Zweite Szene.

[326] Präsident. Baron Ringelstern.


PRÄSIDENT bei den Blumen. Seid ihr durstig? Nun wartet, ich gebe euch zu trinken. Gießt.[326]

BARON für sich. Jetzt ist er in der rechten Stimmung. – Herr Onkel –

PRÄSIDENT. Lieber Neffe –?

BARON. Ich habe eine Bitte –

PRÄSIDENT. Heraus damit.

BARON. Es ist eine Angelegenheit –

PRÄSIDENT. Nur nichts von Geschäften? Die gehören in die Stadt.

BARON. Aber ich komme nicht in die Stadt, und da wir hier eben zusammentreffen –

PRÄSIDENT. So sprechen Sie in's Himmelsnamen. Ihnen zuliebe will ich eine Ausnahme machen. Stellt die Gießkanne weg.

BARON. Sie haben eine Stelle in Ihrem Bureau zu vergeben –

PRÄSIDENT. Ja, sie verlangt einen tüchtigen Juristen und einen rechtlichen Menschen.

BARON. Ich weiß einen solchen; einen wackern und ausgezeichneten jungen Mann. Er bekleidet einen Posten in der Residenz, der weder seinen Talenten, noch seinen Wünschen entspricht. Gegenwärtig ist er hier als Badekommissär.

PRÄSIDENT. Badekommissär? Heißt er nicht Sittig?

BARON. Ja.

PRÄSIDENT. Hm! Der Mensch gefällt mir nicht.

BARON. Kennen Sie ihn?

PRÄSIDENT. Nicht von Person. Er mag Talent haben, das glaub ich auf Ihr Wort; aber steht er nicht in einem Verhältnisse –

BARON. Mit der Tochter des Rat Zabern.

PRÄSIDENT. So?

BARON. Er will heiraten, das macht ihn eben die Beförderung wünschen.

PRÄSIDENT. Will heiraten, und schleppt sich mit andern Frauenzimmern öffentlich herum.

BARON. Mein Freund Sittig? Pure Verleumdung. In dem Punkt ist er völlig rein.

PRÄSIDENT. Nein, nein! Das weiß ich besser. Ich speiste gestern an der Table d'hote, da wurde von nichts gesprochen, als von Sittig, und von einem Verhältnisse mit einer jungen, abenteuernden Witwe, mit welcher er in einer offenen Karosse spazieren fuhr.

BARON beißt in die Lippen. Ja so! Ich weiß von der Geschichte.

PRÄSIDENT. Nun also?

BARON. Der Schein ist allerdings gegen ihn, aber wer die näheren Umstände kennt, wie ich –

PRÄSIDENT. Es soll mich freuen, wenn der junge Mensch besser ist als sein Ruf; aber wir Juristen durchschauen mit einem[327] Blicke alle Verhältnisse. Ich kenne Ihren Sittig nicht, doch ich wette, er ist ein kleiner Roué, eine Art Lovelace. Ich kann in meiner nächsten Umgebung nur unbescholtene Menschen brauchen. – Apropos, lieber Neffe! Wie steht es mit Ihrem Herzen? Haben Sie noch immer keine Lust zu heiraten?

BARON. Sie kennen meine Ansicht über diesen Punkt. Als ich jung war, war ich arm. Man trug mir verschiedene, bedeutende Partien an, ich schlug jede aus. Ich war zu stolz, und vielleicht zu klug, um meine Umstände durch eine reiche Heirat zu verbessern. Ich hatte stets die Grille, ein armes Mädchen zu nehmen. Nun sind meine Verhältnisse geordnet; ich wäre in der Lage, mit einer Frau ein Leben nach meinem Sinne zu führen, aber – ich bin alt geworden.

PRÄSIDENT. Alt? Warum nicht gar! Sie sind ein Mann geworden. Sie müssen heiraten.

BARON. Und dann unsere Damen! Das ist die partie faible der Zeit. Es gibt im Grunde nur zwei Sorten: Ungebildete und Verbildete. Die einen vernähen und verwaschen ihren Geist, die anderen tanzen und konversieren sich um ihr Gefühl. Beide Teile betrachten eine Heirat wie ein Geschäft, eine Anstellung. Sie sind imstande, eine erste Liebe aufzugeben, wenn sich ein Epouseur meldet. Ich danke für beides. Ich mag weder der Verlassene, noch der Erwählte sein.

PRÄSIDENT. Sie sprechen einem alten Junggesellen recht zu Gehör. Aber es gibt Ausnahmen. Alles wohl überlegt, Neffe, wissen Sie, daß ich für Sie eine Partie habe?

BARON. Für mich?

PRÄSIDENT. Ein Mädchen, frisch und schön wie der junge Tag, nicht arm, doch darüber können Sie jetzt wegsehen; natürlich, anmutig, herzensgut, ohne Prätensionen, ein bißchen bizarr, nicht ganz frei von romantischen Grillen – doch das wird Ihnen eben zusagen.

BARON. Die Beschreibung ist anziehend genug. Wer ist der Phönix?

PRÄSIDENT. Die Tochter eines alten Freundes, ein Fräulein von Rosen.

BARON. Fräulein von Rosen?

PRÄSIDENT. Sie ist hier, was mir nicht ganz recht ist. Ich wollte sie noch spät abends besuchen, aber sie war ausgefahren.

BARON. Ausgefahren? – Wissen Sie, mit wem?

PRÄSIDENT. Ich denke, mit ihrem Mädchen.

BARON. Mit keinem Mädchen, mit einem Manne –

PRÄSIDENT. Herr Neffe –[328]

BARON. Mit einem Wort: Fräulein von Rosen ist das Frauenzimmer, mit welchem Sittig spazieren fuhr.

PRÄSIDENT. Ein Irrtum, lieber Neffe! Das war eine Frau von Rosen.

BARON. Frau von Rosen und Fräulein von Rosen sind eine und dieselbe Person.

PRÄSENT. Wie?

BARON. Ihr Schützling gab sich hier für eine Frau aus.

PRÄSIDENT. Wär's möglich! Wie hab' ich mich doch in dem Mädchen getäuscht!

BARON. Sie hat romantische Grillen –

PRÄSIDENT. Romanhafte wollen Sie sagen, wenn es keine schlimmeren Grillen sind.

BARON. Sie ist ein bißchen bizarr –

PRÄSIDENT. Sie ist – nun warte! Dir will ich den Text lesen. Sie ist leichtsinnig, exzentrisch – aber diese Handlung – ist das Mädchen verrückt geworden? Die ganze Welt weiß, daß sie an mich gewiesen ist. Hm! hm! Das ist mir sehr fatal. – Nun ist meine Promenadezeit. Wollen Sie mich begleiten, Neffe?

BARON. Mit Vergnügen.

PRÄSIDENT. Wenn ich es recht bedenke: Ihr Freund kann vielleicht die Anstellung erhalten, wenn er anders brauchbar ist.

BARON. Dafür steh ich.

PRÄSIDENT. Gut! Gut! Aber es hat eine Bedingung – er muß unbescholten sein – die Spazierfahrt muß ausgeglichen werden. – Das verwetterte Mädchen! Nein, nein, sie taugt nicht für Sie! Kommen Sie! Kommen Sie!


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 326-329.
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