3. Flucht

[11] Soll ich nicht brechen die engen Schranken?

Kurz ist der Jugend blühende Lust!

Länger ertrag' ich den Sturm der Gedanken,

Trage den Kampf nicht der sehnenden Brust!

Wild wie Bäche von Felsen schäumen,

Jauchzend hernieder in's schöne Thal:

Sehnt sich mein Geist aus den engen Räumen

Hin zu der Freiheit belebendem Strahl!
[11]

Muthig, mein Renner mit flatternden Mähnen!

Muthig hinein in die weite Welt!

Rasch, wie des Geistes geflügeltes Sehnen;

Wie das Gewölk am Himmelszelt!

Fliehen der Landschaft Bilder vorüber,

Dörfer und Wälder, Hügel und Thal:

Tob' ich aus des Gedankens Fieber;

Flieht mich der eigenen Seele Qual!


Mögen die Funken durchs Dunkel stieben;

Einsamer Hufschlag verhallen in Nacht!

So zerstob mein Hoffen, mein Lieben;

Sinkende Sterne in wilder Pracht.

Gähnende Schlünde zur Rechten, zur Linken;

Tanzende Lichter, dem Abgrund entsandt!

Mögen die Geister der Tiefe winken:

Meiner Seele sind sie verwandt!
[12]

Wettergewölk mag die Felsen umthürmen,

Blitze zucken von Höh' zu Höh'!

Frei ausathmet nur in Stürmen

Meine Brust ihr lastendes Weh!

Wenn der Donner mächtig die Felsen rüttelt;

Wenn die Gipfel geißelt des Sturms Gebraus:

Flüchtet der Dämon, der mich schüttelt,

Zu den Brüdern in's All hinaus.


Muthig, mein Renner mit flatternden Mähnen!

Bote des Sturms in geflügeltem Lauf!

Trocknet der Himmel die Wolkenthränen;

Steigen die ewigen Sterne auf!

Weh'! wenn die finstern Schleier schwinden,

Richt' ich die Blicke himmelwärts;

Winkt nur aus endlos tiefen Gründen

Mir mein unendlicher, tiefer Schmerz.
[13]

Quelle:
Louise Aston: Wilde Rosen. Berlin 1846, S. 11-14.
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