[214] Es waren einige Stunden seit der Abreise der kriegerischen Freunde verflossen, als sich der Graf nach dem Zimmer des Generals begab und, indem er freundlich an dessen Lager trat, ihn lächelnd fragte: Willst Du mich noch länger von Deinem Angesicht verbannen? Die Frage kann nicht Dein Ernst sein, antwortete der General, indem er sich auf seinem Lager empor richtete und dem Grafen die Hand des gesunden Armes bot. Er zwang sich zum Lächeln, indem er hinzusetzte: Sehr verschieden von dem ersten Male siehst[214] Du mich jetzt zum zweiten Mal unter Deinem Dache. Daß dieß möglich sein könnte, würde ich noch vor Kurzem nicht geglaubt haben.
Der Graf hatte während dieser Rede seinen Freund genauer betrachtet, und er erstaunte über die große Veränderung, die er bemerken mußte. Auffallend alt war der General in den wenigen Jahren geworden, und die Heiterkeit, die sonst unzerstörbar in seinen Augen glänzte und um seine Lippen spielte, war durch eine finstere Schwermuth verdrängt worden, die dem Gesichte einen für den Grafen fremden Ausdruck gab. Auf die mit einiger Bitterkeit ausgesprochene Bemerkung des Generals erwiederte der Graf, um dessen trübe Stimmung zu mildern, daß der Krieg so manchen Wechsel des Geschicks herbei führe, daß man sich eigentlich über keinen wundern dürfe. Der General schwieg unmuthig und fragte endlich: Sind Deine siegenden Freunde weiter gezogen?
Sie sind alle abgereist, antwortete der Graf. Aber vergib, fuhr er fort, ich kann es nicht mit dem ritterlichen Charakter eines französischen Kriegers vereinigen, daß Du so finster grollend einen glücklichen, tapferen Feind betrachtest. Du hast weder meinen Vetter noch seinen Freund sehen wollen, die doch, wie Du zugeben mußt, nur ihre Pflicht erfüllten, indem sie Dich bekämpften, und ich gestehe[215] Dir, daß es mich befremdet, zu sehen, daß Du Feindschaft bewahrst, wenn der Kampf geendigt ist, denn das ist gegen alle mir bekannte französische Sitte.
Du beurtheilst mich ganz falsch, sagte der General; ich müßte eine lange Geschichte erzählen, um Dich darüber aufzuklären. Es ist das Tragische des Krieges, daß gerade die bravsten Leute sich gegenseitig erschlagen, denn die Feigen suchen sich in Sicherheit zu bringen. Man gewöhnt sich an solche Erschütterungen wie an jede andere und achtet den braven Feind, der unsere braven Kameraden vernichtet; aber zuweilen ist ein solcher Fall mit so schmerzlichen Nebenumständen verbunden, daß man doch, wenn es möglich ist, den Anblick des Gegners meidet, wo man nur friedlich mit ihm zusammen treffen darf und ihm noch obendrein verpflichtet ist.
Es trat ein neues Schweigen ein. Der Graf hielt die Hand seines Freundes und betrachtete ihn stumm, denn er mochte nicht durch eine Frage, die zudringlich hätte erscheinen können, das Gespräch wieder erneuern. Endlich begann der General wieder die Unterredung, indem er sagte: Wenn ich Dir die letzten Ereignisse meines Lebens mittheile, wirst Du es natürlich finden, daß ich ernster gestimmt bin als früher.
Der Graf drückte die Hand des Freundes zum Zeichen, daß er bereit sei zu hören, und dieser fuhr fort: Du weist,[216] daß ich mich in Paris verheirathet hatte. Ich besaß eine junge, schöne, reiche und liebenswürdige Frau, und dieß wäre ein großes Glück gewesen, wenn uns Napoleon verstattet hätte, ein solches Glück zu genießen; aber bald in Spanien, bald in Deutschland und im hohen Norden kämpfend lebte ich getrennt von meiner Gattin, und das kurze, flüchtige Beisammensein, das die Umstände zuweilen erlaubten, diente nur dazu, den Schmerz der Trennung zu schärfen. Indem ich mir bewußt war ein großes Vermögen zu besitzen, mußte ich Entbehrungen erdulden, die zu schauderhaft sind, um sie zu wiederholen; und nicht allein in meiner Brust entstand ein Unwillen über Kriege, deren Zweck wir nicht einzusehen vermochten, sondern die Stimmung wurde ziemlich allgemein in der Armee, besonders, als der entsetzliche Rückzug aus Moskau angetreten werden mußte. Die furchtbarste Kälte, der schauderhafteste Mangel wüthete mehr als der Feind in unseren Schaaren, und der Einfluß dieses Elends war so mächtig, daß alle Bande der Ordnung und des Gehorsams sich auflösten. In diesem Zustande war jedes Gefecht für uns verderblich, und als endlich der Uebergang über die Beresina möglich wurde, drängte sich Alles ohne Ordnung hinzu, Heil und Rettung am jenseitigen Ufer hoffend. Auch ich, zu Fuß, in Lumpen gehüllt, auf mein Schwert wie auf einen Stab gelehnt, drängte mich der[217] Brücke zu, um hinüber zu gelangen, und hielt mich vorsichtig in der Mitte des Menschenstroms, um nicht, wie viele Andere, seitwärts in den Fluß gedrängt zu werden und in den Wogen zu versinken. Die furchtbare Kälte, mit dem Mangel vereinigt, hatte jedes andere Gefühl als die dumpfe Sehnsucht, sich selbst zu erhalten, in der Brust der Menschen ersterben lassen, und auch ich dachte nur an mich und sah mit wahrhaft thierischer Fühllosigkeit Viele in den Strom sinken. Endlich traf ein kreischender Ton mein Ohr, der mir bekannt klang, wie rauh und scharf das Elend auch die Stimme gemacht haben mochte, die ihn klagend ausstieß. Ich blickte unwillkührlich nach der Seite hin, von woher er schallte, und meine Augen trafen auf ein Weib, die mühsam in der Menge den Durchgang zu erkämpfen strebte und ein Kind hoch empor hielt, um es im Gedränge gegen Verletzung zu sichern. Die Unglückliche konnte, umringt von Menschen, nicht bemerken, daß sie gerade nach dem Flusse hingedrängt wurde. Die Vorderen stürzten hinein und erhoben ein Klagegeschrei. Sie wendete den Kopf, um wo möglich die Ursache zu erspähen, die sie von ihrem Standpunkte aus nicht entdecken konnte, und ihre Augen trafen auf mich. An diesen dunkeln, glänzenden Augen, die als letzte Spur der Schönheit ihr geblieben waren, erkannte ich die Arme. Tausend Mal hatte ich diese Augen geküßt, tausend[218] Mal hatten die süßen, halb schalkhaften, halb zärtlichen Blicke ein warmes Gefühl in meiner Brust erregt und mein Herz heftiger schlagen machen, und nun erblickte ich sie im höchsten Elend und in augenscheinlicher Todesangst wieder. Denn obgleich, als die Vorderen in den Fluß stürzten, sich ein Geschrei des Entsetzens erhob und die Nächsten zurück zu drängen versuchten, so war die Masse der Folgenden, die die Gefahr nicht erkannten und immer meinten, sie drängten auf die Brücke zu, zu groß; immer mehr mußten ihrem Schicksal erliegen, und auch die Unglückliche, die in diesem Augenblicke meine ganze Theilnahme erregte, war ihrem Verderben nah. Sie bemerkte jetzt die Gefahr und ein furchtbarer Schrei tönte zu mir herüber. Ich weiß nicht, ob sie mich in dieser Angst erkannte, aber mir schien es, als richte sie den Ruf um Hülfe an mich, und ich weiß noch nicht, wie es geschah, ich stand in demselben Augenblicke an ihrer Seite. Ich wollte sie vom Ufer des Flusses zurückreißen und faßte in der bis zur fürchterlichsten Angst gesteigerten Theilnahme ihr Kind, das sie in demselben Augenblicke losließ, indem sie vorwärts gedrängt wurde in den nassen Tod. Sie richtete noch einen letzten Blick flehender Zärtlichkeit auf mich – und die Wogen rissen sie hinweg.
Der General schwieg eine kurze Zeit und fuhr dann mit bewegter Stimme fort: Es schien, als ob dieß das letzte Opfer[219] sein sollte, das in den Wogen unterging. Man kam zur Besinnung; die Nachstrebenden erkannten die Gefahr, und es gelang mir mit dem Kinde mich zurück zu kämpfen und die Brücke zu erreichen. Kaum hatte sie mein Fuß berührt, als ein Mann sich herbeidrängte, mit allen Zeichen der Verzweiflung wild um sich blickte und in fast heulendem Tone schrie: Mein Weib! mein Kind! mein armes Weib! mein unglücklicher Sohn! Er erblickte endlich das Kind in meinen Armen, riß es an sich und rief mit erlöschender Stimme: Wo, wo ist mein Weib? Ich vermochte nicht zu antworten und deutete stumm auf den Strom. Er erbleichte wie ein Sterbender; doch kehrte nach einigen Augenblicken das Blut in seine Wangen zurück; er schlug heftig auf seine Brust und sagte mit männlicher Stimme: Ertrage auch das, mein Herz! Er küßte hierauf das Kind und sagte: Jetzt, Eugen, mußt Du mein einziger Trost sein. Es schien, als ob er, das Kind in den Armen, alle männliche Kraft der Seele und des Körpers wieder gewonnen hätte. Er drang, mir Bahn brechend, wie ein Verzweifelnder vorwärts, und wir erreichten das jenseitige Ufer.
Ich will Dir nicht, fuhr der General nach einigem Schweigen fort, eine Beschreibung von dem Elende machen, das wir auf diesem ganzen unglücklichen Rückzuge erdulden mußten. Der Soldat, dessen Kind ich gerettet hatte, schloß[220] sich an mich an, und ich gestehe Dir, ohne ihn wäre ich im Elende verschmachtet. Die Verhältnisse, in denen er aufgewachsen war, hatten ihn sinnreicher als mich gemacht, Mittel aufzufinden, um unser Dasein zu fristen. Als wir uns zum ersten Male wieder geordneten Truppen anschlossen und er erfuhr, daß er einem Generale die Erhaltung seines Kindes verdankte, wurde dadurch seine Anhänglichkeit noch gesteigert, und er war mir mit wahrhafter Schwärmerei ergeben. Ich sorgte jetzt für ihn und es ging uns einige wenige Tage besser; aber als auf diesem unglücklichen Rückzuge alle Hoffnungen untergingen, da brach von Neuem ein Elend auf uns herein, das ich vergeblich zu beschreiben versuchen würde, und ich muß es wie ein Wunder betrachten, daß sowohl ich, als er und das Kind den deutschen Boden erreichten. Durch übermäßige Anstrengungen gelang es dem Braven, unser Dasein zu fristen, und durch Entbehrungen aller Art bis zum Tode ermattet, trugen wir abwechselnd sein Kind, denn es war nicht mehr möglich uns ein Pferd zu verschaffen; die beklagenswerthen Geschöpfe waren längst vernichtet. Als wir den deutschen Boden erreicht hatten, beschlossen wir uns einige Tage Ruhe zu gönnen, und die Bequemlichkeiten, die der elende Gasthof eines kleinen Städtchens an der polnischen Gränze bot, dünkten uns köstlich. Mein braver Soldat hatte sich auf kurze Zeit entfernt und[221] das vor Hunger weinende Kind bei mir zurückgelassen; jedoch er kehrte bald zurück mit Wein und allen guten Dingen beladen, die in dem kleinen Orte zu erreichen waren. Ich betrachtete ihn mit Erstaunen; doch der Reiz einer so lang entbehrten guten Mahlzeit brachte alle anderen Empfindungen zum Schweigen und erst, nachdem wir alle gesättigt waren, fragte ich meinen Unglücksgefährten, woher er die Mittel zu nehmen gedenke, um solchen Aufwand zu bestreiten. Listig lächelnd verriegelte er die Thür unsers schlechten Zimmers von innen, ergriff dann ein Messer und trennte die Näthe seiner in Lumpen verwandelten Kleider auf, und zu meinem Erstaunen wurden mehrere Goldstücke sichtbar. Als er sein Geschäft beendigt hatte, legte er das Geld vor mir auf den Tisch und sagte, indem eine Thräne in seinem kühnen Auge glänzte: Auch dieß verdanken wir der guten Frau, der Mutter meines Kindes. Du glaubst nicht, wie tief mich diese einfachen Worte erschütterten. Ich muß mir jetzt zwar sagen, daß die Unglückliche auch ohne mich vielleicht ein leichtsinniges Geschöpf geworden wäre; aber läugnen kann ich mir nicht, daß ich sie auf die Bahn des Verderbens geführt habe, und die ich mit Hohn behandelte, als ich sie das letzte Mal sprach, reichte mir nun gleichsam aus ihrem nassen Grabe die Mittel zum Leben. Die Noth des Augenblickes besiegte jedes andere Gefühl; das Gold gewährte[222] uns nun Mittel um Frankreich zu erreichen, denn die schwachen Reste meiner Regimenter früher zu treffen, durfte ich nicht hoffen, da sich alle Ordnung aufgelöst hatte und Jeder fortzukommen suchte, wie er konnte. Jetzt, da wir uns wieder gekleidet hatten und bequemer reisten, erfuhr ich von meinem treuen Begleiter, daß er in Evremonts Regiment als Unteroffizier gedient habe, und daß er dessen Vorsorge die Mittel verdanke, die uns so wohl zu Statten kamen, weil er seiner Gattin dieß Geld als Erbschaft von einem hartherzigen Bruder verschafft habe.
Der Graf hatte mit höchster Spannung die Erzählung seines Freundes gehört. Schon lange war es ihm gewiß, daß der Begleiter des Generals derselbe Unteroffizier sei, dessen Evremont in seinen Berichten aus Spanien gedachte. Jetzt aber, da sein Freund den Namen des betrauerten Sohnes aussprach, hielt er sich nicht mehr zurück und unterbrach die Erzählung mit dem heftigen Ausrufe: Um Gottes Willen, sage mir, was wußte Dein Begleiter von meinem Sohne? Wenig, erwiederte der General; sein ganzes Regiment war kurz vor dem Uebergange über die Beresina aus einander gesprengt worden, und der brave Soldat hatte seinen tapferen Obristen seitdem gänzlich aus den Augen verloren. Doch war er, so lange er etwas von ihm wußte, unerwartet glücklich ohne Wunden geblieben, trotz der Kühnheit, mit welcher[223] er sich allen Gefahren aussetzte, und, was noch mehr sagen will, ohne erfrorne Glieder, und er ist wahrscheinlich in russische Gefangenschaft gerathen. Es lag ein Trost für den Grafen in diesen dürftigen Nachrichten und er hinderte den Fortgang der Erzählung nicht, die sein Freund wieder begann. Wir erreichten endlich Paris, sagte er mit einem tiefen Seufzer, und hier erwartete mich neuer Jammer. Ich betrat mein Haus und fand es verödet. Meine Gattin, die ich in der Hoffnung zurückgelassen hatte, mir zum zweiten Mal Vaterfreuden zu gewähren, war durch die Geburt einer todten Tochter so angegriffen worden, daß sie wenige Tage danach starb, und man schrieb dieß Unglück der immerwährenden Angst um mein Schicksal zu. Man brachte mir meinen Sohn, dessen lächelndes Gesicht einen seltsamen Gegensatz gegen die Trauerkleider bildete, in die man das kleine Geschöpf gehüllt hatte. Ich hob meinen kleinen Napoleon zu mir empor, und indem ich ihn küßte, wiederholte ich unwillkührlich die Worte des braven Soldaten und sagte: Ertrage auch das, mein Herz; Du mein Sohn mußt künftig mein einziger Trost sein. Mein Begleiter stand neben mir, und seine eigenen Worte aus meinem Munde rührten ihn bis zu Thränen.
Gab uns der Kaiser nicht Zeit, um uns zu erfreuen, so gewährte er uns auch keine, um verlorne Güter zu betrauern,[224] und die Bildung des neuen Heeres, das dem Feinde entgegengestellt werden mußte, entriß auch mich meinem Kummer. Ich sorgte in Paris für meinen Sohn, und indem ich seine Erziehung nach bester Einsicht ordnete, gab ich ihm den Sohn des Unteroffiziers, des braven Bertrand, zum Gespielen und befahl, ganz dieselbe Sorgfalt der Pflege und Erziehung auf dessen Kind wie auf das meine zu wenden. Diese Anordnung fesselte die treue Seele noch inniger an mein Geschick und er ward mir ganz das, was der alte Dübois Dir ist, nur, möchte ich sagen, nach Art eines Soldaten, da im Gegentheile Dein alter Freund immer den würdigen Hofmann zu spielen sucht.
Wir waren wieder über den Rhein gegangen, wir kämpften wieder, wenn auch blutige, doch glückliche Schlachten, und die stolze Hoffnung hatte uns nicht verlassen, unsere Macht in ihrer ganzen Ausdehnung wieder herzustellen. Da endeten endlich die unglücklichen Tage bei Leipzig diese ehrgeizigen Träume und der Kaiser mußte nach Frankreich zurück. Bei Hanau mußte noch ein Mal gekämpft werden, und unter den kleinen Abtheilungen, die von der Hauptarmee hinweggedrängt wurden, war auch ich mit einem Theile meines Corps. Der alte Bertrand wich nicht von meiner Seite; er hatte in kleinen Gefechten mehrmals mein Leben gerettet, und wenn ich ihn ermahnte, sich nicht so tollkühn in alle Gefahren[225] zu stürzen, so sah er mich mit glänzenden Augen an und sagte: Was habe ich zu fürchten? Sie haben mein Kind gerettet, Sie erziehen meinen Knaben, wie Ihren Sohn; Napoleon und Eugen, unter diesen mit Ruhm bedeckten Namen werden künftig unsere Kinder fechten. Alles dieß danke ich Ihnen und Ihnen gehört bis zum letzten Tropfen mein Blut. Ich stand oft beschämt vor diesem braven Soldaten; er hielt meine Handlungen für den Ausfluß hochherziger Menschenliebe, er ahnete nicht, welches Band mich früher an seine Gattin gefesselt hatte, und ich fühlte mich gegen ihn einer fortwährenden Falschheit schuldig. Mein kleines Corps war nach und nach zusammengeschmolzen, wir hatten mehrere Gefechte bestanden, Viele waren geblieben und Viele hatten mich verlassen, um, wie sie vermochten, über den Rhein zurückzukehren; und so geschwächt wurden wir gestern von Preußen angegriffen, an einer Stelle, wo die Wege in zwei verschiedene Bergschluchten führten. Ein Theil meiner kleinen Macht wurde von mir hinweggedrängt, und ich wurde mit den Wenigen, die mich umringten, heftig von den Feinden bedrängt. Der brave Bertrand sah unsere Kameraden fallen, er sah mein Blut fließen und kämpfte mit einer Erbitterung, die ihn nicht mehr auf die Stimme der Vernunft hören ließ. Ein junger Offizier forderte uns auf uns zu ergeben; statt der Antwort führte Bertrand, der sich zwischen uns geworfen[226] hatte, einen wüthenden Streich auf die Brust des jungen Mannes, und dieser – ich weiß, es war Gegenwehr, ich weiß, er konnte nicht anders, aber es ist entsetzlich – er hieb meinen alten Freund nieder, so nahe vor mir, daß das treue Blut auf meine Kleider spritzte und sich mit dem meinigen vermischte, das so heftig aus meinen Wunden floß, daß mir die Kräfte entschwanden. Der brave Bertrand starb sogleich. Die Wunde, die sein Leben endigte, war mit jugendlich kräftiger Hand zu tief geschlagen, als daß er lange daran hätte leiden können; ein halb lächelnder zärtlich stolzer Blick traf mich noch und schien zu sagen: Siehst Du, daß ich nicht prahle, all mein Blut habe ich für Dich vergossen. Mir wurde es dunkel vor den Augen, und nur wie im Traume bemerkte ich, daß ein Eisen über mir funkelte, und wie aus der Ferne hörte ich, daß eine rauhe Stimme rief: So fahre auch Du zur Hölle! Zurück Wertheim! rief der junge Offizier, der meinen Freund getödtet hatte, sie sehen, er kann sich nicht vertheidigen, und sein Schwert schlug die Waffe, die über meinem Haupte blinkte, zurück. Dieß alles war die Sache weniger Augenblicke. Ergeben Sie sich mir, sagte der junge Mann darauf zu mir; Sie sehen, Sie können nicht mehr fechten. Ich reichte ihm meine Waffen und sank ermattet zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich unter den Händen eines Mannes, dessen Gesicht mich an ferne[227] Zeiten erinnerte. Seine Hand war sanfter, als seine rauhe Zunge, denn indeß er mit schonender Sorgfalt meine Wunden verband, verletzte seine kreischende Stimme mein Ohr mit barbarischem Französisch, und doch begreife ich nicht das wunderbare Gefühl; ich fühlte mich so schwach durch Trauer, Schmerz und Blutverlust, ich kam mir so verloren vor, und diese rauhen Töne berührten verletzend und tröstend mein Ohr. Es stieg in meiner Seele bei ihrem Klange das Bild Deiner Bäume, Deines Hauses auf, und Dein edles Antlitz blickte mich tröstend an durch die dunkle Verwirrung meiner Gedanken hindurch.
Der General schwieg und heftete den traurigen Blick auf eine stark mit Blut befleckte Uniform, die über der Lehne eines Stuhles hing. Endlich sagte er seufzend: Das Uebrige weißt Du; ich bin nun hier, und finde Liebe und Beistand bei Dir. Trost wird vielleicht die Zukunft gewähren.
Der Graf war selbst zu bewegt, als daß er es hätte versuchen sollen, die Gefühle seines Freundes durch die gewöhnlichen Trostgründe zu bekämpfen, und vielleicht trug seine wahre Theilnahme mehr dazu bei, dessen Gemüth wieder zu erheben, als es Worte vermocht hätten. Da die Wunde des Generals nicht gefährlich war und nur der starke Blutverlust seine große Entkräftung veranlaßt hatte, so hatte er sich nach einigen Tagen in so weit erholt, daß er sein Lager[228] verlassen durfte, und der Graf beredete ihn, wenigstens einige Stunden des Tages in der Gesellschaft der Frauen zu verleben. Seitdem so viele ernste Sorgen den Grafen beunruhigten, war die Furcht in seiner Seele schwächer geworden, daß sein Freund seine Gemahlin wieder erkennen möchte, und seit ihr Gemahl alle ihre Schmerzen kannte, hatte sich die scharfe Reizbarkeit der Gräfin verloren, und da sie wenigstens den Sohn wieder gewonnen hatte, so erbebte sie nicht mehr vor dem Klange der französischen Sprache.
Viel leichter als früher konnte also der General Clairmont ein Mitglied des Kreises werden, der sich täglich im Saale um die Gräfin versammelte, und ob gleich durch die letzten Ereignisse seines Lebens seine Stimmung ernster geworden war, als sie es ehedem zu sein pflegte, so ließ sich nicht verkennen, welche Gewalt auf ihn, wie auf alle Franzosen, der Umgang mit Frauen ausübte. Es währte nicht lange, so wachte ein schwaches Verlangen wieder in ihm auf, witzig, heiter, geistreich in diesem liebenswürdigen Kreise zu erscheinen, und da von Seiten der Frauen Alles versucht wurde, um seinen Kummer zu zerstreuen, so kehrte nach und nach Gesundheit, und mit ihr größere Ruhe des Gemüths in die Seele des Generals zurück, wodurch die Heilung seiner Wunden sichtlich erleichtert wurde.
Durch die Bemühung den Freund zu erheitern wurde[229] der Graf und seine Familie mehr von dem eigenen Kummer abgezogen, und Emilie machte sich oft ernsthafte Vorwürfe darüber, wenn sie auf die Bitte des Generals sang, daß die Musik die gewohnte Macht auf ihre Seele ausübte und die Sorge auf kurze Zeit aus ihrem Herzen verdrängte. Adele, die nie den Muth gehabt hatte, an Evremonts Rückkehr zu zweifeln, und der die dürftigen Nachrichten, die der General geben konnte, eine Bestätigung ihrer Hoffnung waren, tadelte die liebende, zärtliche Emilie ernstlich über solche Selbstanklagen und behauptete, daß ihre Liebe für Evremont weit erfreulicher sein würde, wenn sie sich durch dieselbe bestimmen ließe, auf ihre Schönheit und Gesundheit zu achten, und alle vom Himmel verliehenen Fähigkeiten auszubilden, damit, wenn er nach unendlichen Mühseligkeiten endlich zurückkehrte, sie ihm jugendlich froh, mit ihrem schönen Kinde an der Hand, entgegen eilen könnte, und ihn durch neu erworbene Kenntnisse und durch erhöhte Ausbildung früherer Fähigkeiten auf's Angenehmste zu überraschen vermöchte. Die Gräfin war wenigstens zum Theil derselben Meinung und sagte oft: Ich fühle, daß wir besser thun würden, uns für Evremont zu erhalten, als daß wir uns aus Gram um ihn zerstören, der ihm nicht helfen kann, und der ihm, wenn wir daran untergehen, bei seiner Wiederkehr neuen Jammer bereitet. Aber ich bin zu schwach geworden, ich kann nicht mehr ausüben, was ich als[230] vernünftig erkenne, meine Seele hat die Jugendkraft verloren.
Der General Clairmont konnte oft lange den kleinen Adalbert auf den Knieen schaukeln und ihm von seinem braven Vater erzählen. Das früh entwickelte Kind ergötzte ihn durch unschuldige Fragen, die mehr Geist verriethen, als sonst bei Kindern von so zartem Alter gewöhnlich ist. Ob wohl mein Napoleon auch so klug sein wird! rief dann der General. Mir schien es immer, als ob der kleine Eugen des armen Bertrand mehr Geist verriethe, als mein eigener Sohn.
Tage und Wochen waren entschwunden, und der General, dessen Wunden beinahe geheilt waren, fühlte sich täglich einheimischer in der Familie seines Freundes. Ja, er würde heiter geworden sein, wenn Frankreichs Geschick nicht den Frieden seiner Seele getrübt hätte; aber Frankreich war in Gefahr, seinen Ruhm verdunkelt zu sehen, den Ruhm, wofür das Blut so vieler Tausende geflossen war. Bei dem Gedanken daran kehrte ein finsterer Mißmuth in sein Herz zurück, und als mit dem Beginne des neuen Jahres die Verbündeten über den Rhein schritten und den Krieg auf Frankreichs Boden führten, da gränzte seine Stimmung an Verzweiflung, und ob er gleich hoffte, daß jeder Franzose fühlen würde wie er, und daß jeder Bewohner des schönen Landes den geliebten Boden bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigen[231] würde, so machte ihn doch seine eigene Ohnmacht trostlos, und er fand es schmachvoll, aus der Ferne zusehen zu müssen und nicht um die theuersten Güter mitkämpfen zu dürfen. Dabei bildete er sich ein, die Freude über die für Frankreich unglücklichen Ereignisse auf der Stirn des Grafen zu lesen, und so zog er sich heimlich grollend zurück und war beinah immer in seinen Zimmern allein. Da auf diese Weise der Zweck, weßhalb man zerstreuende Unterhaltungen veranlaßt hatte, nicht mehr erfüllt wurde, so behauptete die herzzernagende Sorge wieder ihr Recht und schien jede Hoffnung erdrücken zu wollen. So ängstlich preßte sie Aller Herzen zusammen, so trübe und schwer lastete sie auf jedem Sinn, und das Jahr achtzehnhundert und vierzehn begann sehr düster für die trauernde Familie.
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