Cantate

[241] Am vierten Constitutionsfeste der Loge zur w.E.


1784.


Chor.


Wir feiern den Festtag, ihr Brüder,

Der heut' zum viertenmal wieder

An unserem Osten erscheint:

Froh sah'n wir drei Jahre schon scheiden,

Und bieten dem vierten mit Freuden

Die Hände – als unserem Freund.


[241] Eine Stimme.


Wie ein Wand'rer, der auf rauhem Stege

Mühsam hin nach seiner Heimath zieht,

Rückwärts blickend, die gemachten Wege

Prüfend mißt, und ahnend vorwärts sieht;


Drei Stimmen.


Brüder, seht, so seh'n auch wir anheut'

In die Zukunft und Vergangenheit.


Eine Stimme.


Wie er dann nach dem noch fernen Ziele

Heiter hinblickt, keine Klippen scheut,

Und mit selbst belohnendem Gefühle

Des zurückgelegten Weg's sich freut;


Drei Stimmen.


Brüder, seht, so freu'n auch wir anheut'

Uns der Zukunft und Vergangenheit.


Eine Stimme.


O seht! es ward mit jedem Jahr

Der Eintracht Kette länger,

Und schloß, so weit ihr Umkreis war,

Die Herzen doch nur enger:


Chor.


D'rum, Brüder, seht zurück und freut

Euch heute der Vergangenheit!


Eine Stimme.


Seht, manche Seufzer wandelten

Sich um in Freudentöne,

Gestillt ward manches heisse Fleh'n,

Und trocken manche Thräne:


Chor.


D'rum, Brüder, seht zurück und freut

Euch heute der Vergangenheit!


[242] Eine Stimme.


O seht! es ward manch harter Krieg

Gekämpft für Menschenwürde:

Schwer ward dem Laster mancher Sieg,

Und leicht der Tugend Bürde;


Chor.


D'rum, Brüder, seht zurück und freut

Euch heute der Vergangenheit!


Zwei Stimmen.


Doch kehret nicht immer die Blicke

Nach allen den Schritten zurücke,

Die ihr schon in Westen gethan:

Laßt immer den Westen im Rücken,

Und sehet mit fröhlichen Blicken

Zum Osten der Zukunft hinan.


Eine Stimme.


Gleich der Sonne, die den Wand'rer leitet,

Ueber seine Pfade Licht verbreitet,

Und ihn stärkt in seinem Pilgerlauf,

Seht, so geht in unbewölkter Klarheit

Uns der ewighelle Leitstern Wahrheit

An der Zukunft heiter'm Osten auf.


Chor.


Brüder, sonnet euer Augesicht.

Sonnet euern Geist an diesem Licht!


Eine Stimme.


Gleich der Sonne, die mit ihren warmen,

Weiten, segenvollen Liebesarmen

Allbefruchtend eine Welt umfängt:

Seht, so strahlet segenvoll, ihr Brüder,

Das Gestirn der Liebe auf uns nieder,

Das jetzt über unsern Häuptern hängt.


[243] Chor.


Brüder, wärmet euch an diesem Strahl,

Und befruchtet eu're Herzen all'!


Eine Stimme.


Gibt uns die Wahrheit Licht und gießt

Die Liebe Segen d'rauf,

So blühet Menschenglück, und schießt

In reiche Ernten auf.


Drei Stimmen.


D'rum sehet in die Zukunft heut',

Und freuet euch der Erntezeit!


Eine Stimme.


Und bau'n wir ohne Zwang dies Land,

Und nicht um Sklavensold,

Dann wird in uns'rer freien Hand

Jedwede Frucht zu Gold.


Drei Stimmen.


D'rum sehet in die Zukunft heut',

Und freuet euch der gold'nen Zeit!


Drei Stimmen.


Und, Brüder, ist hier unter'm Mond.

Nun unser Tagwerk aus,

O dann entläßt nicht unbelohnt

Die Menschheit uns nach Haus.


Drei Stimmen.


D'rum sehet in die Zukunft heut',

Und freut euch der Belohnungszeit!


Chor.


O feiert den Festtag, ihr Brüder,

Der heute zum viertenmal wieder

An unserem Osten erscheint![244]

Froh sah'n wir drei Jahre schon scheiden,

Und bieten dem vierten mit Freuden

Die Hände – als unserem Freund.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 241-245.
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