[329] Icilius mit entblößtem Schwert. Quintus. Einige Römer. Die Vorigen.
ICILIUS.
Heil dir Virginia! Heil Vater dir!
Ich bring' euch Rettung, Rettung an dem Rand
des Abgrunds, wo wir kaum sie mehr gehofft.
VIRGINIA.
O welche Nachricht, ihr Unsterblichen!
VIRGINIUS.
Du bringst uns Rettung, mit entblößtem Schwerte?
ICILIUS.
Woran noch Blut von unserm Feinde klebt,
vom Frevler, tausendmal des Todes werth,
vom Marcus!
VIRGINIUS UND NUMITOR.
Marcus?
VIRGINIA mit obigen zugleich.
Götter!
ICILIUS.
Dort Virgin!
nicht einen Pfeilflug fern von uns, verröchelt
der Bösewicht die lasterhafte Seele.
Er steckt sein Schwert ein.
VIRGINIUS.
O Himmel, welch ein Mord! und Meuchelmord?
ICILIUS.
Nein edler Vater, nein! dein Eidam ist
kein Meuchelmörder, ist noch Deiner werth. –[329]
Hör den Verlauf der schönsten meiner Thaten!
Da dir mein Zweck aus Rom zu fliehn, mißfiel,
sah ich zur Rettung der geliebten Braut
mir einen einz'gen Weg noch unversperrt,
den Weg, des Bösewichts erkauften Zeugen
die Wahrheit abzuzwingen. Ich beschloß,
sie mit Gewalt, durch Beystand dieser Freunde,
ihm zu entreißen, und in Gegenwart
des ganzen Volks zu prüfen. Zum Vollzuge
schien mir der Augenblick, da allesammt
den Frevler zum Gericht begleiten mußten,
der günstigste zu seyn. Wir lauerten
an einer Eck' auf sie. – Sie nah'n sich uns.
Doch Marcus, an der Spitze seiner Buben,
sieht mich zu bald, und ahndet meinen Zweck.
Er zückt sein Schwert, und winkt den Zeugen Flucht.
O wie gewünscht! Sogleich ergreiff auch Ich
mein Schwert. Wir schlagen uns – so muthig Er
als Ich; dieß Lob muß ich ihm zugestehn.
Nach einem langen Kampf gelingt mirs erst
durchbohrt ihn hinzustürzen. – Doch schon eilet
mit Wachen Lucius herbey. Ich fliehe
sobald ich Den erblicke; denn ich wollte,
bevor man mich verhaftet, selber euch
von dem erwünschten Zufall Nachricht bringen.
VIRGINIUS.
Erwünscht? – O wären es die Folgen auch!
ICILIUS.
Sie sind es, durch die Rettung deiner Tochter.
VIRGINIA.
Welch eine Rettung! ach Icil! bedenk,
welch Schicksal du dir selbst bereitet hast!
ICILIUS.
Mir? – süßen Tod, für jenen schmerzlichen
den Dein Geschick mir zubereitet hatte.[330]
VIRGINIA.
Tod? Tod Icil?
ICILIUS.
Konnt' ich ihm wohl entgehn?
Hätt' ich den Urtheilsspruch, nach welchem jetzt
ein Raub des Bösewichts du werden solltest,
wohl überlebt? – Erwäge: Tod für Tod,
ob einen glücklichern der Himmel mir
verleihen konnt', als Den, der sterbend mich
zu deinem Retter macht; das Glück mir schafft,
er Tugend Schutz, des Lasters Sturz zu seyn.
Gibts einen schönern Tod?
Er drückt ihre Hand an seinen Mund.
VALERIUS leise zum Numitorius.
Rath' ihm die Flucht!
NUMITORIUS.
Icil! dein großes Herz macht mich erstaunt.
Kein Halbgott that für Lieb' und Freundschaft mehr.
Doch, sollen wir die Früchte deines Muths
genießen. O so rette jetzt dich selbst!
Entfleuch aus Rom!
ICILIUS.
Aus Rom? – Sieh Jenen dort!
schon bin ich in Verhaft.
VALERIUS.
Du bist es nicht!
Nie wird's bey mir ein freyer Römer seyn
eh der Decemvir ihn dazu verdammet.
NUMITORIUS.
Fleuch, fleuch Icil!
ICILIUS.
Wohin?
NUMITORIUS.
Nach Thuscien,
in das Samniter Land, wohin du willst.[331]
ICILIUS.
Wie? zu den Feinden Roms, ich Römer fliehn?
um Schutz sie flehn? vielleicht gar Hülfe mir
wie der Verräther Marcius, erbetteln?
Nein Numitor; Icil erkauft um Schmach
sein Leben nicht! Rom gabs – Rom nehm' es mir!
VIRGINIUS indem er zu ihm eilt und ihn mit Heftigkeit umarmt.
O mein Icil! O wackrer junger Mann!
wie hoch erhebt dein muthiger Entschluß
dich über deine Zeit! wie lieb ist mir
aufs neu mein Vaterland, das dich erzeugte!
Doch Sohn! selbst diese Tugend, werth, noch lange
das Beyspiel Roms zu seyn, verpflichtet uns
Erhaltung Deiner, Flucht dir anzurathen.
Du brauchst bey Feinden nicht um Schutz zu flehn:
Fleuch unerkannt nach Ostia: von dort
bringt dich ein Kahn, wohin du willst. Im Lande
der Sarden wird jedweder Bürger Roms
als Freund empfangen, gegen Noth geschützt.
Ein Abgeordneter des Appius kommt in Eile und spricht dem Vater einige Worte in das Ohr.
Erreichst du diesen freundschaftlichen Strand,
so harre, bis in Rom Lossprechung wir
dir ausgewirkt; und wär' uns dieses auch
nicht möglich, deine Braut und beste Habe
dir überschiffen. Nur ...
VALERIUS.
Icil! ich muß
auf Appius Befehl Gefängniß dir
im Capitol ankündigen.
VIRGINIUS.
Ihr Götter!
Zween Soldaten treten hinter den Icil: er überreicht ihnen sein Schwert. Der Abgeordnete geht ab.
[332]
Nein Grausame! nicht Ihn! Um meinetwillen
vergoß er Marcus Blut; mich strafe man!
ICILIUS.
Virginia! bey jener Zärtlichkeit
mit der wir uns geliebet, bey dem Gotte,
durch dessen Hülf' ich dich gerettet! ringe
nicht gegen mich, und meiner Schickung Schlüsse!
Mir helfen kannst du nicht: der Himmel nur
vermag es, und er wirds; er ist gerecht.
Und wäre ja mein Tod beschlossen, glaub!
durch Das, was er bewirkt, wird er mir süß
Dein einziges Bemühn sey jetzt, dich selbst
zum Trost des besten Vaters zu erhalten;
Du weißt, dein edler Vater lebt in Dir:
das Leid, das dir geschäh träf ihn zugleich.
Tracht' also, deiner strengsten Pflicht getreu,
noch länger ihm des Lebens Glück zu seyn,
und seines Alters Stab dereinst zu werden!
VALERIUS.
Icil! schon sieht man den Decemvir kommen.
ICILIUS.
Virginia! – leb wohl!
VIRGINIA.
O Himmel! wohl?
du gehst zum Tode!
ICILIUS.
Nein! ich fühl' es, nein!
mein Schutzgott sagt mir: nein! Umarme mich –
als Römerin, nicht als Geliebte nur!
als echte Römerinn, die Gut und Leben,
doch niemals ihren Muth verlieren darf! –
Und du mein Vater!
Ihn umarmend.
ach! zu viel empfindet
mein Herz! verzeih den stummen Abschied mir!
Ab.
VIRGINIUS.
O welch ein Muth! Vortrefflicher Icil![333]
Nie fühlt' ich, was Du jetzt mich fühlen lehrst!
Schütz' ihn Roms Genius! daß nicht der Sturm
Roms schönste Frucht, kaum sie gereift, zerstöre!
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