370. Das Männlein auf dem Rücken

[258] Ein Seiler aus Torgau, der über Land gewesen war und seines Weges heimwärts wandelte, traf einen Knaben auf[258] dem Felde an, der saß am Boden, hatte ein Brettspiel vor sich liegen und spielte in demselben. Da der Weg nicht breit war und das Knäblein schier mitten im Wege saß, so stieß der Seiler im Überschreiten an das Brett, so daß die Steine sich verschoben. Da schrie der Knabe: Warum verrücket Ihr mein Brettspiel? Wartet nur, mein Vater wird's Euch danken! Und rückte darauf seine Steine wieder in Ordnung, und der Seiler ging weiter. Nicht lange währte es, etwa nach hundert Schritten, so holte der Mann ein uraltes graues greises Männlein ein, das sehr müde schien und ihn ansprach, es sei gar so müde, er möge es doch tragen. Des lachte der Seiler über die Maßen; ob das Männlein ihn für ein Kameel halte, das einen alten Affen tragen müsse? – Mußt doch tragen, mußt doch tragen! Hast meinem Söhnlein das Spiel verrückt! rief das Männlein und sprang mir nichts dir nichts dem Seiler auf den Rücken und war so schwer, ach so schwer, und jener mochte schütteln und rütteln, wie er wollte, er rüttelte und schüttelte das alte Männlein nimmer ab. Und so hockelte er es bis vor das Tor von Torgau, dort fiel es von ihm wie ein Nußsack und war verschwunden. Von Zorn und Angst und Mattigkeit schwach und krank kam der Seiler nach Hause, und nach zehn Tagen war er tot. Nun hatte der Seiler einen kleinen Sohn, der jammerte und schrie unsaglich, da trat das Bübchen zu ihm, dem sein Vater das Spiel verstört, und sprach: Höre auf zu klagen und zu weinen. Deinem Vater ist ganz wohl geschehen. Bald sollst du und deine Mutter ihm nachfolgen, denn es wird eine gar schlimme Zeit kommen in Preußen, Meißen und Reußen, darinnen niemand besser sein wird als denen, die gestorben sind. – Das geschah im Jahre 1669, und gingen bald darauf der Kriegstroublen genug durch die Länder, da der Kurfürst von Brandenburg mit einer Armee von zweiundzwanzigtausend Mann zu Roß und zu Fuß aufbrach und gegen die in Deutschland eingefallenen Franzosen zu Felde zog und andere deutsche Völker sich ihm verbündeten.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 258-259.
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