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[141] Vorige, Langenberg in Bürgerwehruniform.
LANGENBERG. Da bin ich wieder. Was ist das? Bleibt erstaunt stehen.
CONSTANZE für sich. O weh nun ist alles verloren.
MORITZ verbirgt möglichst sein Gesicht vor Langenberg.
LANGENBERG. Sie haben Gesellschaft, Constanze, und ich weiß kein Wort? So recht hinter meinem Rücken? Sonderbar. Und Sie Herr Hauptmann?[141]
HAUPTMANN. Sie werden von der Haussuchung gehört haben, die ich anstellen mußte?
LANGENBERG. Allerdings.
HAUPTMANN. Diese nöthigte mich auch Ihre Fräulein Mündel zu belästigen. Doch ich habe auch hier nichts gefunden und alles ist in Ordnung.
LANGENBERG. Aber Constanze, ich begreife in der That nicht –
HAUPTMANN. Lassen Sie, Freund, dieser Herr hat dem Fräulein einen Gruß von ihrem Bruder aus London gebracht und der zweite Herr dient ihm zum Führer.
LANGENBERG. Und dieser Diener?
HAUPTMANN. Ist ja des Fräuleins Diener, wie sie sagt.
LANGENBERG. Seit wann haben Sie denn einen Diener, von dem ich nichts weiß?
HAUPTMANN argwöhnisch. Sie wissen nichts davon?
LANGENBERG. Kein Wort. Constanze hat nie einen Diener gehabt. Wohl ihr Bruder, allein der hat den seinigen mit nach England genommen.
HAUPTMANN. Wie ist das, mein Fräulein?
CONSTANZE sich zusammennehmend. Hier herrscht ein Mißverständniß. Das ist der Diener des Mister Steffenson, der meinem Kammermädchen etwas zur Hand geht.
HAUPTMANN. Sie sagten aber doch es sei der Ihrige?
CONSTANZE. Nicht doch, Sie fragten: ist das ein Diener und ich antwortete: ja.
HAUPTMANN. Ich fragte ausdrücklich, ob das Ihr Diener wäre.
CONSTANZE. So habe ich Sie falsch verstanden.
HAUPTMANN. Mein Fräulein, das ist doch sonderbar. Ich will nicht hoffen daß Sie aus übel angebrachter Gutmüthigkeit – ich muß doch diese Herren bitten sich etwas näher auszuweisen. Zu Backes. Können Sie das?
BACKES bejahend. No, no!
CONSTANZE. Der Herr versteht Sie nicht.
HAUPTMANN leise zu Langenberg. Können Sie nicht englisch?[142]
LANGENBERG leise. Kein Wort.
HAUPTMANN leise. Das ist dumm.
LANGENBERG leise. Ich habe es einmal lernen sollen, allein ich hielt es für überflüssig. Verdammt, jetzt könnte man es brauchen.
HAUPTMANN laut. Der Herr reist doch sicher nicht ohne Papiere?
CONSTANZE lachend. Ich pfusche zwar der Polizei in's Handwerk, wenn ich nach dem Passe frage, allein ich muß Ihnen wol etwas helfen Zu Backes. Have you a passport, Sir?
BACKES. Yes, yes.
CONSTANZE. Der Herr hat seine Papiere im Gasthofe. Doch mir fällt eben ein, ich habe ja den Brief hier, den mir Mister Steffenson von meinem Bruder überbracht hat, vielleicht kann der zum Beweise dienen.
HAUPTMANN. Ein Brief?
CONSTANZE nimmt den Brief vom Arbeitstische. Hier ist er.
HAUPTMANN besieht ihn, zu Langenberg. Der Brief ist ohne Poststempel, hier steht: durch Güte, er ist also offenbar überbracht worden.
LANGENBERG leise. Es kann auch ein alter Brief sein.
HAUPTMANN. Mein Fräulein, darf ich das Datum nachsehen?
CONSTANZE. Sie gehen sehr genau zu Werke – indessen um meinen Gast vor Unannehmlichkeiten zu schützen – der Brief enthält keine Geheimnisse, sehen Sie nach.
HAUPTMANN öffnet den Brief. London, den vierten, Halb für sich. heute ist der sechste, der Brief ist also ganz neu. Zu Constanzen. Kommt der Herr gerade aus London?
CONSTANZE. Er ist ohne Unterbrechung gereist und heute Mittag hier angekommen.
HAUPTMANN. Schön, dieser Brief genügt mir vollkommen zum Ausweis für diesen Herrn. Und dann wird es ja wol mit Herrn Heinrich Beier auch seine Nichtigkeit haben.
LANGENBERG. Heinrich Beier? Wer ist Heinrich Beier?
HAUPTMANN. Da.[143]
LANGENBERG. Der? Das ist ja Herr Moritz Hartmuth, der Sohn des reichen Gutsbesitzers!
CONSTANZE für sich. Jetzt ist es aus!
HAUPTMANN. Wie ist das? Ein falscher Name? Mein Fräulein, Ihre Verlegenheit, die Sie hinter Lachen zu verbergen suchten, ist mir gleich aufgefallen, jetzt ertappe ich Sie auf einer Unwahrheit! Was soll ich davon denken?
BACKES rückt leise seinen Sessel zum Entspringen.
HAHNENBEIN faltet bittend die Hände und will knieen. Ich bin ganz –
GUSTCHEN hält ihm rasch den Mund zu.
CONSTANZE in höchster Verlegenheit. Ich weiß nicht –
MORITZ munter. Mein Fräulein, hier hilft nun kein Leugnen mehr, sagen Sie die Wahrheit.
CONSTANZE. Die Wahrheit? Sie meinen –
MORITZ. Verborgen kann es doch nicht bleiben, erklären Sie den Herren in welchem Verhältnisse wir stehen.
LANGENBERG. Verhältnisse? Sie stehen in einem Verhältnisse?
HAUPTMANN. Und in welchem?
MORITZ. Holde Scham! Wie schwer das Wort über ihre Lippen geht. Ich bin –
CONSTANZE. Dieser Herr ist –
HAUPTMANN. Nun?
CONSTANZE. Mein Verlobter.
LANGENBERG schreiend. Verlobter! Constanze, was muß ich hören!
MORITZ ist schon früher aufgestanden, reicht jetzt Constanzen die Hand und führt sie hinter dem Tische vor. Und mit dieser Erklärung werden sich alle Mißverständnisse lösen. Immer launig. Unser Verhältniß hat sich ohne Wissen des Herrn Vormunds, vielleicht auch etwas gegen seinen Willen gemacht und sollte ein Geheimniß bleiben bis zur Zurückkunft des Bruders meiner Braut. Daher war sie verlegen, als Sie mich hier fanden, darum legte sie mir einen falschen Namen bei. Als der Lärm auf der Straße begann, eilte ich hierher, um meine Braut nöthigenfalls nicht[144] ohne Schutz zu lassen. Mister Steffenson kam beinahe gleich zeitig mit mir und zwar sehr gelegen, denn Constanze konnte uns zusammen zum Thee da behalten, während ich allein der Schicklichkeit halber nicht hätte dableiben dürfen. Den Herrn Vormund glaubten wir auf der Wache festgehalten und fürchteten nicht von ihm überrascht zu werden. Ich hoffe jetzt ist Ihnen des Fräuleins Verlegenheit und ihre kleine Nothlüge erklärlich.
HAUPTMANN. Vollkommen. Ich bin Ihnen nun schon zu lange lästig gewesen. Mein Fräulein, nehmen Sie meinen besten Glückwunsch und schlafen Sie wohl. Mit Gruß gegen die Uebrigen ab.
GUSTCHEN leuchtet ihm hinaus und kommt nicht wieder.
LANGENBERG. Aber Constanze, was soll ich davon denken? Das ist ja gar nicht möglich, so rasch knüpft man doch derartige Verhältnisse nicht!
CONSTANZE schelmisch. O das ist auch nicht so rasch gegangen, Herr Vormund; Sie waren doch wirklich auf der rechten Spur, als Sie vorhin auf Herrn Hartmuth anspielten.
LANGENBERG zu Constanze. Aber gestern hatten Sie doch den Herrn noch nicht einmal gesprochen, Zu Moritz. Sie baten ja so flehentlich um eine Unterredung, um eine Antwort nur?
MORITZ. Ei woher wissen Sie denn das?
CONSTANZE. Ei ei Herr Vormund, haben Sie vielleicht die Briefe dieses Herrn gelesen?
MORITZ. Von denen keiner an das Fräulein gelangte?
CONSTANZE. Die Sie also unterschlagen haben müssen?
LANGENBERG beschämt, weiß sich nicht mehr zu helfen. Angenehme Ruhe. Ab.
CONSTANZE. Gott sei Dank, ich athme wieder auf.
BACKES steht auf. Aber Donnerwetter, Fräulein, was können Sie prächtig lügen.
HAHNENBEIN kommt vor. Wie gedruckt! Ach ich habe Todesangst ausgestanden.
Stellung: Constanze, Moritz, Backes, Hahnenbein.
CONSTANZE. Ich schäme mich vor mir selbst! So viele Unwahrheiten zu sagen![145]
MORITZ. Ach ja, Sie haben Recht, so viele Unwahrheiten würden Ihr Gewissen zu schwer drücken, eine wenigstens muß zu einer Wahrheit werden. Halb bittend, halb fragend. Meine holde Braut?
CONSTANZE. Mein Herr!
MORITZ. Wollten Sie Ihr Wort zurücknehmen? Bittend. O nein, Sie thun es nicht.
CONSTANZE schmollend. Kann ich's denn nach meiner öffentlichen Erklärung?
MORITZ zieht an sich. Meine holde Braut! Wer hätte das vor einer Stunde gedacht! Jubelnd. Glücklich! Verlobt! Lachend. Und vor diesen Zeugen. Doch da fällt mir ein daß wir Sie schon zu lange belästigt haben – es wird spät, wir müssen Sie allein lassen. Kommt, ihr würdigen Volksmänner, wenn es dem Herrn Hauptmanne doch noch einfallen sollte in der Stadt London nach Mister Steffenson zu fragen, müßt ihr in Sicherheit sein. Zärtlich. Gute Nacht, Constanze, träumen Sie süß – mich, ach mich läßt die Freude die ganze Nacht nicht schlafen.
BACKES. Wir danken auch schön daß Sie uns aus der Patsche geholfen haben.
HAHNENBEIN. Meine sieben Kinder sollen für Sie beten.
CONSTANZE. Hartmuth – und ihr Männer, noch eins! Ihr baut keine Barricaden wieder, versprecht mir das.
HAHNENBEIN. Niemals! Ach Gott ich bin ja so nur gezwungen worden.
BACKES. Ich habe heute auch ein Haar darin gefunden.
MORITZ. Niemals Constanze, es müßte denn sein dich mein süßes Weib zu vertheidigen. Umarmt sie.
Der Vorhang fällt rasch.
[146]
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Die Lügnerin
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