Sechster Auftritt.

[53] Vorige. Schmerl, Blase ein Papier in der Hand, dann Hermann und Amalie.


SCHMERL im Auftreten. Papa Blase! Sie sind also einverstanden?

BLASE. Vollkommen. Als Oberhaupt der Familie geb' ich meine Zustimmung. Aber erst die Tochter, dann die Mutter – so ist's in der Ordnung. – Ei, Du bist schon da, liebe Nichte? – Herr Spitz, wo ist Ihr Zögling?

SPITZ. Auf seinem Zimmer.

BLASE. Ganz allein? Was macht er dort?

SPITZ. Er fängt Fliegen und läßt sie wieder aus.

BLASE. Nun, das ist unschädlich. Rufen Sie ihn her.

SPITZ. Sogleich, Herr Blase. Öffnet die Seitenthüre.

BLASE. Nun fehlt noch die Schwägerin.

SCHMERL. Ich will sie holen –

BLASE. Da ist sie schon!


Amalie und Hermann von verschiedenen Seiten treten auf.


SCHMERL Amalien entgegen. Madame Blase-Walter –

BLASE bei Hermann's Eintritt. Da kommt der Held des Tages! Nun können wir anfangen. Nehmt Platz, meine Freunde! Hermann, Auguste, hier zur Rechten; Frau Schwägerin, Herr Schmerl –

SCHMERL geht zu Amalien. Auf der Linken – auf der äußersten Linken!

BLASE. Ich und Herr Spitz bleiben hier in der Mitte.

SCHMERL. Im Centrum – im juste milieu.


Alle setzen sich, bis auf Blase.


BLASE setzt die Brille auf. So eben ist dies Decret aus der Kanzlei angelangt. Liest. »An den wirklichen Gerichts-Assessor Hermann Freiherrn von Eichen zu Eichenthal.«

SCHMERL. Hört, hört!

BLASE. St! Zu Hermann. Diese Schrift enthält Ihre Großjährigkeits-Erklärung. Ich übergebe sie Ihnen, mein geliebter Zögling, und umarme Sie als einen Mann, der von diesem Augenblick an selbstständig und sui juris ist.

SCHMERL halblaut zu Augusten hinüber. Nun ist's nichts mehr mit dem Wickelkind.

AUGUSTE für sich. Was wird er thun? Er sieht mich nicht an –[54]

SPITZ aufstehend. Herr Blase, darf ich mir ein Wort erlauben?

BLASE. Immer zu, Herr Spitz, immer zu! Setzt sich.

SCHMERL. Aber machen Sie's kurz, denn die Linke wird unruhig.

SPITZ zu Hermann. Herr Baron! Das große Werk Ihrer Bildung und Erziehung ist nunmehr unter meiner schwachen Beihilfe segenreich vollendet worden –

SCHMERL. Segenreich? Murren auf der Linken.

SPITZ. Sie sind jetzt großjährig und im vollen Besitze Ihrer Freiheit und Unabhängigkeit –

SCHMERL. Allgemeine Heiterkeit!

SPITZ. In welchem Sinne Sie aber auch in der Folge Ihre Angelegenheiten zu führen gedenken, vergessen Sie nicht, Herr Baron, daß ein getreuer Spitz an Ihrer Seite steht, welcher bereit ist, Ihnen sein Leben lang zu dienen, und sich genau nach einem jeden System zu benehmen, welches Sie einzuschlagen belieben werden. Verneigt sich.

SCHMERL. Aha! Er spricht wie der – Dings da – pro domo – der Cicero.

BLASE steht auf. Genug, Herr Spitz, genug! Über das System ist keine Frage: es ist und bleibt das Blase'sche.

SCHMERL. Abermaliges Murren.

BLASE. Der Herr Assessor kennt uns Beide; er weiß, daß wir sein Bestes wollen. Ihre Kenntnisse werden ihn fortan unterstützen –

SPITZ verneigt sich. So wie Ihre guten Rathschläge – –

BLASE eben so. Ihre Treue und Ergebenheit –

SPITZ. Ihre administrative Weisheit –

SCHMERL zu Amalien. Das Centrum macht sich Complimente – die Linke muß auf der Hut sein.

BLASE. Und nun zu einer andern Frage – zu einer Lebensfrage. Tritt zu mir, liebe Nichte – Herr Assessor, Ihre Hand –


Auguste steht auf, wie auch die Übrigen.


AUGUSTE für sich. Was wird er thun? Wie wird er sich benehmen?

BLASE will seine Hand ergreifen. Herr Assessor –

HERMANN entzieht sich ihm. Verzeihen Sie, Herr Blase! – Ich bin nun großjährig und somit selbstständig, nicht wahr?

BLASE. Selbstständig?[55]

SCHMERL. Das versteht sich! Die Freiheit ist Ihnen – Dings da – octroyirt.

BLASE. Das heißt, bis wir sie ihm wieder wegnehmen.

HERMANN anfangs unsicher. Ich bin von nun an Herr meines Willen, meiner Person – und so will ich vor Allem in Zukunft meine Güter selbst verwalten.

AUGUSTE für sich. Nicht übel!

BLASE. Selbst verwalten?

SCHMERL. Die Opposition billigt das.

BLASE. Selbst verwalten! Da haben wir wieder die freien Ideen! – Aber bester Herr Assessor –

HERMANN. Genug, Herr Blase! Ich habe meinen Willen – will ihn haben.

AUGUSTE für sich. Sieh' doch!

BLASE. Ihren Willen?

SCHMERL. Was denn sonst? Zu Amalien. Nun wird's mir klar: es ist ein versteckter – Dings da – ein Brutus, den man anfangs auch immer für einen Simplex hielt. – Nur zu, junger Mann! Opposition, nur Opposition!

HERMANN. Ich weiß aus guter Quelle, wie übel man auf meinen Gütern gewirthschaftet hat. Ich weiß, daß dort Reformen nöthig sind.

BLASE. Was? Reformen?

SCHMERL. Reformen! Freilich, freilich! Nichts als Reformen! – Nur zu, junger Brutus! Nur zu!

HERMANN mit steigender Sicherheit. Dieser Brief eines wackern Mannes hat mich aufgeklärt.

BLASE fragend zu Spitz. Ein Brief?

SPITZ leise. Er ist vom Waldmeister –

HERMANN. Ich erfahre daraus, welche Fehler sich eine leichtsinnige und unwissende Administration hat zu Schulden kommen lassen – aber das soll nicht so bleiben! Meine Wälder sollen nicht länger ausgerottet werden; ich will neue Pflanzungen anlegen, neue Bauten herstellen, Sümpfe und Moräste austrocknen –

SCHMERL. So ist's recht! Keine Sümpfe mehr! Bloß Opposition!

BLASE. Keine Sümpfe? Das sind Schwärmereien! – Hören Sie, junger Mensch – mir fehlen die Worte! Ich hätte gute Lust, Sie unter Curatel setzen zu lassen –

SCHMERL. Die Linke protestirt –[56]

HERMANN. Unter Curatel?

BLASE. Jetzt, gleich, im Augenblick. Ich gehe zum Präsidenten –

HERMANN. Zum Präsidenten? Und unter Curatel? Geht auf Blase los, welcher zurückweicht. Unter Curatel! – Herr Blase, ich habe lange geschlummert, aber ich bin jetzt erwacht – die Augen sind mir geöffnet. Man hat beispiellos an mir gehandelt – beispiellos –

SCHMERL. Das find' ich auch! Beispiellos!

AMALIE die ihn immer zurückzuhalten sucht. Nicht doch, Herr Schmerl!

SCHMERL. Er hat Recht, Madame Blase-Walter! Beispiellos!

BLASE sieht sich wie nach Hilfe um. Herr Spitz!

SPITZ nähert sich. Aber bester Herr Baron –

HERMANN. Auch Sie, Herr Spitz!

SPITZ. Ich?

HERMANN geht auf ihn zu. Auch Sie! besonders Sie!

SCHMERL eben so. Ja Sie! Sie ganz allein.

HERMANN. Mein Lebensglück ist zerstört – vielleicht für immer zerstört – Sie tragen die Schuld.

SCHMERL. Sie! Ja, Sie!

SPITZ mit einem Seitenblick auf Auguste. Ihr Lebensglück? Wer weiß! Es läßt sich wohl wieder herstellen. Frischen Muth, Herr Baron! Sie sind jung und kräftig – noch ist nichts verloren.

HERMANN. Ich bin leider, wozu Sie mich erzogen haben, Herr Spitz! Ohne Thatkraft, unpraktisch, unwissend –

SPITZ. Unwissend? Und Ihr Griechisch, Ihr Latein? Die Astronomie? Die Botanik?

HERMANN. Ja, es ist wahr: Sie haben eine Menge von Kenntnissen in meinen Kopf gepfropft – nun seh' ich es ein: es war weniger, um meinen Geist zu nähren, zu bilden, als ihn zu ersticken, zu tödten. Sie haben Cicero's Periodenbau und Linnée's Nomenclaturen zu Hilfe gerufen, um mich in leeres Formelwesen zu verstricken; Sie haben einen Gelehrten, einen Pedanten aus mir machen wollen – aber Sie haben mich zu keinem Menschen gemacht. Und wenn ich jetzt im Frühling meiner Tage rathlos, hilflos, verlassen dastehe, so tragen Sie die Schuld, Sie ganz allein! Denn Sie haben mir nicht mein eigenes Innere, nicht[57] Menschenseele und Geist, nicht die Blätter der Geschichte aufgeschlossen – Sie haben mich bloß Griechisch gelehrt! Sie ließen mich die Staubfäden der Pflanzen zählen, aber Sie lehrten mich nicht den Boden kennen, in welchem sie wurzeln, der mir gehört, das Erbe meiner Väter, das ich bebauen, besäen, befruchten, auf dem ich arbeiten sollte. Sie wiesen mir den Orion, die Cassiopeia, die Sternbilder des Himmels, aber Sie verschwiegen mir, daß unter diesen schönen Sternen meine Unterthanen traurig umherwandeln und klagen – über mich, ihren Herrn, ihren angebornen Beschützer, der sie verkümmern, verderben, verschmachten läßt! Über Sie diese Klagen, Herr Spitz! Über Sie, über Sie!

SCHMERL. Ja, über Sie! – Anhaltender Beifall auf der Linken. Über Sie!

AUGUSTE für sich. Wie feurig er spricht! Ich hätt' ihm's nicht zugetraut.

HERMANN. Und nun genug! Ich will fort. – Wo ist mein Hut?

SPITZ. Sogleich, Herr Baron – Eilt in das Nebenzimmer.

HERMANN. Leben Sie wohl, Herr Blase. Ich gehe, den ersten Schritt zu meiner Befreiung zu thun.

SPITZ kommt zurück mit Hermann's Hut, seinen eigenen verborgen haltend. Hier ist der Hut –

HERMANN. Leben Sie wohl – Alle wohl. Die Zeit der Kindheit ist vorüber – nun will ich werden, was ich Andern, was ich mir selbst versprach: ein Mann, ein neuer Mensch! Leben Sie wohl, Alle mit einander! Ab.

SPITZ. Den neuen Menschen wollen wir für's Erste doch ein bischen überwachen! Schleicht ihm nach.

AUGUSTE für sich. Er geht – er ist fort –

SCHMERL. Der Simplex hat sich vollständig emancipirt – die Rechte ist zur Linken übergetreten – das Centrum ist gesprengt, vollständiger Sieg der Opposition! Reibt munter die Hände, auf und abgehend.

AUGUSTE wie oben. Er ist fort – was hat er vor? Er ist fort – und hat mich nicht einmal angesehen – Geht langsam in ihr Zimmer.


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 53-58.
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