Schwesterngesundheit ausgebracht bei einer Schwesterntafel

[265] den 10. des Wintermonats 1782.


Hört, edle Schwestern! eh' wir, voll

Des Maurersinns, auf euer Wohl

Die Trinkpistolen leeren,

Will ich den Ursprung, und anbei

Sogar den Zweck der Maurerei

In kurzem euch erklären.
[265]

Es sind beinahe tausend Jahr,

Daß unser Stifter Merlin war,

Der Table ronde Erfinder.

Er fing die Tafellogen an,

Und König Arthur pflanzte dann

Sie fort auf seine Kinder.


Und die, so er zu Rittern schlug,

Die waren alle fromm und klug,

Voll Muth und Seelenadel,

Und jeder dieser Ritter war

Im Feld, bei Tische, ja sogar –

Im Bette ohne Tadel.


Wie König Arthur, wenn er aß,

An einer runden Tafel saß,

So sitzen wir in Kreisen:

Ihm schuf ein mächt'ger Zauberer

Die niedlichsten Gerichte her,

Uns hext ein Koch die Speisen.


Und alle Ritter tranken bloß

Aus einem Tummler, Mörsergroß,

Den wir auch leeren müssen:

Allein aus diesem Trinkgeschirr,

Zu groß für Damen, liessen wir

Für heut' Pistolen giessen.


Die Ritter weihten feierlich

Sich einer Dame, der sie sich

In jeder Noth empfohlen;

Es steht, ihr Schönen, nur bei euch,

Ob wir in diesem Punkt auch gleich

Den Rittern werden sollen.


Wenn einer in die Ferne ritt,

Nahm er der Dame Armband mit,

Die Zeit sich zu verkürzen:[266]

Wir sind hierin den Rittern gleich,

Und tragen auch etwas von euch

Beständig an den Schürzen.


Und was selbst mehr, als Tapferkeit',

Die holden Damen einst erfreut',

Das war des Ritters Treue:

Wir lieben sehr die dritte Zahl,

Und diese ist ja allemal

Ein Sinnbild ächter Treue.


Die Dame war dem Ritter hold;

Von ihr ward oft der Minnesold

Dem Glücklichen beschieden:

Wir fordern nicht einmal so viel,

Und sind, wenn man uns lohnen will,

Mit einem Kuß zufrieden.


Doch dafür schwur auch jederzeit

Der Ritter ihr Verschwiegenheit

Bei seinem Liebesbunde:

Auch Maurerritter plaudern nicht,

Und halten stets ob dieser Pflicht

Den Finger vor dem Munde.


Und endlich war's der Ritter Brauch,

Die Damen ihres Herzens auch

In Liedern zu verehren.

Der Brauch ist noch: darum ließ heut

Auch uns're Dichterwenigkeit

Zu eu'rem Lob sich hören.


So weit geht uns're Aehnlichkeit

Mit jenen Rittern alter Zeit,

Die wir zu Vätern hatten:

Und nun entdeck' ich ohne Scheu

Euch auch den Zweck der Maurerei,

Den noch kein Mensch errathen.
[267]

Die ersten Ritter uns'rer Art

Entschlossen sich zu einer Fahrt,

Und gingen einst auf Reisen:

Ganz Asien und Afrika

Durchreisten sie, und suchten da

Den selt'nen Stein der Weisen.


Ihr denkt, was mag wohl dieser Stein

Der Weisen für ein Wunder sein?

Geduld! ihr sollt es hören.

Nur müßt ihr mir durch einen Eid

Die pünktlichste Verschwiegenheit

Auf Lebelang beschwören.


Nun also, Schwestern, sey euch kund:

Der Stein der Weisen ist – der Bund

Der Schönheit mit der Tugend.

Die Schönheit ist dem Alter feind.

Und ach, die andere vereint

Sich selten mit der Jugend.


Allein die Schwester selt'ner Art,

In der sich Reiz mit Tugend paart,

Die mag sich selig preisen!

Sie ist's, wornach der Maurer strebt,

Sie ist's, wornach das Herz ihm bebt,

Sie ist – der Stein der Weisen.


Wohlauf, ihr Brüder, laßt uns freu'n!

Stellt alles weit're Suchen ein,

Der Stein ist nun gefunden:

Blickt auf, wohin das Auge fällt,

Hat Reiz mit Tugend sich vermählt,

Und schwesterlich verbunden!


Auf, Brüder, laßt uns nun durch Wein

Den seltenen, gefund'nen Stein

Zur Huld für uns erweichen:[268]

Heil euch, ihr Schwestern, für und für!

Heil allen Schwestern, die wie ihr

Dem Stein der Weisen gleichen!

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 265-269.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon