Europa an Japan

[245] Sei mir gegrüßt, o Japan, sei willkommen

Im Ehrenkreise westlicher Kultur!

Ich hab dich einst nicht ganz für voll genommen,[245]

Als ich von dir bloß Freundliches erfuhr:

Schönheit und Grazie, bunte Pracht in frommen

Werken der Kunst voll Stil und voll Natur:

Hók'sai, Toyókuni et cetera, –

Alles ganz gut und schön, gewiß – na ja:


Du weißt erstaunlich kunstvoll zu lackieren,

Dein Porzellan ist aller Ehren wert,

An deinen Bronzewerken delektieren

Sich alle Kenner, ja du hast belehrt

Selbst meine Künstler in der Kunst, zu zieren, –

Kurz, was aus Japan kam, war sehr begehrt;

Jedoch im Grund erschienst du mir, pardon,

Wirklich verwendbar nur beim Kotillon, –


Ich meine: für die netten Nebensachen,

Zum Beispiel Dichtung, Kunst, Philosophie,

Die wohl auch mir manchmal Vergnügen machen

(Doch nie soviel etwa wie Artillrie);

Du schienst mir putzig, schienst ein Ding zum Lachen,

Doch ernst, o Japan, ernst nahm ich dich nie.

Im Grunde fand ich doch, das Ganze sei

Heidnisch lackierte gelbe Barbarei.


Jetzt aber, Japan, muß ich frei bekennen:

Ich habe dich beträchtlich unterschätzt;

Ich muß dich Freund, ich muß dich Bruder nennen,

Komm an mein Herz, ich habe dich verletzt;

Bewundrung fühle ich in mir entbrennen

Und ebenbürtig heiße ich dich jetzt.

Wer so wie du en gros mit Blut lackiert,

Der ist Europen gleich zivilisiert.
[246]

Es ist erreicht! darfst du mit Recht nun sagen,

Es ist erreicht! Du darfst den Schnurrbart nun,

Ein Held der Bildung, aufgezwirbelt tragen,

Und fürder nicht mehr mit Mongolenschuhn,

Nein mit Schaftstiefeln und im Stechschritt schlagen

Darfst du das Erdreich, wie die Meinen tun.

Und dann: zieh Hosen an! Dies fehlt dir nur

Zum Zeichen ganz vollkommener Kultur.


Zieh Hosen an und laß dich auch bekleiden

(Es geht in einem) mit der Religion

Der Liebe, die die Wollust sucht im Leiden

(Hab keine Angst: das Leiden gibt sich schon),

Denn schlecht steht, glaub mir, Japan, einem Heiden

Des Westens holde Zivilisation.

(Zu glauben brauchst du schließlich nicht daran;

Es sieht sich nur die Sache besser an.)


Dann aber, in des Westens Hosenröhren

Gesteckt und in das Taufbuch registriert,

Tritt in mein Exerzierhaus ein! Mit Chören

Und Ehrensalven wirst du hoch fetiert;

Daß zueinander wir von jetzt gehören,

Steht außer Frage, seit du konstatiert,

Daß du im regelrechten Massenmord

Ruhmreich geschlagen jeglichen Rekord.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 245-247.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Ausgewählte Gedichte

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon