LXVI.

[119] Wer ausmißt Himmel, Erd' und Meere

Und darin sucht Lust, Freud' und Lehre,

Der schau', daß er dem Narren wehre.


Ein Narr mißt mit einem Zirkel die auf den Boden gezeichnete, im Weltmeer schwimmende Erdscheibe aus. Ein andrer sieht hinter ihm über die Mauer und scheint ihn zu verspotten.


Aller Länder Kunde.

Ich halt' auch den nicht für ganz weis,

Der allen Sinn legt, allen Fleiß,

Wie er erkunde Städt' und Land,

Und nimmt den Zirkel in die Hand,

Daß er dadurch berichtet werde,

Wie breit, wie lang, wie weit die Erde,

Wie tief und fern sich zieh' das Meer,

Was unterstütz' die letzte Sphär';

Wie sich das Meer am End' der Welt

Hält, daß es nicht zu Thal abfällt;

Ob um die Welt man fahren kann;

Welch Volk man treffe gradweis an;

Ob's unter unserm Füßen gebe

Auch Leut', ob dorten nichts mehr lebe,

Und wie sie sich dort halten fest,

Daß sie die Erd' nicht luftwärts läßt;

Wie man mit einem Stab schlägt an,

Daß man die Welt durchmessen kann.[119]

Archimenides, der wußte viel,

Der macht' im Sande Kreis und Ziel,

Daß ihm durch Rechnen würd' viel kund,

Und wollt' nicht aufthun seinen Mund;

Er fürchtete, es könnt' sein Hauch

Verwehen seine Kreise auch,

Und eh' er reden wollt' ein Wort,

Ertrug er lieber selbst den Mord.

In Meßkunst war er sehr behende

Und konnt' ausecken nicht sein Ende.

Dikäarchus befliß sich dessen,

Die Höh' der Berge auszumessen

Und fand, daß Pelion höher was

Denn alle Berge, die er maß;

Doch maß er nicht mit seiner Hand

Die Alpen hoch im Schweizerland,

Und maß auch nicht, wie tief das Loch,

Da er hin mußt' und sitzet noch.

Ptolemäus wußte auf den Grad,

Welch Läng' und Breit' das Erdreich hat;

Die Läng' zieht er vom Orient

Und endet sie im Occident,

Daß hundertachtzig Grad er macht,

Sechzig und drei gen Mitternacht

Die Breite vom Aequinoctial;

Nach Mittag hin ist sie mehr schmal:

Er findet fünfundzwanzig Grad

Des Lands, so man erkundet hat.

Das rechnet Plinius schrittweis aus,

Und Strabo machte Meilen draus.

Doch hat man noch gefunden viele

Der Länder hinter Norwegen und Thyle:

Wie Island und Pylappenland,

Die vordem man noch nicht gekannt.

Man hat seitdem von Portugal[120]

Und von Hispanien überall

Goldinseln gefunden und nackte Leut',

Von denen gewußt man keinen Deut.

Marinus hat nach dem Meer die Welt

Berechnet und drin sehr gefehlt;

Plinius, der weise Meiner, spricht,

Es zeuge von Verständniß nicht,

Wolle man die Größe der Welt verstehn

Und drüber hinaus vorzeitig gehn

Und rechnen weit bis hinter's Meer.

Denn Menschengeist irrt darin sehr,

Daß er solches berechnet alle Zeit

Und weiß mit eignem Maß nicht Bescheid

Und meint, die Dinge zu verstehn,

Welche die Welt nie in sich gesehn.

Herkules soll haben ins Meer

Gesetzt zwei eherne Säulen schwer,

Die eine, wo Afrika begann,

Die andre fängt Europa an;

Er hatte wol Acht auf das Ende der Erd',

Und wußt' nicht, was ihm für ein Ende bescheert,

Denn der kein Wunderwerk nahm in Acht,

Der ward durch Frauenlist umgebracht.

Bacchus zog um mit großem Heer

Durch die Lande der Welt und durch das Meer;

Es war sein Vorsatz ganz allein,

Daß Jeder lernte trinken Wein,

Und wo's nicht Wein gab oder Reben,

Lehr't er bei Bier und Met zu leben.

Silenus blieb auch nicht zu Haus,

Fuhr mit im Narrenschiffe aus

Und sonst Gesindel und Metzen viel

Mit großer Freud' und Saitenspiel.

Er mocht' ein Trunkenbold wol sein,

Daß ihm so wohl war bei dem Wein.

Hätt' er mit Arbeit sich beschwert,

Er hätte allein das Trinken gelehrt.[121]

Man treibt mit Prassen noch viel Schande;

Jetzt fährt er erst recht um im Lande

Und macht gar Manchen im Praß verrucht,

Deß Vater nie den Wein versucht.

Aber was ist dem Bacchus geschehn?

Er mußte zuletzt von den Seinen gehn

Und fahren hin, wo er jetzt trinkt,

Was ihm mehr Durst als Freude bringt,

Wiewol die Heiden ihn dennoch

Verehrten als Gott und hielten hoch,

Von denen gekommen ist hernach,

Daß man feiert im Land den Bacchustag,

Und hat nach dem Tode dem Ehre erdacht,

Der uns viel Uebles nur gebracht.

Die bösen Gewohnheiten währen lang,

Was Unrecht ist, nimmt Ueberhang,

Denn stets der Teufel dazu treibt,

Daß man in seinem Dienste bleibt. –

Doch will ich jetzo wiederum kommen

Auf das, was ich mir vorgenommen;

Welche Noth wohnt einem Menschen bei,

Daß er Größres suche, als er sei?

Er weiß nicht, was ihm Guts entspringe,

Wenn er erfährt so hohe Dinge

Und seines Todes Zeit nicht kennt,

Die wie ein Schatten hinnen rennt.

Ist auch die Kunst gewiß und wahr,

So ist das doch ein großer Narr,

Der es im Sinn wägt so geringe,

Daß er will wissen fremde Dinge

Und die erkennen eigentlich

Und kann doch nicht erkennen sich,

Denkt auch nicht, wie er sich belehre.

Er sucht nur Erdenruhm und Ehre[122]

Und denkt nicht an das ewige Reich,

Wie weit das ist und wundergleich,

Drin Wohnungen so viele sind.

Das Irdische macht Narren blind,

Die suchen Freud' und Lust darin,

Zum Schaden mehr als zum Gewinn.

Viel haben erkundet fremdes Land,

Von denen Keiner sich selbst erkannt.

Wer klug wird, wie Ulysses ward,

Der lange fuhr auf seiner Fahrt

Und sah viel Land, Leut', Städt' und Meere

Und mehrte in sich gute Lehre;

Oder wie that Pythagoras,

Der aus Memphis geboren was,

Oder wie Plato durch Egypten kam,

Den Lauf dann nach Italien nahm,

Damit er täglich sich belehrte

Und seine Kunst und Weisheit mehrte;

Wie Apollonius durchfuhr die Land',

Wo ihm Gelehrte waren bekannt

Und suchte sie auf und stellt' ihnen nach,

Daß er würd' weiser jeden Tag,

Und überall fand, was ihn belehrte,

Womit er seine Kunst vermehrte, –

Wer solche Reisen und Fahrten thät,

Daß er wüchse in seiner Weisheit stät,

Dem wäre zu übersehen dies,

Wiewol ich es nicht gänzlich pries,

Denn wer den Sinn aufs Reisen stellt,

Dient nicht nur Gott, – dient auch der Welt.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 119-123.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
Das Narrenschiff:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon