Festgefahren.

[108] Der Furchenbauer war noch nicht da. Heitern Sinnes war er am Morgen mit seiner Tochter ausgefahren. Er war festtäglich gekleidet, er trug seinen schwarzsammtnen, roth ausgeschlagenen kragenlosen Rock, dazu die rothe Weste mit silbernen Kugelknöpfen, den breiten schwarzen Hut mit nach hinten flatternden Band-Enden. Auch Ameile war im vollen Putz. Der safrangelbe hohe Strohhut mit schmaler nach vier Seiten eingebogener Krämpe, die schwarzen um das Kinn gebundenen breiten Sammetbänder hoben noch die frischen Farben ihres runden Antlitzes, um den Hals war ein schwarzblaues seidenes Tuch geschlungen, dessen rothe Endstreifen im Nacken flatterten und lange Zöpfe mit[108] eingeflochtenen rothen Bändern hingen den Rücken hinab; der schwarzsammtne »Schoben« (die Jacke) nach vorn offen ließ die Silberkettchen auf dem rothen Mieder sehen und war nach einer glücklichen Neuerung bis auf die Hüfte verlängert, dazu die weiße Schürze, der schwarze Rock mit Scharlach und Goldborden eingerändert und die rothen Strümpfe vollendeten den Festanzug.

Die beiden Schweißfuchsen gingen ruhig, der alte Mann lenkte sie leicht und nur manchmal draußen vor den Dörfern überließ er Ameile auf ihr Bitten das Leitseil und Ameile schnalzte mit der Zunge und fuhr lustig. Auf dem allzeit finstern Antlitze des Bauern ruhte heute der Abglanz des Triumphes, daß vor aller Welt heute sein Knecht und sein Vieh mit dem Preis ausgezeichnet würde; der eigentliche Ruhm davon gehörte doch dem Herrn und Meister.

Wäre nicht der geheime Kummer um Alban gewesen, in dem Furchenbauern hätte lauter Freude und Wohlbehagen gelebt. Er gedachte jenes Tages, da er mit Sorge um seinen Fruchtwagen diesen Weg gefahren; jetzt war die Welt wieder ruhig, und gehörte er auch nicht gerade ganz zu Denen, die Dem Recht geben, der Recht behalten, oder, wie der Klein-Rotteck von Nellingen sagt, dem Anderen zuvorgekommen und ihn zuerst ins Loch gesteckt hat: so dachte er doch nicht mehr viel an solcherlei Dinge. Die Hauptsache war auch ihm, daß man jetzt wieder die Erträgnisse des Ackers gut absetzt; im Uebrigen mag die Welt regieren wer will und wer kann.

Seit vielen Jahren war der Furchenbauer Mitglied[109] des landwirthschaftlichen Vereines; der alte, in diesem Bezirk ehedem so sehr beliebte Oberamtmann Niagarra, dessen Lachen immer so mächtig war und lautete wie wenn ein Klafter Holz zusammenfällt, hatte den Furchenbauer zum Eintritt beredet und er blieb dabei, denn er sah den jährlichen Beitrag als eine Art Ehrensteuer an, der sich ein großer Bauer nicht entziehen dürfe. Von all den vorgeschlagenen Verbesserungen in der Landwirthschaft, von den vielen empfohlenen Werkzeugen hatte sich der Furchenbauer nur wenige angeeignet; er befand sich wohl bei seinem alten Verfahren und hatte nicht Lust Neues zu versuchen, das nicht nur fraglich, sondern auch ihm fremd war und dadurch seine Meisterschaft herabsetzte. Eines aber hatte er gern befolgt. Mehr aus Stolz als aus Einverständniß mit der Sache hatte er seinen Alban in die neuerrichtete Ackerbauschule gegeben, und das hatte böse Frucht getragen; wenigstens wälzte der Vater die wesentliche Schuld auf dieses Verhältnis. Jetzt aber zeigte sich doch auf Einmal ein strahlender Erfolg seiner Mitgliedschaft und halb vor sich hin und halb in sich hinein murmelte der Furchenbauer:

»Die Leute werden Alle sehen, wie gut es meine eigenen Kinder bei mir haben, wenn es mein Knecht so gut hat, wie sich öffentlich ausweist.«

Er schien dieser Rechtfertigung vor sich und der Welt zu bedürfen. Ameile, die diese Worte wohl hörte, erwiderte nichts darauf und der Vater sah sie scharf darob an. Er ärgerte sich aber nicht nur über das Schweigen des Kindes, sondern auch über seine eigene[110] Redseligkeit; es war nicht wohlgethan und ganz gegen alle strenge Familienzucht, sich so vor dem Kinde auszulassen.

