Schwesterngesundheit, ausgebracht bei der Geburtsfeier des hochwürdigen Großmeisters v. B*n

[271] Den 26sten December 1783.


Man spricht, ihr Schwestern, und mit Recht,

Von euch und euerem Geschlecht

So gar viel böse Sachen,

Daß es beinah' unschicklich läßt,

Euch heut' an diesem grossen Fest

Ein Kompliment zu machen.


Man will, exempli gratia,

Von eu'rer ersten Urmama

Ganz zuverlässig wissen,

Daß wir, weil sie zu einem Biß

Aus Fürwitz sich verleiten ließ,

Jetzt Hosen tragen müssen.
[271]

Denkt dann an eine Dalila,

An eu're Schwester Helena,

Und an die griech'schen Phrynen,

Denkt ferner an die Danaen,

Die Leden, die Pasiphaen,

Und an die Messalinen.


Addirt zu dieser grossen Zahl

Die Phrynen uns'rer Zeiten all',

Zu viel, um sie zu nennen;

Bedenkt die ganze Litaney,

Und sagt, was wir von eu'rer Treu'

Und Keuschheit halten können.


Allein noch schlimmer ist's, wenn ihr

Die Keuschen spielt; dann werdet ihr

Xantippen und Junonen,

Ermordet eu're Buben dann,

Zieht eu'rer Männer Hosen an,

Und werdet Amazonen.


Ihr Schwestern seid es, deren Hand

Persepolis und Trojens Brand

In helle Flammen fachte:

Ihr seid es, die in einer Nacht

Fast so viel Männer umgebracht,

Als Herkules einst machte.


Es ist kein Argus in der Welt,

Den ihr nicht um sein Auge prellt,

Und obend'rein noch höhnet;

Selbst Maurer führt ihr hinter's Licht:

Auch ist kein König, den ihr nicht

Zum zweitenmale krönet.


Doch, Schwestern, all' das Herzeleid,

Was über uns zu jeder Zeit

Durch euch verhänget worden,[272]

Und was ihr noch uns zugedacht,

Hat Eine wieder gut gemacht,

Aus eu'rem Schwesterorden.


Und diese theure Schwester war

Die Frau, die uns den Mann gebar,

Den wir zum Meister wählten;

D'rum auf, ihr Brüder, seid bereit!

Ihr soll allein das Feuer heut'

Aus unsern Mörsern gelten.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 271-273.
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