[11] Vorige. Veit. Gertrude. Lisbeth wo sie abgingen. Bastian.
VEIT athemlos hereinstürzend, einen Brief in der Hand. So wollt' ich doch, daß ein heiliges Kreuz Donnerwetter drein schlüg'!
GERTRUDE ihm folgend. Fluch nicht so gotteslästerlich, Mann, ich leid's nicht! Sag lieber endlich was es ist!
VEIT. Ein Brief ist's vom Gevatter Leblanc. Zu Bastian. Gieb ihn der Dore, Bastian!
BASTIAN älter als Veit, sehr ergraut, in einem städtischen Ueberrock, reicht Dore den Brief.
VEIT fortfahrend. Da steht's drin, daß die Alte Recht gehabt hat. Die Rosel kommt nicht zur Hochzeit!
DORE entsetzt. Vater! Öffnet rasch den Brief.
GERTRUDE. Da hast Du's!
STEFFEN. Das wäre des Gukuks!
LISBETH leise zu Steffen. Hab's gewußt! –
GRAF im Hintergrund für sich. Was höre ich da?
GERTRUDE. Aber – warum – was schreibt denn der Leblanc?
VEIT. Frag' den Bastian, mir ist gleich das Blut in die Augen gestiegen vor Wuth, der hat mir ihn gelesen.
BASTIAN. »Er hab' die Rosel jetzt erst aus der Pension in sein Haus genommen, sie müßt' noch einen Cursus im Englischen beenden, seine Tochter sei krank, sie könnt' nicht leben ohne die Rosel und die wolle selbst nicht fort – es wäre allerlei zu ihrem Glück im Gang« –
GRAF für sich. Ha! – Meine Ahnung!
VEIT zornig. »Darum könnt' er sie jetzt nicht weglassen, in ein paar Wochen wollt er sie selber herbringen« – und was das vertrackte Zeug's mehr ist. – Kurzum – sie will nicht her!
LISBETH halblaut. Das hat sich Jeder denken können!
BASTIAN schüttelt den Kopf. Ich kann's nicht glauben!
GERTRUDE. Ich schon, leider Gott! Ich hab's gewußt, in allen Adern hab' ich's gespürt, daß das Kind uns nicht wieder kommt!
LISBETH. Hab's immer gesagt: Die bleibt in Paris!
GRAF für sich. Das wird noch zu verhindern sein!
VEIT wüthend. Sie soll her wohin sie gehört. In vierzehn Tag ist das Floßholz für Holland zum Transport fertig, mein' Contrakt muß ich einhalten, aber nachher bin ich frei und kann fort – dann soll's die nichtsnutzige Dirn erfahren, Hebt den Arm auf. ob das Kind gehorchen muß, wenn der Vater befiehlt![11]
DORE die den Brief las, dann in tiefem Sinnen stand, den Kopf erhebend, ruhig. Vater, schimpft mir die Schwester nicht, ich kann's nicht hören! Der Herr Pathe liebt die Rosel wie sein eigenes Kind – der will sie nicht lassen und d'rum hat er ihr den Brief von mir gar nicht gegeben, denn die hätt' kein Mensch gehalten, wenn sie ihn gelesen hätt', das weiß ich gewiß!
GRAF für sich. Ha! Um so besser! Geht rasch, aber vorsichtig, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, in den Baumgarten ab.
BASTIAN. Das sag' ich auch, die Dore trifft allmal das Rechte!
VEIT aufhorchend. Meinst, Bastian?
GERTRUDE. O, wenn's doch so wär'!
DORE. Es ist gewiß so, die Mutter kann's glauben.
VEIT. Ja, ja, möcht's selber sagen! Aber was hilft's, die Hochzeit muß jetzt doch ohne sie sein!
DORE energisch, aber ruhig. Nun und nimmermehr ohne die Rosel!
LISBETH. Oho!
STEFFEN auffahrend. Was? Was wär' das? Dorle! Sag mir das nicht noch einmal!
DORE wie oben. Mußt's doch noch einmal hören. Wenn die Rosel mich nicht als Brautjungfer zum Altar führt, so geh' ich nicht! Wir waren von Kind auf eine Seel und ein Herz! Sie hat mich aufgehalten wie sie acht Jahr alt war, als ich auf dem Hirschensprung droben in's stürzen kam, und der Abgrund hätt' mich verschlungen, wenn ihre schwachen Arme nicht worden wären wie Eisen, und sie mich nicht umklammert und gerufen hätt', bis die Leut' von der Alm her uns zu Hülf kamen. Wir haben ein Gelöbniß drauf gethan, daß Keine ohne die Andere vor den Altar tritt, und wenn ich das brechen thät, und sie mir die Brautkron' nicht aufsetzt, so hab' ich kein Glück und kein Stern' in der Eh'! Sich plötzlich zu Steffen wendend. Steffen, schau nicht so finster in die Ecke, Legt ihm beide Hände auf die Schultern. schau mir in die Augen! Du weißt wie gern ich Dich hab. Du hast Jahre lang geduldig auf mich gewartet – jetzt wart' in Gottes Namen noch acht Tage länger, und thu's mir zu Lieb. Die Rosel muß her! Wart sie ab.
STEFFEN finster. Da kann ich warten bis der hohe Knibis einfällt; die kommt doch nicht mehr!
DORE mit leuchtenden Augen. Sie kommt – wenn der Vater mich nach Paris läßt – so kommt sie!
VEIT verblüfft. Was nicht noch!
LISBETH erschrocken. Aber – Dore!
GERTRUDE Das Herz hättest Du?
STEFFEN ausbrechend. Ja, für die Rosel hätt' sie's schon, aber nicht für mich! Hör Dorothee, der Kirchberger ist kein Bub' mehr, paß' auf,[12] er sagt Dir ein ernstlich's Wort, und dabei bleibt's! Ich hab' Dich lieber als mich selber, das weißt, und ich estimir Deinen Willen, wenn ich einseh, daß es zu Deinem Glück und meinem ehelichen Frieden gut ist! Schwer. Die Gäst sind zur Hochzeit geladen, die Lisbeth hat den Hof aufputzt, wie zur Weihnacht, Alles ist für Dich parat und draußen packen sie das Heirathsgut schon auf! Aber – Du bittest mich – – Mit Entschluß. laßt ausspannen Sonnenwirth, ich will den Kram noch nicht im Haus – will warten mit der Hochzeit bis in die dritte Woch' von heut! Mehr kannst nicht fodern und weiter bin ich Dir nicht zu Willen. Die Stimme erhebend. Thust Du mir aber die Schand an und laufst der Rosel selber nach in's Frankreich hinein, daß alle Welt erfahrt: wie Dir die Schwester lieber ist als Dein Schatz, und ich zum Gespött im Schwarzwald werd' – so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, Vater und Mutter sind Zeugen, ich nehm Dich nicht mehr, und wenn sie Dich in Gold einwickeln thäten bis zum Hals! Das ist mein letztes Wort und jetzt, thu was Du willst. Lisbeth, Du kommst mit. Kein Mensch soll ihr zureden, wenn sie sich nicht sel ber findet. Ade beisammen! Ab, wo er kam.
LISBETH eilig zu Dore. Dore! Um Gotteswillen! Bedenk's! Dem Steffen ist's Ernst! Du kennst ihn. Folgt ihm.
VEIT, RECHT hat er!
GERTRUDE. Ja wohl! Ist g'rad so Einer – wie Du! Wenn wir sie fortließen, er wär's im Stand und ließ das Kind sitzen, nachdem sie Jahr und Tag mit ihm gegangen ist!
DORE stand mit gesenkten Augen, die Hand auf's Herz gedrückt, in sich hinein. Ja – er thät's, Mutter! Sein Wort ist so fest wie's Freiburger Münster, wär's nicht so mit ihm, ich möcht ihn nicht!
GERTRUDE. O über die starrköpfigen Mannsleut!
VEIT. Hättest nicht vielleicht Lust die Dore laufen zu lassen?
GERTRUDE. Warum auch nicht? Wär's eine Sünd, wenn die Schwester die Schwester heim holt, oder ein' Schand, wenn sie den alten Bastian mitnähm'?
DORE fährt zusammen. Den Bastian? Vater! Mutter! Die Rosel kommt ohne mich Plötzlich ganz heiter. wenn Ihr den Bastian nach Paris schickt. Er war oft genug dort im Geschäft, kann mit den Leuten reden und thut's gern, nicht so Bastian?
BASTIAN froh. Ja, das thu' ich gern, viel lieber als ich Dich gehen sähe, Dorle, und ich bring' sie heim, das weiß ich gewiß!
DORLE ganz Leben. Ja freilich bringt Ihr sie heim! Wenn sie Euer treues gutes altes Gesicht sieht, so geht ihr das Herz weit auf, – und wenn sie erst von Euch hört, daß ich mein Gelöbniß halte, und nicht vor den Altar trete ohne sie, dann hält sie keine Mauer mehr zurück.
GERTRUDE. Das Kind hat Recht, ich glaub's selber!
VEIT der nachdenkend zuhörte und zuweilen wie fragend auf Bastian blickt. Der Bastian soll heut' noch fort.
BASTIAN zieht eine goldene Uhr hervor. Heut' ist's zu spät, vor zehn Minuten muß die Post nach Offenburg durchgefahren sein, ist ja morgen auch noch Zeit, – ist heut noch viel Arbeit auf dem Neubau.
VEIT. Hast Recht, Bastian. Na Frau, so geh' zur Casse und hol'[13] Geld für den Alten, ich geh' noch mit ihm zum Bau. Sollst Deinen Willen haben Zu Dore. Du schlaue Wetterhex, Du! Ab mit Bastian, durch den Baum-Garten, man steht ihn an den Fenstern vorüber rennen.
GERTRUDE im Abgehen. Jetzt glaub' ich selber, daß die Rosel kommt. Geht rechts ab.
DORE allein. Das hat mir der liebe Gott eingegeben. Ich spür's erst jetzt, wie gern ich den Steffen hab', und hab' gemeint, daß mir die Kniee einbrächen, wie ich ihn so gehört hab, denn ich möcht ja nicht leben und wenn die Welt noch zehnmal schöner wär' als sie Gott erschaffen hat – wenn der Steffen nicht für mich drinn wär! Geht.
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