[341] Mit der höchsten Freude wurde Evremont von seiner Familie begrüßt, die ihn nun erst ganz als den ihrigen betrachtete,[341] da seine Verbindung mit Frankreich aufgelöst war, indeß er selbst über diesen Grund der Freude seufzte, denn ihn schmerzte es, daß er Frankreich nicht mehr sein Vaterland nennen sollte; doch ging diese Trauer unter den schönsten Empfindungen des Glücks im Kreise der Seinen bald vorüber, und der Strom des Lebens schien nun einen ruhigen Gang zwischen blumigen Ufern nehmen zu wollen und nicht mehr über wilde Klippen zu schäumen. Die Stunden theilten sich zwischen Beschäftigungen und Vergnügungen; Pläne zu kleinen Reisen wurden entworfen, so wie zur Verschönerung der Umgebung, und man gedachte bei diesen friedlichen Beschäftigungen oft des alten Dübois, dessen eigensinnige Entfernung die ganze Familie beklagte. Es sollten nach den Verschönerungsplänen, die der Graf und Evremont entworfen hatten, auf dem großen Hofe, der nach der Straße zu gewendet vor dem Eingange des Hauses lag, große Pflanzungen von Bäumen, blühenden Sträuchern und Blumen angelegt werden, zwischen denen hindurch ein Weg für die Wagen frei gelassen werden sollte, so daß dieser Hof künftig zur Zierde des Hauses dienen könnte, und die ganze Familie war auf demselben versammelt, wo der Graf und Evremont eben nach ihrem Plane die verschiedenen Plätze ihrer Bestimmung gemäß abstecken ließen. Man hatte mit Theilnahme dieser Arbeit zugesehen, bis ein auf den Hof rollender Wagen die[342] Aufmerksamkeit Aller auf den Ankommenden lenkte. Die leichte von zwei Postpferden gezogene Equipage hielt vor dem Eingange des Hauses, und hinaus schauten unter weißen Augenbrauen die freundlichen Augen Dübois. Ein allgemeiner Ausruf der Freude bewillkommnete den zurückkehrenden Greis. Aller Hände streckten sich ihm entgegen und auch die Bedienten eilten, die Theilnahme ihrer Herrschaft nachahmend, herbei; doch Evremont drängte sie zurück und er selbst bot dem Greise die Hand zur Stütze, der mühsam aus dem Wagen stieg, sich entzückt in dem freudigen Kreise umschaute und dann sagte: Hier ist mein Frankreich, ich habe es jenseits des Rheins nicht gefunden.
Wie im Triumph wurde der alte Mann in's Haus geführt und er konnte seine Rührung nicht bewältigen, als Adalbert an seinem Halse hing, die von Alter gebleichten und gefurchten Wangen mit den frischen Rosenlippen zärtlich küßte, und sagte: Endlich habe ich Dich alten Papa Dübois wieder, nun darfst Du nicht wieder fort, und ich hoffe, Du hast mir schöne Sachen aus Deinem Frankreich mitgebracht. Ja wohl habe ich das, sagte der Alte, die Thränen von den grauen Wimpern trocknend, das wollen wir alles nachher auspacken.
Man bemerkte jetzt erst einen zehn- bis zwölfjährigen Knaben, der dem alten Dübois gefolgt war und nun, verlegen an der Thür stehend, mit den großen schwarzen Augen[343] im Saale umher blickte. Dübois erinnerte sich jetzt auch seiner. Er machte sich von Adalbert los, näherte sich ehrerbietig dem Grafen und sagte: Ich habe vielleicht das Vorrecht eines alten Dieners gemißbraucht, indem ich mir die Freiheit genommen habe, diesem edeln Hause einen neuen Diener zuzuführen. Ich habe mich dieser hülflosen Waise angenommen und glaube ihn um so sicherer Ihrem Schutze empfehlen zu dürfen, als ich diesen selbst im Hause des alten Grafen Evremont fand, der mich als hülflosen Knaben bei sich aufnahm und mich zum Diener seines Sohnes, meines seligen Herrn, bestimmte. So, dachte ich, könnte nun dieser Knabe seinem Urenkel, dem kleinen Grafen, dienen, wozu ich ihn selbst noch anleiten kann, wenn Sie ihn Ihres Schutzes würdigen.
Wen Sie, guter Dübois, sagte der Graf, für würdig Ihres Beistandes halten, der ist mir ein willkommener Hausgenosse, und es freut mich, wenn ich für Ihren Schützling etwas thun kann.
Dieß arme Kind, sagte Dübois, hat bei seiner Geburt schon die Mutter verloren. Der Vater ist bei den Verfolgungen der Protestanten kürzlich umgekommen, und es wagte Niemand aus Furcht vor den Geistlichen, die im südlichen Frankreich ihr Wesen treiben und sich Missionäre nennen, sich des armen Kindes anzunehmen, das, den Ermahnungen[344] seines sterbenden Vaters gehorchend, seinem Glauben treu bleiben und nicht zur katholischen Kirche übertreten wollte. Die Geistlichkeit dort wollte ihn mit Gewalt in ein Kloster bringen, um, wie sie sagten, seine Seele zu retten, und dieß wäre auch wirklich geschehen, wenn ich mich nicht zum Erstaunen aller dasigen Einwohner seiner angenommen hätte. Um mich und ihn den Verfolgungen zu entziehen, gegen die mich auch mein graues Haar nicht geschützt haben würde, beschleunigte ich unsere Abreise, denn mich hielt nichts mehr in Frankreich zurück. Alle, die mir durch die Bande des Blutes jemals angehört hatten, waren theils in der blutigen Revolution, theils in den furchtbaren Kriegen umgekommen, und Frankreich selbst ist durch die unglückliche Revolution so entstellt worden, daß es seinen alten liebenswürdigen Charakter nicht wieder gewinnen kann, und der König selbst will das Alte auf eine Weise, daß es gar nicht mehr das Alte wird. Doch Gott behüte mich davor, daß ich meinen rechtmäßigen König tadeln sollte. Aber an die Stelle der Irreligiosität, die während der Revolution mein Herz erschreckte, soll nun eine Religionsunduldsamkeit treten, von der ich nicht glaube, daß sie Gott gefällig sein kann. Ich hoffe, fuhr der alte Mann mit Wärme fort, als ein ächter Katholik zu sterben, aber ich habe so viel Tugend bei Andersglaubenden gefunden, daß ich nicht befürchten kann, Gott werde sie verstoßen, wenn sie[345] auch in manchen Punkten irren sollten, und deßhalb kann ihm die Verfolgung nicht wohlgefällig sein.
Der Graf lobte die milde Frömmigkeit des alten Mannes und versprach für das Fortkommen des mitgebrachten Knaben zu sorgen. Als Dübois sein Zimmer betrat, rührte es ihn von Neuem, hier Alles in der Ordnung zu finden, wie er es verlassen hatte, als wenn seine Rückkehr täglich wäre erwartet worden, und als er sich von der Reise etwas erholt hatte, mußte er dem Dringen Adalberts nachgeben und die für ihn mitgebrachten Geschenke auspacken. Sehen Sie, sagte der alte Mann bei jedem Stück, das er dem neugierig zuschauenden Kinde vorzeigte, dieß ist französisches Spielzeug, dieß sind französische Farben, hier sind französische Bilderbücher, dieß sind französische Confituren, und als alle Herrlichkeiten vorgezeigt waren, deutete er auf den fremden Knaben, der bei dem Auspacken geholfen hatte, und sagte: Und dieß ist Ihr französischer Kammerdiener. Der große Nachdruck, den der Alte auf das Französische legte, bewirkte, daß Adalbert seine großen Augen mit einer Art von Ehrfurcht auf den so Bezeichneten richtete, die sich jedoch bald verlor, als der Angekommene sein Schulgenosse, sein Spielgefährte und sein Aufwärter zugleich wurde, und in keinem dieser Verhältnisse die Achtung aus den Augen setzte, die dem jungen Grafen gebührte, eine Sache, worauf Dübois streng hielt, denn er behauptete,[346] das künftige Glück seines Zöglings beruhe darauf, daß er seine Herrschaft mit einem religiösen Gefühl verehre, denn alsdann würde es ihm nicht möglich sein, seine Pflichten anders als mit Ergebenheit und strenger Rechtlichkeit zu erfüllen, und wie sehr eine edle Herrschaft dieß anerkenne, lehre sein eignes Beispiel.
Dübois hatte den heftigen Wunsch befriedigen wollen, sein altes, geliebtes Frankreich wiederzusehen, was vielleicht nie so da gewesen war, wie seine liebende Sehnsucht in der Ferne es sich gedacht hatte, und kehrte, in seiner Erwartung getäuscht, zu seinen wohlwollenden Freunden zurück, die er seine Gebieter nannte. Aber das Frankreich seiner Einbildung hegte er immer noch mit gleicher Liebe in seiner Seele und hoffte mit Zuversicht, daß es als höchste Vollendung menschlicher Einrichtungen sichtbar auf Erden erscheinen würde, wenn die Gemüther sich nur erst völlig von den Erschütterungen erholt haben würden, die die vielen Veränderungen veranlaßt hätten. Der Graf bestätigte seine Meinung in so weit, daß er die Ansicht aussprach, es sei unmöglich, daß so viel Blut vergeblich geflossen sei, und daß nicht endlich die Früchte aller gebrachten Opfer die Welt mit ihrem Segen erfreuen sollten.
So ging das Leben nun einen gleichmäßigen und stillen Gang fort. Dübois machte es zu seiner Hauptbeschäftigung,[347] Adalbert zu vergnügen und dabei für die Reinheit seiner Aussprache des Französischen zu wachen. Es erfreute ihn, daß Evremont französisches Obst pflanzte, und sein Auge entzückte jede seltene Pflanze, die der Graf aus Frankreich erhielt, weil sie ja früher in dem geliebten vaterländischen Boden gewurzelt hatte. Die Freunde scherzten jetzt zuweilen über die sonderbare Richtung, die der Charakter des alten Mannes nahm, denn es schien sich eine Neigung zum Geize zu offenbaren, die Niemand in seiner Seele geahnet hatte, denn ihn erfreute sichtlich nichts so sehr, als immer neue Geldsummen zusammen zu bringen, und man gab auch dieser Schwäche nach, und Jeder schenkte ihm bei allen Gelegenheiten baares Geld, das in dem Greise die höchste Freude erregte, obgleich Jedermann überzeugt war, daß er es zu gar nichts benutzen könne.
Auf diese Weise war ein Jahr seit der Ankunft des Alten verstrichen, und Evremont beschäftigte sich an einem schönen Frühlingsmorgen mit seinem Sohne im Pavillon des Gartens, als der französische Knabe mit erhitzten Wangen und in Thränen schwimmenden Augen eilig eintrat. Was giebt es, Francois? fragte Evremont bestürzt.
Ach Gott! gnädiger Herr Graf, sagte der Knabe, der alte Herr Dübois ist so roth im Gesicht und spricht so seltsam. Schnell erhob sich Evremont und eilte mit seinem Sohne,[348] der sich ihm an die Hand hängte, in Dübois Gemach. Der Greis lehnte sich auf die Kissen seines Lagers; seine Augen glänzten unnatürlich und seine Wangen brannten in dunkler Röthe. Wie geht es Ihnen, guter Dübois? redete Evremont ihn an. Der Alte erhob den glänzenden Blick zu ihm und streckte die brennende, zitternde Hand ihm entgegen. Da sind Sie ja, gnädiger Herr, sagte er lächelnd aus keuchender Brust, und o Gott! ich Sünder habe in so schrecklichen Träumen gelitten, wahrhaft sträfliche Träume, fuhr er flüsternd fort. Ich bildete mir ein, Ihr edles Haupt – nein es ist gegen die Ehrfurcht, das Bild eines so freventlichen, schrecklichen Traumes durch Worte in's Leben zu rufen – aber bei Gott! ich sah in einer entsetzlichen Stunde Ihr edles Blut fließen, und dieß furchtbare Bild hat meine Sinne verwirrt, daß ich alter Thor in Verzweiflung Ihr Ende beweinte.
Evremont wendete sich mit Schmerz ab, denn er wußte, der Kranke redete im Fieber von seinem Vater, für den er ihn in diesem Augenblicke hielt.
Dübois, sagte Adalbert klagend, was sprichst Du denn für wunderliche Worte, Niemand kann ja begreifen, was Du meinst.
Ach! sagte der Kranke freudig, da ist ja auch der kleine Graf Adolph! Wie sich der Mensch doch unnütz quälen kann! Den hielt ich für verloren und wagte dieß der unglücklichen[349] Mutter erst gar nicht zu sagen, die durch den schrecklichen Tod des Gemahls ganz verwirrt war, und der lange weder Vernunft noch Religion Trost gewähren konnte. Nun Gottlob! nun wird ja alles Leiden aufhören.
Ja wohl, seufzte Evremont; ich fürchte, für Dich endet alles irdische Leid wie alle irdische Freude. Er ließ Diener bei dem Greise zurück und ging nun eilig einen Arzt herbei zu schaffen, der auch bald erschien und mit Achselzucken bemerkte, daß das schwache Fieber des Alten leicht gehoben werden könne, daß er aber das höchste Ziel des menschlichen Lebens erreicht habe und deßhalb schwerlich von diesem Krankenlager wieder erstehen werde. Diese Nachricht verbreitete allgemeine Trauer in der gräflichen Familie. Wie es der Arzt vorhergesagt hatte, wich das Fieber den angewendeten Mitteln leicht und der Kranke begehrte, völlig zur Besinnung gekommen, einen katholischen Priester, um zu beichten und die letzten Sakramente seiner Kirche zu empfangen. Die Gräfin hatte diesen Wunsch vorausgesehen, und der Geistliche war schon im Hause. Er konnte sich also auf den ersten Wunsch des Kranken sogleich zu ihm verfügen und verließ ihn nach einer Stunde, wahrhaft erbaut von der reinen Frömmigkeit des sterbenden Greises.
Als Dübois wieder allein war, ließ er den Grafen zu[350] sich bitten und ihm sagen, er wünsche ihn allein zu sprechen. Der Graf eilte auf die Bitte des Kranken herbei und fand ihn ohne Fieber; der Glanz der Augen war erloschen und die nach unten gedehnten Gesichtszüge des Greises deuteten auf sein nahes Ende. Ich wünsche meine letzten Worte an Sie zu richten, sagte er zu dem Eintretenden mit schwacher Stimme.
Sie können sich wieder erholen, lieber Dübois, sagte der Graf nicht ohne Bewegung.
Das denken Sie selbst nicht, erwiederte der Kranke mit schwachem Lächeln, und ich bin zur Reise gerüstet in unser ewiges Vaterland. Ich habe meine Sünden gebeichtet, und ich hoffe, Gott wird mir die Schwachheit vergeben, daß ich den Prediger in Hohenthal niemals leiden mochte und selbst in der Ferne nur mit Widerwillen an ihn dachte, denn sein dreistes Fragen ohne Schonung und Achtung, sein feindliches, schneidendes Absprechen und sein hochfahrendes Wesen gegen Niedere entschuldigt einigermaßen diese Abneigung, und öffentlich angefeindet habe ich ihn nie; ich habe nur dem nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, was Sie seine guten Eigenschaften nannten. Der Graf mußte wehmüthig lächeln, daß der alte Mann noch im Tode nicht die Abneigung gegen den Prediger überwinden konnte, die er gegen ihn empfunden hatte, so lange er ihn kannte. Doch was[351] reden wir von ihm, fuhr der Kranke fort. Sie wissen es, Herr Graf, ich habe immer die jakobinische Gleichmacherei verabscheut und auf Erden mit Ehrerbietung den Rang anerkannt, worin der Herr die Menschen hat lassen geboren werden; aber vor Gott, sagt unser Herr und Heiland Jesus Christus, sind wir alle gleich, und nur unsere Tugenden werden dort gewogen. Bald werde ich vor Gottes Thron stehen, ich kann mich schon als abgeschieden von der Erde betrachten. So gönnen Sie es mir, nun noch vor meinem Hinscheiden Ihre Hand wie die Hand eines Freundes in der meinigen zu fühlen, nicht wie die des herablassenden Heren in der des durch seine Gunst beglückten Dieners, und vergönnen Sie mir die Ehrfurcht bei Seite zu setzen, die ich Ihnen immer bewiesen, wie es meine Pflicht war, so lange ich dem Leben angehörte, und lassen Sie mich die Liebe unverhohlen zeigen, die ich für Sie und die Ihrigen hegte. Wie ein Vater habe ich die Gräfin geliebt, besonders seit ihrem Unglück, aber ich will ihre weiche Seele schonen, darum bringen Sie ihr meinen Abschied und meinen Segen. Sagen Sie ihr, mein irdischer Dienst sei geendet, aber ich stürbe in der Hoffnung, daß es mir vergönnt sein wird, am Throne Gottes für Sie alle zu beten, und nehmen Sie die Schrift, die unter meinem Hauptkissen verborgen ist. Sie enthält meinen letzten Willen; versprechen Sie mir dafür zu[352] sorgen, daß er erfüllt wird. Der Graf nahm die Schrift, wie es der Greis verlangte, und sagte, indem er die erkaltende Hand faßte und innig drückte: Es soll alles erfüllt werden, was Sie verordnen, würdiger alter Freund. Sie wissen selbst, fuhr er mit Bewegung fort, wir alle haben Sie wie einen Vater geliebt; Sie bestanden darauf, sich einen Diener zu nennen, wir haben Sie wie einen Freund geehrt, Sie wissen es, guter Dübois, wir hegten keine anderen Gefühle für Sie.
Mit mildem Lächeln neigte der Alte bejahend das Haupt, und es schien dem Grafen, als ob er dadurch in eine unbequeme Lage gerathen sei und deßhalb schwerer athmete. Er richtete ihn also sanft in seinen Armen empor, um diese Lage zu verbessern. Ein Blick unendlicher Liebe lohnte ihm aus den erlöschenden Augen; und als der Graf das würdige Haupt des Greises auf die Kissen zurück lehnte, war das Leben entflohen.
Mit der frommen Empfindung eines liebenden Sohnes drückte der Graf die erstarrten Augen zu und wehrte seinen Thränen nicht, die auf das erkaltete Antlitz niederflossen.
Ist denn dieser Hauch das Leben? fragte er sich. Muß dieß Herz nun in Staub zerfallen, das so eben noch liebend für mich schlug? Wohin ist der Geist entflohen, der noch so eben seine Gedanken mir mittheilte? Das Auge ist starr und[353] eingesunken, das so wohlwollend auf alle Menschen blickte, und unempfindlich ist die Hand, die vor wenig Augenblicken den Druck der Liebe erwiederte. O, welche Welt von Empfindungen schloß diese nun erstarrte Hülle in sich! Wie quälend, wie entzückend und wie nichtig ist das Leben!
Der Graf ermannte sich. Er traf die nöthigen Anordnungen für die Leiche und ging, um seiner Familie den Verlust bekannt zu machen, der sie eben betroffen. Alle zollten dem würdigen Greise Thränen, aber natürlich war es auch, daß der Schmerz mild war bei dem sanften Ende eines Greises, der das höchste Lebensziel erreicht hatte.
Nach der Beerdigung öffnete der Graf in Gegenwart einer Gerichtsperson das Testament des Verstorbenen, und alle Mitglieder der Familie wurden von Neuem zu Thränen bewegt, als es sich ergab, daß der dahin geschiedene Greis auch hierin noch sein liebevolles Gemüth auf das Rührendste geoffenbart hatte. Alle Ersparnisse eines langen Lebens, alle Geschenke, die er in der letzten Zeit mit kindischer Freude empfangen hatte, waren zusammengehäuft, und er ernannte den Grafen Adalbert Evremont zum Universalerben dieses kleinen Schatzes und stellte es seiner Großmuth anheim, Gustav Thorfeld und dem Knaben Francois ein Geschenk daraus zuzuwenden, wobei sie sich in der Zukunft des Verstorbenen erinnern könnten.[354]
Evremont ehrte das Andenken und den Willen des Greises, und nahm dessen Vermächtniß für seinen Sohn an; aber der Graf sicherte als Geschenk dem Knaben Francois die eine Hälfte der Summe zu und sendete die andere Hälfte als letztes Geschenk des verstorbenen Dübois an Gustav Thorfeld, von dem man schon seit einiger Zeit wußte, daß er mit der Tochter des Predigers verbunden war, und dessen neuen Hausstand dieß Erbe sicherer begründete.
Der Prediger hatte bei der Verbindung seiner Tochter mit dem Justizamtmann Thorfeld erwartet, in der Person seines Eidams künftig einen Verbündeten gegen die Anmaßungen seines rebellischen Freundes, des Arztes, zu finden, aber er fand sich unangenehm getäuscht, denn der junge Mann schloß sich innig an seinen frühesten Beschützer, den Grafen Robert, an und zog auch seine Gattin in diesen Kreis hinüber, und der Prediger fürchtete nicht mit Unrecht, daß er endlich dem Arzte würde unterliegen müssen, der an seiner Schwiegermutter in allen seinen Anmaßungen eine so kräftige Stütze hatte.
Die Gräfin befriedigte ihr Gefühl. Sie ließ dem wackern verstorbenen Greise ein einfaches, in edelm Style gearbeitetes Denkmal setzen, und beide gräfliche Familien in Hohenthal und am Rhein lebten fortan in ungetrübtem Frieden, und die Zukunft nur kann darüber belehren, ob der so[355] oft geäußerte Wunsch des Grafen Robert in Erfüllung gehen und eine glückliche Heirath beide Familien in eine zusammen schmelzen wird. Wenigstens wird diese Hoffnung dadurch unterhalten, daß beide Kinder, von denen man die Vereinigung erwartet, eine große Neigung gegen einander äußern, die bei jedem Besuche, den sich die Familien wechselseitig in Schlesien und am Rheine abstatten, sich zu erhöhen scheint.
1 Vereheliche Frau von Knorring.
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