Siebenter Auftritt.

[201] Straße vor Virens Hause. Olympie tritt auf den Balkon.


OLYMPIE.

Wenn der Mond ist aufgegangen,

In der Hand die Arbeit ruht,

Ist im Finstern dann ein Bangen,

Thut ein Gang ins Freie gut.

Das hab ich noch behalten aus der Nachtmusik und dieses noch:

War auch Jungfrau, bin nun Fraue,

Und der Mond mich noch berückt.

Wär doch Lysander hier, ich kann nicht ohne ihn so fröhlich sein wie sonst. Mir ist doch alles glücklicher geworden als ich mirs dachte, ich finde ihn so liebenswerth und gut und jeden Augenblick ist er sich gleich, stets sorgsam für des Hauses Beste – wie[201] leicht entschloß er sich dem neuen Glücke ein'ge Stunden zu entreißen, um unsere Geschäfte auf dem Lande zu besorgen. Wie sah Cardenio schon heut verändert aus, sein edles Auge erloschen und entbrannt von Frevel; sein Angesicht durchwühlt gewaltsam von Leidenschaft. Kaum ahne ich was er damit gewollt, daß er den Preis so mühsam hat errungen, die ganze Stadt verspricht ihn mit Celinden die schlechten Ruf bei ordentlichen Leuten hat. Doch soll der Ruf mir gar nichts mehr bedeuten, wär ich Lysandern nicht vermählt, wer weiß was jetzt die Leute von mir sprächen. Ich fürcht mich jetzt schon vor Cardenio, sein wilder Geist bereitet sicher noch ein Unglück unserm Hause.

VIREN kommt. Je fast erschrak ich, so in Gedanken erkannte ich dich kaum hier in der Dunkelheit.

OLYMPIE. Ich wünsch dir guten Abend, du warst heut mehrmals sehr vertieft, ich glaub du schreibst ein neu Pandektenbuch, so heißt's ja wohl, du mußt es mir doch schenken, wenn ichs auch nicht verstehe.

VIREN. Die Drucker haben jetzt vor mir schon Ruhe, mein Herz ist so gedrückt.

OLYMPIE. O hör den Nachtigallen zu.

VIREN. Dich reizt der Nachtigallensang, der durch die Gassen kühn wetteifert, mir klingt er furchtbar, wie die Lieb in Ketten ein jeder Ton, und dies[202] Posthorn das von Ferne tönt, es könnte mich zum Weinen bringen, wenn es nicht eben verstummte.

OLYMPIE. Du bist jetzt wunderlich, ich meine immer du solltest bald heirathen, dir fehlt ein gutes Weib das deiner Sorgen Hälfte trägt.

VIREN. Es freut mich daß du mir zum Ehstand räthst, ein gutes Zeichen ists für deine Ehe. Wer hätte das gedacht, als du Cardenio zu lieben schienst.

OLYMPIE. Begreif ichs selbst doch nicht, doch fühl ich freier mich jetzt in Lysanders Liebe, kein Sehnen, keine Angst, ich wünsch ihn mir zurück, doch hab ich ein Vertrauen zu dem Himmel, daß er uns schütze.

VIREN. Du hast noch ein Vertrauen, mir hast du's geraubt, mit meiner ersten Liebe zu Luzinden ging meins verloren.

OLYMPIE. Willst du den alten Vorwurf mir erneuern, ich war ein dummes Kind, ich wußte gar nicht was ich that, als ich dir Briefe brachte von Luzinden; klagst du noch immer um die erste Liebe, da du inzwischen wohl Tausenden den Hof gemacht.

VIREN. Ach damals war ich doch viel besser!

OLYMPIE. Erinnerst du dich noch des Liedes das du so oft mir vorgesungen, wenn ich auf deinem Schooße saß und du hinüber schautest zu Luzindens Schloß?[203]

VIREN. Es ist mir ganz entschwunden, sing es nur.

OLYMPIE.

Bruder mit dem Flockenbart,

Hüte dich vor Liebe,

Nur die Augen recht bewahrt

Vor des Traums Gebilden,

Wenn die Sonne heftig sticht,

Droht ein nah Gewitter,

Ziehn die Lebenspfeile dicht,

Werdet ihr geschieden.


Lustig ist mir jede Zeit

Unter tollen Streichen,

Und mir schien die Reise weit

Zu Melancholeien,

Traurig schaue ich jetzt hin

Nach dem Mond der Höhe,

Nach dem Schlosse steht mein Sinn,

An dem Rand des Sees.


Doch die Wolke eilend zieht,

Mir der Mond verhüllet,

So aus meiner Seele flieht,

Meiner Hoffnung Fülle,

Und der Mond selbst täuschet mich,

Brennt in ihren Scheiben,

Und ich mein, sie locke mich

Zu der Schwimmerreise.


Schwesterchen, ach denkst du jetzt,

Wie du mir im Schooße

Mich mit ihrer Lieb ergötzt,

Mich zu ihr gezogen.

Ihre Briefe waren süß,

Süßer war ihr Küssen.[204]

Als ich sie zuerst verließ,

An dem Sonntag frühe.


Früher war sie an dem Ort,

Als sie mich verlanget,

Und es glühte jedes Wort

Ihr auf beiden Wangen;

Und des Altars denke ich,

Der mich hielt verstecket,

Daß sie, selbst gelehnt an mich,

Küßte Rosenkränze.

VIREN fällt ein.

Denk der Nacht, wo ich zu spät

Bin zu euch gekommen,

Zwischen euch da wachen thät,

Fromm und scheu beklommen:

Ei verdammt der guten Sitt'

Dabei bin ich blieben,

Damals war es nur ein Stritt,

Und nun ists weit drüben.


Also ist es nun vorbei,

Weiter muß ich ziehen,

Ach so bin ich vogelfrei,

Kann mir nicht entfliehen;

Denn in innrer Brust da sticht

Mich der Pfeil der Liebe,

Und ich suche, finde nicht

Unsrer Liebe Liebe.


Bruder mit dem Flockenbart

Sieh im Liebesspiegel,

Du bist zart, auf, werde hart,

Steige in den Bügel,[205]

Laß die leichten Zügel los,

Trau dem Kriegesglücke,

Denn du findst in Liebchens Schooß

Nur des Glückes Tücke.

Das waren gute Zeiten noch wo ich so klagte, der gute Bruder, wir haben doch seit jener Zeit nichts mehr von ihm vernommen.

OLYMPIE. Das Meer und auch die Liebe sollen gar gefährlich sein, kaum weiß ich noch wie er recht ausgesehn. – Sieh jenen Stern der eben schießt, war er das etwa, wollt er uns ein Zeichen geben?

VIREN. Er ist wohl glücklicher als ich!


Cardenio kommt während dieser Worte in einem Mantel gehüllt, leise die Straße herunter, er spricht vor sich, während jene oben sprechen.


CARDENIO leise. Es hat sich viel geändert in der kurzen Zeit, vor wenig Tagen brannte Liebe in den Himmelsfackeln, jetzt Rache. Bald kommt Lysander. Ich möchte ihn nicht listig niederstrecken, nein ordentlich im Kampfe überwinden, ob er mich gleich mit List hat überwunden, doch stört das den Plan der Doris. Wohl denn, da er doch fallen muß, so mag er fallen ohne Furcht und Schrecken durch einen raschen Tod, es ist mir gar nicht als wär er auch ein Mensch, er scheint mir nur ein wildes Thier, gegen das ich zur Wacht bin ausgestellt. Die Doris ist ein kluges Kind, sie mag nichts ansehn von dem ganzen Unternehmen, doch kitzelt sie mit gutem Rath[206] dazu. Mein Arm stößt den Verräther nicht so sicher in die Hölle, als mich ihr Schlüssel zu dem Himmel führen soll. Auf dem Balkon da hör ich leise Stimmen, es wär ein schlimmer Streich wenn die nicht weichen wollten eh Lysander kommt.

OLYMPIE. Gesteh mir lieber Bruder, was dich so quält?

VIREN. Es wird mir schwer, ich hab mich lange Zeit so heilig vor dir angestellt, ich bin ein großer Sünder.

OLYMPIE. Du dauerst mich.

VIREN. In dem gelehrten Treiben hier, überfiel mich so manche böse Lust, der Reichthum giebt Gelegenheit, ich wechselte in wilder Leidenschaft, doch zog mich nie ein Mädchen also mächtig an als eben die Celinde, der Kriegsräthin Tyche Tochter, mit der die Stadt Cardenio vermählt.

OLYMPIE. Du schweigst.

VIREN. Ich kanns dir nicht erzählen wie manche Nacht ich heimlich dort geschwelgt.

OLYMPIE. So ist der böse Ruf doch wahr; – Du armer Bruder!

VIREN. Und was mich retten sollte das ward mir zum Verderben. Oft wars als ob geheimnißvoll mich unsrer Mutter Stimme warne, doch schreckte dieses Bild mich eben in die Arme der Geliebten, wo mir[207] so wohl ward, wie mir bald in ihrer Untreu wehe ist geworden.

OLYMPIE. Du hast der Mutter Bild gesehn?

VIREN singt.

Oft wenn ich umher geschlichen

Nächtlich um Celindens Haus,

Bis die Sterne all verblichen,

Warnte mich ein innrer Graus

Mit so tief bekanntem Schall,

Warnend rief die Nachtigall.


Als sie endlich Lust versprochen

Ging ich Nachts geschmückt umher,

Hatte Früchte ihr gebrochen,

Trug an edlem Weine schwer.

Alles zu dem Liebesschmaus

In Celindens Gartenhaus.


Als ich an das Kreuz gekommen,

Das aus alter Zeit noch steht,

Hab ich bittres Flehn verommen,

Eine Frau da zu mir geht,

Klagt, sie sterb aus Hungersnoth,

Bat mich um ein wenig Brod.


Ganz verloren in Gedanken

Naher Hoffnung, nahen Glücks,

Werf ich Geld der matten Kranken,

Würdige sie keines Blicks:

Kaltes Geld und kaltes Herz!

Seufzet sie in ihrem Schmerz.


Wilde Jugend schweift in Lüsten

Wild und taub nach ihrem Ziel,

Aus dem Garten in die Wüsten,

Und ich trank von Seckt zu viel;[208]

Mit dem Becher in der Hand

Werd ich früh nach Haus gesandt.


Als ich so nach Hause kehre,

Tragend diesen Liebestank,

Bei dem Kreuz ich klagen höre

Und es liegt die Frau so krank,

Und ich gieß den Becher Wein

In den bleichen Mund hinein.


Eine Flamme seh ich steigen

Wo der Tank sie hat berührt,

Mir des Zaubers Kraft zu zeigen

Schrecken hat mich tief gerührt,

Nüchtern seh ich an die Frau

Meine Mutter ich beschau.

OLYMPIE. Lieber Bruder, du erschreckst mich.

CARDENIO. Sie wollen noch nicht schweigen auf dem Balkon, wenn es Olympie selber wäre, wie ist mir, diese Thüre öffnet sich.


Es schlägt Zwölfe, die kleine Thüre an die Cardenio angelehnt, eröffnet sich leise, eine verschleierte Gestalt in der Größe Olympiens tritt heraus und legt ihren Finger auf Cardenios Mund.


CARDENIO. Olympie, was machst du, du selbst du kommst zu mir, wie ward dir kund mein Unternehmen? Nun weiß auch ich daß Liebe Wunder thut.

DIE GESTALT. Still still, bald hörst du mehr, jetzt komm.


Sie führt ihn, der sie anstaunt, langsam fort.


OLYMPIE. Mir war als säh ich unten ein verliebtes[209] Pärchen schleichen. Jetzt singe weiter, die Glocken haben ausgeschlagen.

VIREN singt.

Schaudernd vor der schönen Leiche,

Ganz verwildert athemlos

Ich mit schnellem Schritt entweiche

Werf mich in Celindens Schooß.

Hüte dich mein liebes Kind!

Ruft die Mutter in den Wind.


Geister wollten gern uns schützen,

Doch wir scheuen sie zu sehr,

Ach sie konnte mir nicht nützen,

Jagte mich ins Liebesmeer,

Das mit seiner Schreckensfluth

Mir verzehrte Gut und Blut.


Später müssen wir verstehen,

Was uns den Verstand verwirrt,

Lernten wir doch früher sehen,

Eh wir von der Bahn geirrt,

Ach mir ist die Lust verzehrt,

Ich bin nun so gar nichts werth.

OLYMPIE. Ich glaube lieber Bruder, du bildest dir so herbe Schmerzen ein, du bist ja noch der selbe wie ich dich immer hab gekannt, wohl nie vergnügt auf ganze Tage, beklagend vieles und doch alles mitgenießend.

VIREN. Ich glaub du hast mich nie verstanden.

OLYMPIE. Wie bist du wunderlich, versteh ich nicht jedes Wort, was du mir sagst, hab ich je absichtlich[210] dich anders denken wollen, hast du jetzt absichtlich dich verstellt?


Während der letzten Worte ist Lysander mit seinem Diener Anton, ohne von den beiden auf dem Balkon bemerkt zu werden, aus dem Hintergrunde auf das Haus zugekommen.


LYSANDER. Geh mit den Pferden nach der Hinterthüre, damit mein Weib von dem Getrappel nicht erwacht.

ANTON. Die Nacht ist fast verloren, wir hätten so bequem in Skeuditz bleiben können, die Betten waren rein, hier sind sie alle schon zu Bette, da wird kein Licht und auch kein Schwefelholz zu finden sein, den Schwamm hab ich verloren.

LYSANDER. Du warst wohl nie verliebt?

ANTON. Bei Tage bin ich sehr verliebt, doch sag ich immer die Nacht ist keines Menschen Freund, wir könnten jetzt von Straßenräubern hingestreckt gar leicht auf unsrer alten Mutter Erde schlafen müssen.

LYSANDER. Das wäre Blutschuld, Gott behüte, du weißt nicht was du sprichst geh nur zu deinen Pferden. Anton ab.

OLYMPIE zu Viren. Horch Bruder, wenn mich der Wunsch nicht täuscht, so hör ich meines Herren Stimme. Bist du es lieber Mann, der sich der Thüre naht?

VIREN. Bist du es Schwager?

LYSANDER. Ich möchte fliegen können um euch[211] durch Kuß und Händedruck von meiner Gegenwart zu überzeugen, ich wollte dich mein liebes Weib heimlich überraschen und glaubte dich im tiefen Schlummer und du wachst sorgsam in der kühlen Nacht auf mich.

VIREN. Du machst dir ganz vergebne Mühe mit deiner Frau noch hier zu reden, sie läuft die Stiege herunter die Thüre zu öffnen.

LYSANDER. Sie denkt an alles gleich im Augenblick.

OLYMPIE öffnet die Thüre und tritt mit Licht ihrem Manne entgegen. Mein lieber lieber süßer Freund.

LYSANDER. Geliebtes Leben. Hast du an mich gedacht?

OLYMPIE. Wie hatte ich so vieles dir zu sagen, in freudger Überraschung hab ich alles schnell vergessen.

LYSANDER. Vielleicht daß unsre Träume sich einander heimlich schon vereinten, indem wir uns umarmten. Kinder unserer Einsamkeit, sie passen nicht in ein gesellig Leben.

VIREN. Wenn ihr solange unten sprechen wollt so muß ich euch die gute Nacht hier aus der Ferne wünschen.

LYSANDER. Gute Nacht. Laß uns noch etwas in der kühlen Nacht durch stille Straßen wandeln, wo Nachtlicht brennt, da sehen wir ganz heimlich in die Fenster, was da geschieht in Streit und Frieden.[212]

OLYMPIE. Es ist recht schön, doch meine ich, du hast des Tages Mühe reichlich schon getragen, die Ruhe wird noch schöner sein.

LYSANDER. In deinen Armen ach wie schön! Beide ab.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 201-213.
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