt. I.B.S. 100.


Es ging ein Müller wohl übers Feld,

Der hatt' einen Beutel und hatt' kein Geld,

Er wird es wohl bekommen.


Und als er in den grünen Wald kam,

Drey Mörder unter dem Weidenbaum stahn,

Die hatten drey große Messer.


Der eine zog seinen Beutel heraus,

Drey hundert Thaler zahlt er draus:

»Nimm hin für Weib und Kinder.«


Der Müller dacht in seinem Sinn,

Es wär zu wenig für Weib und Kind:

»Ich kanns euch nicht drum lassen.«


Der andere zog seinen Beutel heraus,

Sechs hundert Thaler zahlt er draus:

»Nimm hin für Weib und Kinder.«


Der Müller gedacht in seinem Sinn,

Es wär genug für Weib und Kind:

»Ich kanns euch wohl drum lassen.«[205]


Und als er wieder nach Hause kam,

Sein Weibchen hinter der Thüre fand,

Für Weh konnt sie kaum reden.


»Weibchen, schick dich hin, und schick dich her,

Du sollst mit mir in grünen Wald gehn,

Zu deines Bruders Freunde.«


Und als sie in den grünen Wald kamen,

Drey Mörder unter dem Eichbaum standen,

Die hatten drey bloße Messer.


Sie kriegten sie bey ihrem krausgelben Haar,

Sie schwungen sie hin, sie schwungen sie her:

»Jung Fräulein du must sterben.«


Sie hatt' einen Bruder, war Jäger stolz,

Er jug das Wild wohl aus dem Holz,

Er hört' seiner Schwester Stimme.


Er kriegt sie bey ihrer schneeweißen Hand,

Er führt sie in ihr Vaterland:

»Darin sollst du mir bleiben.«


Und als drey Tag herummer waren,

Der Jäger den Müller zu Gaste ladet –

Zu Gast war der geladen. –


»Willkommen, willkommen lieb Schwägerlein,

Wo bleibet denn mein Schwesterlein?

Daß sie nicht mit ist kommen.«


»Es ist ja heut der dritte Tag,

Daß man sie auf den Kirchhof trug,

Mit ihrem Kindlein kleine.«[206]


Er hatt' das Wort kaum ausgesagt,

Sein Weibchen ihm entgegen trat,

Mit ihrem Kindlein kleine.


»Du Müller, du Mahler, du Mörder, du Dieb!

Du hast mir meine Schwester zu den Mördern geführt,

Gar bald sollst du mir sterben.«


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 205-207.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVII. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 3
Sämmtliche Werke, Neue Ausgabe. Herausgegeben von Bettina von Arnim und Wilhelm Grimm. Band 06: Des Knaben Wunderhorn I und II. - Reprint der Ausgabe von 1857
Des Knaben Wunderhorn Band 2
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L.A.v. Arnim und Cl. Brentano. Neu bearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius; ... in Holz geschnitten von C.G. Specht: Band. 1
Ludwig Achim's Von Arnim Sämmtliche Werke: Des Knaben Wunderhorn. T. 3 (German Edition)

Buchempfehlung

Anonym

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon