Capitul XIX
Wie er sich in die Gräfin verliebt, und was der Doctor ohne Bart für eine Oration gehalten

[51] Dieser Phantast hätte seinen Sermon nach Art der heutigen Oratorum noch weiter hinausgeführet, wenn nicht der Spitalmeister von der Compagnie wäre gebeten worden, das Gefängnis dieses elenden Menschen zu verlassen und einen andern Eselskopf zu zeigen, weil sie gesonnen waren, bald wiederum zurückezugehen. Hiermit führte er uns über eine Treppe weiter hinauf, und in dem Hingang erzählte er uns, wie eigentlich dieser Mensch zum Narren geworden wäre. »Ihr Herren«, sagte er, »dieser Mensch ist sonst seiner Profession ein Student. Einstmals hatte er das Glück, bei einer großen Tafel zu erscheinen, daselbsten die absonderliche Pracht anzusehen, und weil ein gräfliches Fräulein seinen Augen entgegen saß, verliebte er sich in diese mit unaufhörlichem Seufzen. Er hat oft bedauert, daß er und dieses Fräulein dazumal nicht in Rom gelebet, als das Oraculum der ganzen Stadt einen plötzlichen Untergang drohete. Alsdann vermeinte er, wollte er sich gleich dem Curtio gerne in die flammenspeiende Grube geworfen haben, dieses Fräuleins nur einer Nacht zu genießen. In Summa, die Lieb trieb diesen Stümper so weit, daß, als er gar keine Möglichkeit sah, mit dem Fräulein in Conversation zu gelangen, so resolvierte er sich, nur das Fräulein zu sehen, in einen Kamin zu steigen; denn es gab sonsten keine Gelegenheit, in den Garten zu sehen, in welchem sie dazumal mit etlichem Frauenzimmer und[51] Cavalieren spazieren ging. Er konnte ein bißchen auf der Harfe spielen, und damit solches dem Fräulein möchte zu Ohren kommen, zog er solches Instrument an einem Stricke nach sich hinauf und accomodierte sich, nach aller Möglichkeit ein Liedlein zu spielen. Aber ich weiß nicht, geschah es aus Ungelegenheit des Orts oder aus allzugroßer Liebe, daß der unglückselige Mensch samt seiner Harfe den Kamin herunterfiel und länger denn zwei Stunden für tot gehalten wurde. So ist er von derselben Stund nicht mehr bei Sinnen gewesen.«

»Ha«, sagte Lorenz, »solche Flegel gibt es anitzo unter den jungen Purschen, die verlieben sich stracks in hohe Personen. Was sind aber diese für unbeschreibliche Narren! Ich weiß mir meine Zeit besser zu vertreiben, gelt Hans? Eine gute Pfeife Toback schmeckt besser, als wenn einer soll den Kamin herunterpurzeln, saprament, Hans, tanti poenitere non emo. Herr Spitalmeister, zeigt uns einen andern Narren.«

Auf solches führte er uns etliche Kammern vorbei, welche mit Numero 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 und so fort bezeichnet waren. In diesen Kammern hörten wir teils geigen, teils singen und auf andern Instrumenten spielen. Da berichtete uns der Spitalmeister, daß solche musikalische Narren wären, die sich über der Composition, über dem Solmisieren und über Auszählung des Tons zu Narren studiert und meditiert hätten. Unter diesen wären ihrer etliche, die wollten nicht leiden, daß man sagen sollte Hackbrett, sondern man solle es Clavicimbal heißen. Dieselben Narren hatten die Zelle Numero 1. Andere disputierten, es wäre besser, wenn man die Knaben g, a, b, c, d, e solmisieren lernte als Ut, re, mi, fa, sol, la. Diese Narren waren in Numero 2 logieret. Die dritte Zelle hatten die närrischen Contrapunctisten inne, die vierte die Bergsänger mit ihren Coloraturen und Cogritzen. In der fünften lagen diese gefangen, welche, ihre erlernte Musik zu probieren, sich von ihrem Lehrmeister haben Lehrbriefe geben und sich frei und ledig sprechen lassen. Die sechste beschloß diejenigen, welche meinen, sie sind Meister alleine und sonst niemand. Dieses war fast die allergrößeste Zahl. In der siebenten saßen diese, welche fremde Autores auf die Stücke zu schreiben pflegen, der Composition ein desto besseres Ansehen zu machen. In der achten Kammer war der anzutreffen, der im Satyrischen Componisten so gute Virtuosos durchgezogen. Die neunte Kammer war mit hölzernen Singetafeln, wie man in den Gymnasiis brauchet, angefüllet. Mit einem Wort, wer da alles beschreiben wollte, der würde in Wahrheit eine unmögliche Arbeit auf sich nehmen. Es hatten auch diese keine kleine Zelle in Besitz, welche sagen, kein Teutscher könnte eine französische Partie machen. Anderer Narren zu geschweigen, welche wie die Hummeln und Wespen übereinander her wimmelten, daß man einen vor dem andern kaum kennen konnte. Als wir nun bei[52] jeder Zelle bei dem Loche hineingegucket, eileten wir über eine andere Treppe wieder hinunter, denn der Spitalmeister wollte uns den berufenen Doctor ohne Bart zeigen, dessen Person wir alle zu sehen so sehr gewunschen.

Sobald er vor dessen Gitter den Vorladen aufgeschlossen, guckte er wie eine Spitzmaus hervor und »Ihr Herren«, fing er an, »Ihr seid eben diejenigen, so contra legem Juliam gesündiget haben. Ihr habt Euch in re forensi verstoßen, denn Ihr habt mir meine Tauben vom Markte hinweggefangen. Ins Carcer mit Euch, Ihr Windmüller. Ach, was bin ich für ein großer Narre, daß ich bin Doctor geworden! Ich war vor diesem eine vornehme Jungfer in Siebenbürgen. Da beschlief mich erstlich die Hoffahrt, darnach der Stolz, zum dritten der Ehrgeiz. Diese drei Galgenvögel machten einen Doctor aus mir, und derselbe Doctor machte mich zum Narren. Zwar Aulus Gellius ist noch gut genug. Ich wollte, daß ich meine Harfe bei Handen hätte, ich wollte ihm ein Epitaphium aufspielen. Sum Doctor, licet non barbatus, sat tamen doctus, os loquitur non barba, ergo sufficit me habere os. Mein Bart ist ein ens in potentia, und ihr seid Bärenhäuter in Duodez. Ich will das ganze Römische Reich in einen andern Model gießen. Anitzo lasse ich einen Backofen bauen, daran arbeiten zweiundfünfzig Philosophi in genere. In demselben Backofen da will ich ernstlich die juris consultos backen, hernach will ich die Theologos lutheranae religionis, darnach die Jesuiten und alle Diphthongos hineinschieben. Die will ich ausbacken als der beste Bäcker in rerum natura vermag. Alsdann will ich auch die Calender anders backen, und die Fundamenta will ich anders drechseln lassen, da werdet Ihr felicissimam Rempublicam sehen, als noch niemalen bei den Römern gestanden. Alsdann wird Julius Caesar wieder vom Grab aufstehen, und alle Potentaten werden viel Geld drum geben, wenn ich ihnen nur den geringsten Ratschlag oder sonsten ein arcanum politicum communizieren werde. Aber da werde ich meinen Kram teuer halten und nichts ohne sonderlichen Profit verhandeln. Damit man mich aber vor großer Begierde, die wegen meiner Prudenz unter dem Volke sein wird, nicht zerreiße, so will ich mich heimlich in einen Waldmann oder Kräuterhändler verkleiden und will mit der grünen Kräuter- und Waldsalbe in dem Land auf den Märkten herumziehen. ›Seht Ihr, liebe Herren‹, will ich sagen, ›ich bin der bekannte Kräutermann, der belobte Wurzelmann und der berühmte Waldmann. Meinen Vater, wie Ihr wohl wisset, hat man nur den berühmten Wurzelarzt geheißen. Er ist's auch gewesen, und ich bin ihm in der Kunst nachgefolget. Habt Ihr Zähnwehtage, plagt Euch die Mundfäule oder der giftige Scharbock, seht Ihr, meine lieben Herren, braucht eine Haselnuß groß von meiner approbierten Kräutersalbe, es hemmet die Schmerzen, stillet die Wehtage und benimmet[53] das Reißen im Kopfe. Ihr werdet sagen, glückselig sei der Tag, glückselig sei die Stund, da ich diesen wohl geexaminierten und wohl approbierten Kräutermann, den berufenen Waldmann angetroffen. Seht Ihr, meine lieben Herren, ich bin kein Possenreißer noch Leutbescheißer, meine herrlichen Testimoni weisen's aus, wer ich bin und wo ich meine heilsame Arznei gebraucht habe. Habt Ihr Schmerzen in der Leber, sticht es Euch in der Lunge oder drückt Euch die Milz? Seht Ihr, meine lieben Herren, ein Tropfen oder zwei von meiner Spirituoser-Essenz in einen warmen Löffel voll Wein gegossen, habt Ihr keinen Wein, so nehmet warmes Bier, es hilft von Stund an, die Schmerzen nehmen ab, das Stechen leget sich, die Milz gibt sich zufrieden, wie denn der beigelegte Zettel ein mehrers ausweisen wird. Ich grabe die Wurzel und Medicament mit eigener Hand aus der Erden, kaufe sie nicht wie andere Leutbetrüger, seht Ihr, meine Herren, aus den Apotheken, sondern ich bringe sie mit Leib und Lebens Gefahr aus dem Schweizer Gebürg, allwo sich des Jahrs wohl hundert Menschen versteigen und von den wilden Tieren, seht Ihr, meine Herren, zerrissen werden. Mit solcher Gefahr bringe ich die Wurzel dem gemeinen Mann zum besten allhier. Habt Ihr das Augentriefen, nehmt einen Tropfen oder zwei von meinem Augenwasser, streicht es mit einem subtilen Federlein wohl hinein, haltet darauf das Aug mit der rechten, und mit der linken Hand haltet den Arsch zu, so fällt Euch nichts ins Aug und entgehet Euch kein Furz. Seht Ihr, liebe Herren, so muß man sich in acht nehmen, wer in der Welt fortkommen will. Kaufet in der Zeit, so habt Ihr in der Not. Das Jahr ist lang, der Tage sind viel, der Stunden sind noch mehr, was heute nicht geschieht, das kann morgen geschehen. Ich bin kein Landfahrer, der etwa mit Agspat, Inslicht und Wachs zusammenschmelzet oder grüne Butter für Wundsalbe verkaufet, nein, Ihr Herren, ein solcher bin ich nicht, hab es auch nicht begehret zu sein. Ich hab in der Stadt Augsburg (damit zog er den Hut ab) wohl für achtzig Taler Ware verkaufet. Wäre sie nicht gut gewesen, ich hätte sie noch. Möcht aber ein oder der andere fragen: Mein lieber Waldmann, mein geehrter Wurzelmann, du sagst mir wohl viel von deiner Arzenei, wie gibst du sie denn? Wie hoch hältstu sie? Seht Ihr, meine lieben Bürger und Bauren, denen gebe ich zur Antwort: Erstlich soll der geneigte Liebhaber haben ein Büchslein von meinem köstlichen Medritat. Zum andern ein Schächtlein von meiner approbierten Kräut- und Wundsalbe, vors dritte ein Gläslein meines spirituösen Augenwässerleins, vors vierte ein Stück von der approbierten Gämswurzel, und zum fünften verehre ich auch allen Liebhabern als zum Überfluß ein Zetlein meines stattlichen Zahnpulvers. Wie jedes zu gebrauchen sei, das habt Ihr in dem gedruckten Zettel zu lesen, könnt Ihr nicht lesen, so lasset Euch's andere vorlesen. Alle diese erzählten Stücke, seht Ihr, meine lieben Herren, gebe ich zusammen und habe sie den Liebhabern hohen und niedrigen Standes verkaufet und verehret für einen Groschen, für[54] einen Groschen, seht Ihr, meine lieben Herren, es ist ein Lumpengeld, ein Branntweingeld. Mancher spielet und verlieret in einer halben Stunde wohl zwölf Taler und hat nichts davon als Krauen in dem Nacken und großes Herzeleid, versäumt darüber meine kostbaren Medicamenten. Seht Ihr, liebe Herren, Ihr bezahlt mir kaum das Papier, geschweige die kostbare Arzenei, und ich verehre sie Euch nur darum, daß ich desto besser unter Euch, Ihr meine Herren, bekannt und kundig werde. Darum versehe sich ein jeder in Zeiten, wenn ich wieder hinweg bin, so ist's zu spat, und so Ihr hernach tausend Taler für ein Büchslein Medritat geben wollet, so ist's umsonst und vergebens. Darum, Ihr meine Herren, wer Belieben trägt, der werfe sein Servet herauf, alle diese Stück sind ihm von mir als approbiertem Kräutermann zum Neuen Jahre geschenket und verehret.‹«

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 51-55.
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