Unmittelbar vor dem Dorfe Reichenbach wäre den Fahrenden beinahe ein Unglück geschehen. Alban kam gerade mit einem großen Düngerwagen aus dem Dorf heraus, als der Furchenbauer in dasselbe einfuhr; sei es nun, daß der Vater die Zügel in zitternder Hand lenkte oder daß die Pferde Alban erkennend auf ihn zueilten – unversehens hingen die beiden Fuhrwerke in einander und konnten nicht vom Fleck und um ein Kleines wäre Alban dazwischen zerquetscht worden. Ameile riß dem Vater rasch die Zügel aus der Hand, rief Alban, er möge sein Gespann halten, daß es nicht vorwärts gehe und drang in den Vater, daß er absteige, so lange sie die Pferde halte. Alban stand eine Weile an seinen Sattelgaul gestemmt, der sich hoch bäumte, aber er bändigte ihn, und mit einer geschickten Wendung löste er rasch die Stränge, sprang behend über die Deichsel und löste die Stränge dem andern Pferde gleichfalls. Nun konnte sein Fuhrwerk nicht mehr vom Fleck und keinen Schaden mehr anrichten. Er eilte nun, dem Vater beim Absteigen zu helfen. Dieser hatte den einen Fuß über der Leiter und wagte trotz der Ermahnungen Ameile's nicht, den andern Fuß nachzuziehen; das Ungemach und das Zusammentreffen mit Alban hatte ihn ganz wirr und blöde gemacht. So stand er noch, mit hülfesuchendem Blick umherschauend als schwebte er am Rande eines Abgrundes, da kam Alban, faßte ihn mit starken Armen,[111] hielt ihn hoch empor und stellte ihn dann sanft auf den Boden. Er befahl Ameile, ruhig sitzen zu bleiben, hob wie spielend die Hinterräder ihres Wagens in die Höhe und zur Seite, sprang vor an den Kopf der Thiere, lenkte sie etwas zurück und dann wieder vorwärts und flott war das Fuhrwerk. Der Vater stieg behende wieder auf, die Beihülfe Albans abwehrend, und dieser stand noch eine Weile ruhig, die Hand auf die Wagenleiter gelegt und schaute dem Vater in's Antlitz; dann sagte er:

»Es hat schon so sein müssen, Vater, daß wir einander auffahren.«

»Fahr' zu!« herrschte der Furchenbauer gegen Ameile als Antwort, und an die Schwester gewendet mit zornig wehmüthigem Tone sagte Alban wieder:

»Wohin geht's?«

»Gen Wellendingen zum landwirthschaftlichen Bezirksfest, unser Dominik kriegt heut einen Preis und vielleicht das Schwärzle auch. Kehr' um und führ' uns, wir können so Beide nicht fahren, hast gesehen,« entgegnete Ameile und der Vater befahl nochmals: »Fahr' zu!«

»Ich kann nicht mit,« sagte Alban vor sich niederschauend, »ich bin hier Knecht.« Er reichte der Schwester die Hand und schloß: »B'hüt dich Gott.« Auch dem Vater streckte er die Hand entgegen und sagte: »B'hüt's Gott Vater.« Er zog die dargereichte Hand aber leer zurück, denn der Vater riß Zügel und Peitsche an sich und fuhr davon. Ameile schaute noch einmal zurück und winkte dem Alban, dieser aber sah sie nicht,[112] denn er strängte die Pferde wieder ein, stieg auf den Sattelgaul, untersuchte die Treibschnur und fuhr hell knallend die Straße hinauf und dann querfeldein.

Draußen vor dem Dorf sagte der Furchenbauer:

»Der Malefizbub ist mir überall im Weg. Wenn ihm der Dominik Bescheid gegeben hat, geht's dem schlecht. Der Malefizbub hat's gewiß erfahren, wann ich komm', und hat mir zeigen wollen, wie er Knecht ist, und aufgefahren ist er auch mit Fleiß, es kann ja kein Hofkutscher besser fahren wie er.«

»Nein Vater, da thuet Ihr ihm Unrecht, er hat halt die Besinnung verloren, wie er uns gesehen hat, wie wir Beide auch.«

»Ich nicht.«

»Man sieht ihm aber nichts mehr von seiner Krankheit an,« begann Ameile nach einer Pause, und der Vater fragte:

»Ist er denn krank gewesen? Woher weißt du's?«

»Ich hab' des Jörgpeters Maranne von hier Setzling (zu Kohl) verkauft und die hat mir gesagt, daß er's auf der Brust hab'.«

»Das ist nichts. In unserer Familie ist Alles gesund auf der Brust und der Alban hat eine Brust wie ein Faß.«

»Er sieht doch aber aus wie ein Graf.«

»Viel zu wenig, zum Geringsten wie ein Prinz. Red' mir heut kein Wort mehr von ihm. Punktum. Ich werd's heut wieder von fremden Leuten schon genug hören müssen.«

Trotz dieser Mahnung sagte Ameile doch nochmals:[113]

»Ihr hättet ihm wohl ein' Hand geben dürfen, er hat so herzgetreu Behüt's Gott gesagt. Das Wasser ist ihm in den Augen gestanden.«

»Ich will aber keine Hand und kein Wort von ihm. Still jetzt, du darfst mir heut seinen Namen nimmer gedenken, oder ich zeig' dir, daß ich über dein Schneppebberle auch Meister bin. Punktum sag' ich zum Letztenmal.«

Der Furchenbauer konnte den Seinigen verbieten, von Alban zu sprechen, selbst aber sein zu gedenken, dessen konnte er sich nicht erwehren. Er hatte seit anderthalb Jahren die Stimme seines Kindes zum Erstenmal wieder gehört, das Auge des Kindes hatte lange auf diesem starren Antlitze geruht und die Mienen wurden nur noch finsterer und die schmalen Lippen wurden oft zwischen die Zähne gekniffen.

Erst als er sich Wellendingen näherte und den Leuten begegnete, die ihr Vieh zur Preisbewerbung führten, lächelte der Furchenbauer vor sich hin. Als Dominik am Apostel auf ihn zukam, rief er diesem barsch zu.

»Bist doch über Reichenbach gefahren und hast dem Alban gesagt, daß ich auch komm'?«

»Nein, ich bin wie Ihr befohlen, über Jettingen gefahren; der Hirzenbauer kann mir's bezeugen.«

»Schon recht. Ist das Schwärzle gut gelaufen?«

»Ja, wie ein Hirsch.«

Der Furchenbauer ging mit Ameile nach der Wirthsstube, wo Spitzgäbele ihn alsbald bewillkommte.[114]

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 7, Stuttgart 1863, S. 108-115.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Dritter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Zehnter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz
Schwarzwälder Dorfgeschichten. Neue Volksausgabe.

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon