Meine Frau unterm Ölbaum

[202] Der Ölbaum: ein zarter Strauß, ...

Wie aus grauen Seidenspitzen, ...

Wie Silberschmiedarbeit sieht er aus,

Auf der schwarzblaue Edelsteine blitzen.


Stehst du darunter in dem Blumenkleide

Aus Indiens buddhabunter Seide,

Dann ist der ganze Garten ein Geschmeide.

Und, träume ich denn, was ich da seh?

Wen seh ich dort in Signor Bardis Haus

Vor seiner Staffelei im Türgevierte sitzen? –

Frate Giovanni da Fiesole!


Der weißen Kutte weite Ärmel sind

Den mageren Arm hinaufgeschlagen,

Und seine frommen braunen Augen fragen

Just seine Farbentiegel, ob für dich, mein Kind,

Sie auch genug der reinen Farben tragen.


Steh still, steh still! Und blicke klar und froh,

Gradaus, mich an! Aus deinen Augen lesen

Soll ferne Zeit noch, wie du gut und klar,

Wie schön und lauter du, wie treu und wahr

Dein starkes, liebevolles Herz gewesen!


Drum malt dich Fra Angelico.


(Fiesole 1904.)


(Im Garten der Villa Bardi.)


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 202.
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