LVII.

[100] Wer unverdienten Lohn will sehn,

Auf einem schwachen Rohr bestehn,

Deß Anschlag wird auf Krebsen gehn.


Ein Narr, dem ein Rohr die Hand durchspießt hat und dabei geknickt ist, reitet auf einem Krebs; zugleich sperrt er den Mund auf, damit ihm eine Taube hineinfliegen könne.


Von Gottes Vorsehung.

Man findet manchen Narren auch

Der aus der Schrift färbt seinen Gauch

Und dünkt sich vornehm und gelehrt,

Wenn er die Bücher umgekehrt

Und hat verzehrt den Psalter schier

Bis an den Vers: Beatus vir,

Und meint, hab' Gott ihm Gut bescheert,

So werde ihm das nie versehrt.

Soll er dann fahren zu der Helle,

So will er sein ein guter Geselle

Und leben recht mit Andern wohl,

Ihm werde, was ihm werden soll.

Narr, laß von solcher Fantasei,

Du steckst sonst bald im Narrenbrei,

Daß Gott ohn' Arbeit Lohn verspricht.

Darauf verlaß dich! Brate nicht

Und wart', vom Himmel könnt' gerathen

Dir in den Mund 'ne Taub' gebraten.

Denn sollt' es einfach so zugehn,

So würde jeder Knecht besehn,

Er arbeit' oder sei ein Gauch,

Denselben Lohn, – das ist nicht Brauch!

Was sollte Gott mit ewigem Dank

Dir lohnen deinen Müßiggang,

Oder einem Knecht, der schlafen wollt',

Mit seinem Reich und großem Sold?[101]

Ich wähn', auf Erden Niemand lebe,

Dem Gott ohn' Gnade etwas gebe,

Oder dem er stehe in Pflicht,

Denn er ist uns verschuldet nicht.

Ein freier Herr schenkt, wem er will,

Und gibt uns wenig oder viel,

Wie ihm beliebt; wen geht es an?

Er weiß, warum er es gethan.

Ein Hafuer aus dem Erdkloß macht

Geschirr, wie er sich hat erdacht,

Formt Kacheln, Häfen, Wasserkrüge,

Damit es jedem Wunsch genüge,

Die Kachel spricht ihm nicht darein:

»Ich sollt' ein Krug, ein Hafen sein!«

Gott weiß, dem es allein zukommt,

Wie jedes Ding dem Menschen frommt,

Warum er Jacob hat erwählt

Und Esau ihm nicht gleichgezählt,

Warum er Nebukadnezar,

Der viel gesündigt manches Jahr,

Gestraft und dann zur Reu' ließ kommen

Und in sein Reich hat aufgenommen,

Doch Pharao mit Geißeln hart

Bestraft, der doch nur böser ward.

Dieselb' Arznei macht einen gesund

Und macht den andern noch mehr wund.

Denn jener, nachdem er empfand

Die Straf' aus Gottes starker Hand,

Gedachte der Sünden mit Seufzen im Stillen,

Der andre folgte dem freien Willen,

Und merkte Gottes Gerechtigkeit,

Weil er mißbraucht seine Barmherzigkeit.

Denn Gott hat immer an jeden gedacht,

Er weiß, warum er's also gemacht.

Wenn es als billig ihm gefallen,

Hätte er Rosen gemacht aus allen,

Aber auch Disteln haben er wollte,[102]

Dran man Gerechtigkeit sehen sollte.

Der war ein neidisch-schalkhafter Knecht,

Der meinte, ihm thäte sein Herr nicht recht,

Da er ihm gab den bedungenen Sold

Und einem andern, was er wollt';

Der wenig Arbeit hatte gethan,

Den ließ er gleichen Lohn empfahn.

Man findet viel gerechte Leut',

Die haben auf Erden schlechte Zeit,

Gott läßt es ihnen also gehn,

Als wäre viel Sünd' von ihnen geschehn.

Dagegen findet man Narren oft,

Die haben viel Glück und unverhofft

Und sind in ihren Sünden so frei,

Als ob ihr Werk ganz heilig sei.

Drum ist verborgen Gottes Gericht,

Seine letzten Gründe weiß man nicht,

Je mehr man die zu erforschen begehrt,

Je weniger man davon erfährt,

Und wer da wähnt, er hab' sie enthüllt,

Ist recht mit Finsterniß erfüllt.

Denn Alles wird uns aufgespart

Für künftige, unsichre Fahrt.

Drum lasse Gottes Allwissenheit,

Die Ordnung seiner Fürsichtigkeit

Stehn, wie sie steht! Thu' recht und wohl!

Gott ist barmherzig, gnadenvoll!

Laß wissen ihn Alles, was er weiß:

Thu' recht! und Lohn ich dir verheiß';

Harr' aus! So geb' ich dir mein Wort,

Du kommst nicht in die Hölle dort!

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 100-103.
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Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
Das Narrenschiff:

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