CVIII.

[212] Gesellen, folgt uns unverwandt!

Wir fahren ins Schlaraffenland

Und stecken doch in Moor und Sand.


Das »schluraffen schiff« wie auf dem Titelblatte.


Das Schlaraffenschiff.

Glaub' nicht, wir seien Narrn allein:

Wir haben Brüder groß und klein;

In allen Landen allzumal

Ist endlos unsre Narrenzahl;

Wir fahren um durch jedes Land

Von Narrbon ins Schlaraffenland;

Wir wollen ziehn gen Montflascûn

Und in das Land gen Narragûn.

Wir suchen nach Häfen und Gestaden

Und fahren um mit großem Schaden

Und können doch nicht treffen an

Gestade, wo man landen kann;

All unser Fahren ist ohn' Ende,

Denn Keiner weiß, wo er anlände;

So fehlt uns Ruhe Tag und Nacht,

Doch Keiner hat auf Weisheit Acht.

Wir haben auch noch viel Gespanen,

Trabanten und auch Kurtisanen,

Die unserm Hof stets nachgeschwommen

Und auch zuletzt ins Schiff noch kommen

Und mit uns fahren auf Gewinn.

Ohn' Sorg, Vernunft, Weisheit und Sinn[212]

Ist doch voll Sorge unsre Fahrt,

Denn wer hätt' Sorgfalt wol verwandt

Auf Tabelmarin und Kompasstand

Oder das Stundenglas umgewandt?

Wer möchte nach den Sternen sehen,

Wohin Bootes, Ursa gehen,

Arkturus oder die Hyaden?

Drum treffen wir die Symplejaden,

Daß unserm Schiff die Felsen los

Zu beiden Seiten geben Stoß

Und es so ganz zusammendrücken,

Daß Wenigen mag Rettung glücken.

Durch Malfortunam wir uns wagen

Und werden kaum zu Land getragen,

Da uns Charybdis, Scylla, Syrte

Ganz aus der rechten Straße führte.

Drum nimmt es Wunder nicht, wann wir

Im Meere sehn manch Wunderthier,

Wie die Delphine und Sirenen,

Die singen süße Kantilenen,

Die uns so fest in Schlaf versenken,

Daß an die Landung wir nicht denken.

Wir sehen, – ob es auch nicht tauge, –

Den Cyklops mit dem runden Auge,

Das ihm Ulyß einst ausgebrannt,

Der Schlaue, daß der ihn nicht fand

Und andern Schaden nicht erwies,

Als daß er ein Gebrüll ausstieß

Gleichwie ein Ochs, den man erschlagen.

Der Weise ließ still fort sich tragen

Und ließ ihn schreien, greinen, weinen,

Auch als er warf mit großen Steinen.

Dies Auge wächst ihm wieder sehr;

Sobald er sieht der Narren Heer,

Sperrt er es auf so hoch und breit:[213]

Es wird wie sein Gesicht so weit;

Sein Maul spaziert zu beiden Ohren,

Damit verschluckt er manchen Thoren.

Die andern, die ihm noch entweichen,

Wird bald Antiphates erreichen

Mit seinem Volk der Lästrygonen,

Die sicher keinen Narren schonen,

Denn ihre liebste Speise ist

Der Narren Fleisch zu jeder Frist,

Sie trinken Narrenblut für Wein.

Dort wird der Narren Herberg sein!

Homerus hat all dies erdacht,

Damit man gäb' auf Weisheit Acht

Und sich nicht wagte leicht aufs Meer.

Hiermit lobt er Ulysses sehr,

Der klugen Raths und Anschlags pflag,

Als man im Streit vor Troja lag,

Und darauf zehen Jahre lang

Mit Glück durch alle Meere drang.

Als Circe mit des Tranks Gewalt

Den Genossen gab die Thiergestalt,

Da war Ulysses also weise,

Daß er nicht annahm Trank noch Speise,

Bis er die Falsche überböste

Und die Gesellen all erlöste

Mit einem Kraut, Moly genannt.

So half der Weise sich gewandt

Aus mancher Noth in manchem Land,

Doch weil er wollte immer fahren,

Konnt' er die Länge sich nicht wahren:

Ihm kam zuletzt ein Widerwind,

Der ihm sein Schiff zerbrach geschwind,

Daß die Genossen all ertranken.

Schiff, Ruder, Segel ganz versanken.

Doch Weisheit ihm zu Hilfe kam,

So daß er nackt ans Ufer schwamm

Und viel von Unglück konnte sagen.[214]

Doch ward er von dem Sohn erschlagen,

Als er geklopft aus eigne Thor,

Da half ihm Weisheit nicht davor.

Er ward als Herr Niemandem kund

Im ganzen Hof als nur dem Hund

Und starb darum, weil man nicht wollte

Ihn kennen, wie man billig sollte.

Doch um auf unsre Fahrt zu kommen:

Wir suchen in tiefem Schlamme Frommen

Und finden Strandung nur in Eil',

Es bricht uns Mastbaum, Segel, Seil;

Wir können nicht im Meere schwimmen,

Die Wellen sind schlecht zu erklimmen,

Wenn einer wähnt, er sitze hoch,

So stoßen sie ihn zu Boden doch.

Der Wind, der treibt sie auf und nieder:

Das Narrenschiff kommt nimmer wieder,

Wenn es erst ganz versunken ist.

Wir haben weder Sinn noch List

Um fortzuschwimmen zu Gestaden,

Wie einst Ulyß nach seinem Schaden,

Der brachte nackt mehr mit hinaus

Als er verlor und fand zu Haus.

Wir fahren auf Sandbank und Riff,

Die Wellen schlagen übers Schiff

Und nehmen uns Galeoten viel,

Bald sind die Schiffsleut' auch ihr Ziel,

Um die Patrone ist's geschehn.

Man kann das Schiff wüst schwanken sehn;

Ein Wirbel wird es leicht bezwingen

Und Schiff und Mannschaft jäh verschlingen.

Wir sind all guten Rathes bar,

Uns droht des Untergangs Gefahr,

Der Wind uns mit Gewalt hintreibt.

Ein weiser Mann zu Hause bleibt,[215]

Und nimmt an uns sich gute Lehr'

Und wagt nicht leicht sich auf das Meer,

Er könne denn mit Winden streiten,

Wie Ulysses that zu seinen Zeiten,

Und, will das Schiff auch untergehn,

Ans Land zu schwimmen doch verstehn.

Dieweil ertrinken Narren viel,

Sei der Weisheit Land des Weisen Ziel,

Er nehm' das Ruder in die Hände,

Damit er wisse, wo er lände.

Wer klug ist, kommt zu Land mit Fug;

Es gibt auch sonst noch Narrn genug;

Der Klügste ist, wer selber wohl

Weiß, was er thun und lassen soll,

Den man nicht braucht zu unterweisen,

Den Weisheit selbst als klug darf preisen;

Der ist auch klug, wer Andre hört,

Wenn man ihn Zucht und Weisheit lehrt;

Wer aber davon allzumal

Kann nichts, gehört zur Narrenzahl.

Ward er nicht in dies Schiff genommen,

So wird gar bald ein andres kommen,

Wo er Gesellschaft viel trifft an

Und Gaudeamus singen kann

Oder das Lied im Narrenton.

Und ob viel Brüder draußen stehn,

Das Schiff wird doch zu Grunde gehn.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 212-216.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
Das Narrenschiff:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon