CXI.

[219] CX a.

Bei Tisch begeht man Grobheit viel, Die heiß' man billig Narrenspiel,

Von der zuletzt ich reden will.


Dasselbe Bild wie zu Kap. 16.


Von Unzucht bei Tische.

Wenn ich die Narrheit ganz durchsuche,

Setz' billig ich zuletzt im Buche

Etliche, so zu Narrn man macht,

An die zuvor ich nicht gedacht.

Denn ob sie schon viel Mißbrauch treiben

Und feiner Hofzucht treu nicht bleiben,

Auch grob und ungezogen sind,

So sind sie doch nicht also blind,

Daß sie die Ehrbarkeit verletzten,[219]

Wie die, so wir zuvor hinsetzten;

Sie haben auch nicht Gott vergessen,

Sondern im Trinken und im Essen

Sind sie so grob und unerfahrn,

Daß man sie heißt bäurische Narrn.

Sie waschen ihre Hände nicht,

Wenn man die Mahlzeit zugericht't,

Oder wenn sie sich zu Tische setzen,

Sie andre in dem Platz verletzen,

Die vor ihnen sollten sein gesessen;

Vernunft und Hofzucht sie vergessen,

Daß man muß rufen: »Heda, munter,

Mein guter Freund, rück' weiter 'runter!

Laß den dort sitzen an deiner Statt!«

Ein Andrer nicht gesprochen hat

Den Segen über Brod und Wein,

Eh er bei Tische Gast will sein;

Ein Andrer greift zuerst in die Schüssel

Und stößt das Essen in den Rüssel

Vor ehrbarn Leuten, Frauen, Herrn,

Die er vernünftig sollte ehrn,

Daß sie zum Ersten griffen an

Und er nicht wär' zuvorderst dran;

Der auch so eilig essen muß,

Daß er so bläst in Brei und Mus,

Strengt an die Backen ungeheuer,

Als setzte er in Brand 'ne Scheuer.

Mancher beträuft Tischtuch und Kleid,

Legt auf die Schüssel wieder breit,

Was ihm ist ungeschickt entfallen,

Unlust bringt es den Gästen allen.

Andre hinwieder sind so faul,

Wenn sie den Löffel führn zum Maul,

Dann hängen sie den offnen Rüssel

So über Platte, Mus und Schüssel,

Daß, fällt ihnen etwas dann darnieder,

Dasselbe kommt in die Schüssel wieder.

Etliche sind so naseweise:

Sie riechen vorher an der Speise[220]

Und machen sie den andern Leuten

Zuwider, die sie sonst nicht scheuten.

Etliche kaun etwas im Munde

Und werfen das von sich zur Stunde

Auf Tischtuch, Schüssel oder Erde,

Ob Manchem davon übel werde.

Einen Mundvoll Einer gegessen hatte

Und legt es wieder auf die Platte,

Oder er lehnt sich über den Tisch

Und lugt, wo sei gut Fleisch und Fisch,

Und ob auch Andres näher lag,

Er packt's und nimmt es in Beschlag

Und läßt es vor sich stehn allein,

Daß es nicht Andern sei gemein.

Einen solchen man Schlingrabe nennt,

Der über Tisch sich selbst nur kennt

Und darauf legt Arbeit und Fleiß,

Daß er allein ess' alle Speis'

Und er allein sich füllen könne

Und Andern nicht das Gleiche gönne.

Einen solchen heiß ich: Räumdenhagen,

Leersnäpfli, Schmierwanst, Fülldenmagen.

Ein böser Tischgenoß ist das

Und wird geheißen wohl ein Fraß,

Der solcher Unzucht fern nicht bleibt,

Daß er auch Andern läßt ihr Theil,

Gewährt gut Essen ihm das Heil.

Ein Andrer füllt die Backen so,

Als ob sie steckten ihm voll Stroh;

Er pflegt beim Essen rings zu gaffen

In alle Winkel wie die Affen

Und schaut auf Jeden mit Begehr,

Ob der vielleicht mehr ißt als er,

Und eh der einen Mund voll zuckt,

Hat er vier oder fünf verschluckt,

Und daß ihm sonst auch Nichts gebreste,

Trägt er noch Teller voll zum Neste,[221]

Lugt, daß er sich ja nicht versäume,

Wie er die Platten reinlich räume.

Eh er die Speis herunterschluckt,

Er einen Stich in den Becher guckt,

Macht sich 'ne Suppe mit dem Wein

Und schwenkt damit die Backen rein,

Und hat damit oft solche Eil',

Daß aus der Nas' ihm rinnt ein Theil,

Oder spritzt gar einem Andern wol

Das Trinkgeschirr und Antlitz voll.

Neun Taubenzüge, ein Bapphart,

Das ist im Trinken jetzt die Art.

Den schmutz'gen Mund wischt keiner mehr:

Im Becher schwimmt das Fett umher;

Schmatzen beim Trinken ist nicht fein,

Kann andern Leuten nur widrig sein.

Durch die Zähne sürfeln läßt nicht schön,

Solch Trinken gibt ein bös Getön.

Manch Einer trinkt mit solchem Geschrei,

Als käme eine Kuh vom Heu.

Nachtrinken Ehre sonst gebot,

Jetzt ist dem Weinschlauch nur noch Noth,

Daß er schnell möge trinken vor:

Das Trinkgeschirr hebt er empor

Und bringt dir einen »frohen Trunk«

Damit sein Becher macht glunk, glunk;

Er meint, daß er den Andern ehrt,

Wenn er den Humpen leer umkehrt.

Ich misse gern die feine Sitte,

Daß man vor mir das Glas umschütte,

Oder daß man mich zu trinken bitte;

Ich trink' für mich, doch Keinem zu:

Wer sich gern füllt, ist eine Kuh.

Ein Andrer schwätzt bei Tisch allein,

Läßt nicht das Wort sein allgemein,[222]

Es muß vielmehr ihm Jedermann

Zuhörn, daß er gut schwatzen kann.

Keinem Andern er das Wort vergönnt,

Doch sein Wort gegen Jeden rennt

Und hinterredet alle Frist

Gar Manchen, der bei Tisch nicht ist.

Ein Andrer kratzt sich in dem Grinde

Und lugt, ob er kein Wildpret finde

Mit sechs Füßen und dem Ulmer Schild,

Das er erst auf dem Teller knillt,

Dann in die Schüssel die Finger taucht,

Weil er just Nägleinbrühe braucht;

Der eilt, daß er die Nase wische

Und putzt die Finger ab – am Tische!

Andre sind so höflich erzogen,

Daß sie auf Arm und Ellenbogen

Sich lehnen und den Tisch bewegen,

Darauf mit allen Vieren legen,

Wie jene Braut von Geispitzhain,

Die auf den Teller legte die Bein',

Und da sie sich bückte nach dem Sturz,

Entfuhr ihr über dem Tisch ein F ...;

Sie ließ ein Rülpsen sich entwischen,

Wenn man nicht kommen wär dazwischen

Mit Kübeln und sie nicht aufgethan

Das Maul, – ihr bliebe nicht ein Zahn.

Etliche lieben so zu hofieren,

Daß sie das Brod recht tüchtig beschmieren

Mit schmutzigen Händen im Pfefferbrei,

Damit es wohl gesalbet sei.

Es ist auch Vortheil vorzulegen:

Das beste Stück so zu bewegen,

Daß, was nicht will gefallen mir,

Ich lege einem Andern für,[223]

Dadurch wird dann ein Weg gemacht,

Auf dem ich nach dem Besten tracht';

Einem Andern wird, was ich nicht will,

Das Beste mir, – und ich schweig' still.

So hat mir Mancher oft hofiert!

Ich wünscht', daß er nicht angerührt

Die Schüssel, denn dann blieb mir das,

Was vor mir lag und schmeckte baß.

Mancher auf Schlendrian ausgeht

Und die Schüssel auf dem Tische dreht,

Bis das Beste ist vor ihn gekommen.

Ich habe das oft wahrgenommen,

Daß Mancher trieb solch Abenteuer

Und listig sich verschaffte Steuer,

Das ihm gefüllet ward sein Bauch.

So gibt's bei Tisch seltsamen Brauch,

Wenn ich den ganz erzählen sollte,

Eine lange Legend' ich schreiben wollte,

Wie man sieht in den Becher pfeifen,

Mit Fingern in das Salzfaß greifen,

Was Mancher achtet für sehr grob,

Doch hat dasselbe mehr mein Lob,

Als daß man Salz nimmt mit dem Messer:

Gewaschene Hand ist wahrlich besser

Und sauberer als jene Klingen,

Die wir in der Scheide mit uns bringen,

Von denen manche vor kurzen Stunden

Vielleicht 'ne Katze erst geschunden.

Für Unvernunft kann man auch halten

Die Eier zu schlagen und zu spalten

Und ander dergleichen Gaukelspiel,

Wovon ich jetzt nicht schreiben will,

Denn das soll feine Sitte sein,

Ich schreib' von Grobheit hier allein,

Nicht von subtilen, feinen Sachen.[224]

Ich müßt' sonst eine Bibel machen,

Sollt' ich den Mißbrauch all beschreiben,

Den man beim Essen pflegt zu treiben.

Desgleichen acht' ichs auch nicht viel,

Wenn etwas in den Becher fiel,

Ob man durch Blasen das wegbringe

Oder mit einer Messerklinge

Oder vom Brod mit einer Schnitte;

Wiewol das Letztre feinre Sitte.

So halte ich's doch also nun,

Daß man ein Jedes könne thun.

Wo man es aber hält für gut,

Daß aus dem Glas man Alles thut

Und lieber ein ganz frisches nimmt,

Wie sich bei Reichen das wol ziemt,

Mag man es schelten nicht mit Glimpf;

Für Arme ist nicht solcher Schimpf:

Ein armer Mann läßt sich begnügen;

Was Gott ihm gibt, muß ihm genügen,

Er braucht nicht aller Zucht zu pflegen.

Zum Letzten spreche man den Segen;

Und wenn man satt sich trank und aß,

Sag man auch deo gratias!

Denn wer gering hält diese Pflicht,

Den achte ich für weise nicht;

Vielmehr ich billig von ihm sage,

Daß er die Narrenkappe trage.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 219-225.
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Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
Das Narrenschiff:

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