Mondmüde

[348] Der Mond, die große grelle Diebslaterne,

Der silberne Totenschädel der Nacht: Der Mond,

Ein abgewetzter Knopf am schwarzen Schlafrock

Des lieben Gottes, dessen Kredit so sank,[348]

Daß er sich keinen neuen leisten kann:

Der Mond, das lächerlichste aller Requisiten

Im lyrischen Kasperletheater, scheint

So niederträchtig hell heut, naseweis,

Aufdringlich und fürwitzig, daß ich ihm

Noch einen Schelmennamen geben muß:

Ohrfeigengesicht des Himmels. –

Dies getan,

Schließ ich die Läden meines Fensters fest,

So fest zu, daß auch nicht der kleinste Spritzer

Von seinem Katzensilber mich erreicht.

Und samtenes Schwarz, die heilige Unfarbe

Der tiefsten Ruhe, senkt sich über mich

Gleich mohnduftdumpfem Staub von Schmetterlingen

Der ewigen Nirwana. – Welt, schlaf wohl!

Bald schnarch ich wie ein alter Dudelsack

Und träum von meinen Feinden, wie sie schwitzend

Am Backherd stehn und Gallpasteten machen:

Fünf Zehntel Neid, drei Zehntel Unverstand,

Zwei Zehntel Bosheit – aber alles hübsch

Mit Cochenille rot gefärbt: Charmant!

– Mischt, färbt, backt, schwitzt nur, Liebliche – ich schenk euch

Zum Lohn den Mond. Und ich bestimme: tragt

Am Hals mir ihn gleich einer Hundemarke!

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 348-349.
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