|
[100] Wer unverdienten Lohn will sehn,
Auf einem schwachen Rohr bestehn,
Deß Anschlag wird auf Krebsen gehn.
Ein Narr, dem ein Rohr die Hand durchspießt hat und dabei geknickt ist, reitet auf einem Krebs; zugleich sperrt er den Mund auf, damit ihm eine Taube hineinfliegen könne.
Man findet manchen Narren auch
Der aus der Schrift färbt seinen Gauch
Und dünkt sich vornehm und gelehrt,
Wenn er die Bücher umgekehrt
Und hat verzehrt den Psalter schier
Bis an den Vers: Beatus vir,
Und meint, hab' Gott ihm Gut bescheert,
So werde ihm das nie versehrt.
Soll er dann fahren zu der Helle,
So will er sein ein guter Geselle
Und leben recht mit Andern wohl,
Ihm werde, was ihm werden soll.
Narr, laß von solcher Fantasei,
Du steckst sonst bald im Narrenbrei,
Daß Gott ohn' Arbeit Lohn verspricht.
Darauf verlaß dich! Brate nicht
Und wart', vom Himmel könnt' gerathen
Dir in den Mund 'ne Taub' gebraten.
Denn sollt' es einfach so zugehn,
So würde jeder Knecht besehn,
Er arbeit' oder sei ein Gauch,
Denselben Lohn, – das ist nicht Brauch!
Was sollte Gott mit ewigem Dank
Dir lohnen deinen Müßiggang,
Oder einem Knecht, der schlafen wollt',
Mit seinem Reich und großem Sold?[101]
Ich wähn', auf Erden Niemand lebe,
Dem Gott ohn' Gnade etwas gebe,
Oder dem er stehe in Pflicht,
Denn er ist uns verschuldet nicht.
Ein freier Herr schenkt, wem er will,
Und gibt uns wenig oder viel,
Wie ihm beliebt; wen geht es an?
Er weiß, warum er es gethan.
Ein Hafuer aus dem Erdkloß macht
Geschirr, wie er sich hat erdacht,
Formt Kacheln, Häfen, Wasserkrüge,
Damit es jedem Wunsch genüge,
Die Kachel spricht ihm nicht darein:
»Ich sollt' ein Krug, ein Hafen sein!«
Gott weiß, dem es allein zukommt,
Wie jedes Ding dem Menschen frommt,
Warum er Jacob hat erwählt
Und Esau ihm nicht gleichgezählt,
Warum er Nebukadnezar,
Der viel gesündigt manches Jahr,
Gestraft und dann zur Reu' ließ kommen
Und in sein Reich hat aufgenommen,
Doch Pharao mit Geißeln hart
Bestraft, der doch nur böser ward.
Dieselb' Arznei macht einen gesund
Und macht den andern noch mehr wund.
Denn jener, nachdem er empfand
Die Straf' aus Gottes starker Hand,
Gedachte der Sünden mit Seufzen im Stillen,
Der andre folgte dem freien Willen,
Und merkte Gottes Gerechtigkeit,
Weil er mißbraucht seine Barmherzigkeit.
Denn Gott hat immer an jeden gedacht,
Er weiß, warum er's also gemacht.
Wenn es als billig ihm gefallen,
Hätte er Rosen gemacht aus allen,
Aber auch Disteln haben er wollte,[102]
Dran man Gerechtigkeit sehen sollte.
Der war ein neidisch-schalkhafter Knecht,
Der meinte, ihm thäte sein Herr nicht recht,
Da er ihm gab den bedungenen Sold
Und einem andern, was er wollt';
Der wenig Arbeit hatte gethan,
Den ließ er gleichen Lohn empfahn.
Man findet viel gerechte Leut',
Die haben auf Erden schlechte Zeit,
Gott läßt es ihnen also gehn,
Als wäre viel Sünd' von ihnen geschehn.
Dagegen findet man Narren oft,
Die haben viel Glück und unverhofft
Und sind in ihren Sünden so frei,
Als ob ihr Werk ganz heilig sei.
Drum ist verborgen Gottes Gericht,
Seine letzten Gründe weiß man nicht,
Je mehr man die zu erforschen begehrt,
Je weniger man davon erfährt,
Und wer da wähnt, er hab' sie enthüllt,
Ist recht mit Finsterniß erfüllt.
Denn Alles wird uns aufgespart
Für künftige, unsichre Fahrt.
Drum lasse Gottes Allwissenheit,
Die Ordnung seiner Fürsichtigkeit
Stehn, wie sie steht! Thu' recht und wohl!
Gott ist barmherzig, gnadenvoll!
Laß wissen ihn Alles, was er weiß:
Thu' recht! und Lohn ich dir verheiß';
Harr' aus! So geb' ich dir mein Wort,
Du kommst nicht in die Hölle dort!
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
|
Buchempfehlung
In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro