Erster Artikel.

[161] Von der Berührung in der Liebe.


Was die Berührung betrifft, so muß man allerdings gestehen, daß sie sehr ergötzlich ist; denn die Vollendung der Liebe ist der Genuß, und dieser ist nicht möglich ohne die Berührung. Ebenso wie man den Hunger oder Durst nicht stillen kann ohne Essen und Trinken, so auch die Liebe nicht durch das bloße Hören oder Sehen, sondern durch das Gefühl, die Umarmung, den Dienst der Venus. Der lustige Narr Diogenes Cynicus (der Cyniker) sagt in seiner scherzhaften, aber etwas unflätigen Weise, er wünsche, er könnte seinen Hunger stillen, indem er seinen Bauch reibe, ebenso wie man die Liebe stille, wenn man die Rute reibt. Ich hätte das gern in feineren Worten ausgedrückt, aber man lese schnell darüber hin. Oder auch wie jener Liebhaber der Lamia, der sich in der Liebe zu ihr gar zu sehr übernommen hatte und nichts mehr davon wissen wollte; er behalf sich deshalb damit, beim Gedanken an sie, nur in der Einbildung zu lieben und sich selbst zu befriedigen. Als sie dies erfuhr, ließ sie es von dem Richter entscheiden, daß er sie zu befriedigen und zu bezahlen habe. Der Richter befahl, daß sie schon durch den Klang des Geldes, daß er ihr zeigen werde, bezahlt sei und sie ebenso wie er durch die Phantasie befriedigt sein müsse.

Freilich wird man mir viele Arten der Venus anführen, welche die alten Philosophen kennen; aber darüber möchte[161] ich bessere Redner als ich sprechen lassen. Soviel ist sicher: da die Frucht der weltlichen Liebe nichts andres als der Genuß ist, so darf man nicht glauben, sie zu besitzen, wenn man sie nicht mit Händen faßt. Manche sind der Meinung, das Vergnügen wäre nur mager ohne das Sehen und das Sprechen. Davon finden wir ein gutes Beispiel in den »Hundert Erzählungen« der Königin von Navarra. Ein Edelmann hatte mehrmals des Nachts in einer dunkeln Galerie die Gunst dieser ehrenwerten Dame genossen, die sich mit ihrem Kopftuch vermummt hatte (denn die Masken waren damals noch nicht Mode). Er merkte wohl am Betasten, daß er es mit etwas Schönem und Auserlesenem zu tun hatte, aber damit wollte er sich nicht begnügen, sondern wissen, wer es sei. Deshalb kennzeichnete er sie einstmals mit einem Kreidestrich hinten auf ihrem schwarzen Sammetkleide. Als nun am Abend nach dem Souper (denn ihre Stelldicheine waren zu genauer Stunde bestimmt) die Frauen in den Ballsaal traten, stellte er sich hinter die Tür und ließ sie alle aufmerksam vorbeipassieren. Da sah er denn seine Dame eintreten mit dem Kreidestrich auf der Schulter! Das hätte er sich nicht träumen lassen; denn nach ihrem Benehmen und ihren Worten hätte er sie für die Weisheit Salomonis gehalten, wie auch die Königin sie bezeichnete.

Wer war nun erstaunt? Der Edelmann, denn von allen Damen des Hofes hätte er am allerwenigsten an sie gedacht. Nun aber begnügte er sich damit nicht und ging weiter: er wollte alles entdecken und von ihr erfahren, warum sie sich so vor ihm versteckte und sich so im geheimen und verborgenen bedienen ließ. Sie aber war sehr schlau, leugnete alles und verschwor sich bei der ewigen Seligkeit und der Verdammnis ihrer Seele, wie es die Damen zu tun pflegen, wenn man ihnen etwas vorhält, das niemand wissen soll, obwohl man völlig in seinem Rechte ist.

Sie ward also ärgerlich, und er verlor die Liebesgunst der Dame. Und das bedeutet viel, denn sie war vornehm[162] und verdiente geliebt zu werden. Ja, noch mehr; gerade weil sie die Keusche und Prüde spielte, konnte er einen doppelten Genuß haben: einmal die Wonne, dieses süße, köstliche Weib zu besitzen, und dann vor der Welt sie jene kalte, sittsame Miene tragen zu sehen und ihre keuschen, sittenstrengen Worte zu hören, wobei er sich dann ihre Mutwilligkeit und Üppigkeit bei ihrem Alleinsein in Gedanken vorstellen konnte.

Der Edelmann hatte also unrecht getan, ihr davon zu sprechen; er hätte ruhig fortfahren sollen, die süße Frucht zu genießen, ebenso gut ohne Licht, als wenn die Lampen des Zimmers gestrahlt hätten. Wohl hätte er wissen dürfen, wer sie sei, und seine Neugierde wäre zu loben gewesen; denn, wie es in der Erzählung heißt, er fürchtete, es mit einer Art Teufel zu tun zu haben. Die Teufel verwandeln sich gern und nehmen die Gestalt von Weibern an, um mit den Männern zu verkehren und sie so zu täuschen. Es soll ihnen, wie ich von einigen klugen Magieren hörte, leichter sein, Gestalt und Gesicht eines Weibes anzunehmen als dessen Stimme.

Deshalb hatte der Edelmann recht, wenn er sie sehen und kennen wollte. Er sagte selbst, die Schweigsamkeit hätte ihm mehr Besorgnis verursacht als das Nichtsehen; und deshalb hätte er den Teufel vermutet. Womit er bewies, daß er Gott fürchtete.

Aber nachdem er alles entdeckt hatte, durfte er nichts sagen. Aber wie? wird mancher einwenden, Freundschaft und Liebe sind nicht vollkommen, wenn man sie nicht mit Herz und Mund erklären kann. Und jener Edelmann wollte sie dadurch zum Ausdruck bringen; aber er gewann damit nichts, sondern verlor vielmehr alles. Der Edelmann wäre ja zu entschuldigen; denn er war nicht so kalt und zurückhaltend, um solch ein Spiel zu treiben und sich der Maske der Diskretion zu bedienen. Wie ich von meiner Mutter hörte, die am Hofe der Königin von Navarra war und die manche Geheimnisse ihrer Novellen kannte und mit der sie[163] viele Gespräche führte, war dieser Edelmann mein seliger Onkel De la Chastaigneraye, der rasch, hitzig und etwas flatterhaft war.

Die Geschichte ist jedoch etwas bemäntelt, um sie geheimnisvoller zu machen; denn mein Onkel war niemals im Dienst der Großprinzessin, der Herrin jener Dame, sondern in dem ihres Bruders, des Königs. Von diesem und der Prinzessin wurde er sehr geliebt. Die Dame nenne ich nicht, aber sie war eine Witwe und Ehrendame einer großen Fürstin, die ihrerseits noch besser die Prüde zu spielen verstand als die Hofdame.

Ich hörte von einer mir bekannten Hofdame unserer letzten Könige erzählen, die in einen sehr achtbaren Edelmann des Hofes verliebt war und die das Liebesmanöver der vorgenannten Dame nachahmen wollte. Aber jedesmal, wenn sie von ihrem Rendezvous kam, ging sie in ihr Zimmer und ließ sich von einer ihrer Kammerzofen oder Frauen von allen Seiten betrachten, ob sie nicht irgendwo ein Zeichen hätte; auf diese Weise schützte sie sich davor, wiedererkannt zu werden. Sie wurde auch erst bei dem neunten Stelldichein markiert und das Zeichen wurde gleich von ihren Kammerfrauen entdeckt. Deshalb und aus Furcht, blamiert zu werden, gab sie ihm nie wieder ein Rendezvous.

Mancher wird sagen, es wäre besser gewesen, sie hätte die Zeichen an sich machen lassen und sie nachher nur abgewischt. Das würde ihr doppeltes Vergnügen bereitet haben: erstens die Befriedigung ihrer Liebe und zweitens ihren Liebhaber auslachen zu können, der immer an diesem Stein der Weisen gearbeitet hätte, um sie zu entdecken und kennen zu lernen, und doch niemals dazu gelangt wäre.

Eine andre Geschichte hörte ich aus der Zeit des Königs Franz, von jenem schönen Edelmann Gruffy, Stallmeister des königlichen Marstalls, der zu Neapel auf der Reise des Herrn de Lautrec verstarb, und von einer vornehmen Dame[164] des Hofes, in die jener sich verliebte. Er wurde allgemein der schöne Gruffy genannt, und sein Porträt, das ich sah, zeigt ihn auch als solchen.

Eines Tages sandte sie einen ihrer Kammerdiener, auf den sie sich verlassen konnte, unbekannterweise und als feinen Edelmann verkleidet, zu ihm und ließ ihm sagen, daß eine feine und schöne Dame sich ihm empföhle und so verliebt in ihn sei, daß sie gern seine Bekanntschaft machen möchte, lieber als die irgend eines Hofmannes, aber um alles in der Welt dürfe er sie nicht sehen und erkennen. Zur Stunde des Schlafengehens, wenn der ganze Hof sich zurückgezogen, würde er ihn an einen gewissen Ort, den er ihm bezeichnete, und von da zum Bett der Dame führen, aber unter der Bedingung, daß er ihm mit einem weißen Taschentuch die Augen verbinde, wie einem Überläufer, den man in eine feindliche Stadt bringt, damit er weder den Ort noch das Zimmer sehen könne, wohin er geführt wurde. Er solle ihn fortwährend bei den Händen halten, damit er das Taschentuch nicht losmachen könne. Denn diese Bedingungen hatte seine Herrin gestellt, damit sie von ihm nicht eher erkannt würde als bis zur festgesetzten Zeit, die sie ihm versprochen. Und deshalb müsse er es genau befolgen. Er solle sich die Sache überlegen, ob er unter diesen Bedingungen kommen wolle, aber er müsse allein kommen, und am nächsten Tage wolle er die Antwort holen. Dann würde er ihn an den genannten Ort führen, wo es ihm so gut gefallen würde, daß er es nicht bereuen würde, hingegangen zu sein.

Das war ein lustiges Stelldichein unter besonderen Bedingungen. Ich weiß noch etwas von einer spanischen Dame, die jemanden zum Rendezvous schickte, aber er mußte drei S.S.S. mitnehmen, die bedeuteten: sabio, solo, segreto (vorsichtig, allein, geheim). Der andere ließ ihr sagen, er würde kommen, aber sie müsse drei F.F.F. mitbringen, die bedeuteten: sie wäre weder fea, flaca noch fria, das heißt: weder häßlich, welk, noch kalt.[165]

Als nun der Bote Herrn Gruffy verlassen hatte, ward dieser nachdenklich. Er hatte genügend Ursache zu glauben, daß ihm von irgend einem feindlich Gesinnten am Hofe ein Streich gespielt worden, und er dachte auch darüber nach, wer die Dame sein könne, ob sie groß, von Mittelfigur oder klein sei, ob schön oder häßlich, was ihn am meisten geärgert haben würde. Freilich, wie man sagt, daß bei Nacht alle Katzen grau sind, so ist im Dunkeln ein Cunnus eben ein Cunnus. Nachdem er nun mit einem intimen Freunde sich besprochen, entschloß er sich, den entscheidenden Schritt zu wagen, und um der Liebe willen zu einer großen Dame, für die er sie hielt, durfte man ja auch nichts scheuen oder fürchten. Als am nächsten Abend der König und die Königinnen, sowie der ganze Hofstaat sich zur Nachtruhe zurückgezogen hatten, verfehlte er nicht, sich an dem Ort einzufinden, den der Bote ihm bezeichnet hatte. Dieser kam denn auch alsbald herbei, mit einem Zweiten, der ihm beim Aufpassen helfen sollte, wenn der andre von keinem Pagen oder Diener oder Höfling begleitet wäre. Sobald er ihn sah, sagte er zu ihm nur: »Mein Herr, Madame erwartet Sie.« Sofort verband er ihm die Augen und führte Gruffy durch dunkle, enge Orte und unbekannte Querstraßen, so daß der andre sagte, er wisse nicht, wohin man ihn führe. Dann brachte er ihn in das Zimmer der Dame, welches so dunkel wie ein Ofen war, so daß er nichts sehen und erkennen konnte.

Aber er entdeckte sie an einem feinen Wohlgeruch, der ihn etwas Gutes erwarten ließ. Er mußte sich ausziehen und der andre half ihm dabei. Dann nahm er ihm das Tuch von den Augen und führte ihn bei der Hand zum Bett der Dame, die ihn bereits mit Ergebung erwartete. Er legte sich neben sie, befühlte ihren Körper, umarmte und liebkoste sie und fand dabei nur auserlesen Schönes: sowohl ihre Haut, wie ihr Nachtgewand und das Bett fanden seine tastenden Hände köstlich. So verbrachte er die Nacht genußreich mit dieser schönen Dame, deren Namen ich wohl[166] kenne. Kurz, er war in jeder Beziehung sehr zufrieden und erkannte, daß er diese Nacht vortrefflich beherbergt sei. Was ihm aber ärgerlich gewesen, sagte er, war, daß er nicht ein einziges Wort aus ihr habe herausbringen können. Sie hütete sich wohl, denn am Tage sprach er oft mit ihr wie mit den andern Damen, und so würde er sie leicht erkannt haben. Dagegen ließ sie es nicht an Liebkosungen und zärtlichem Mutwillen fehlen, so daß er sich sehr wohl befand.

Am nächsten Tage beim Morgengrauen kam der Bote, ihn zu wecken; er kleidete ihn an, verband ihm wieder die Augen, führte ihn dahin, woher er gekommen war, und befahl ihn Gott bis zur baldigen Rückkehr. Er fragte ihn auch, ob er nicht die Wahrheit gesagt hätte und ob es nicht gut gewesen, ihm zu glauben; er hätte ihm doch ein schönes Nachtlager verschafft.

Nachdem der schöne Gruffy ihm tausendmal gedankt, verabschiedete er sich von ihm und sagte, er sei stets bereit, um so guten Preis wieder dahinzugehen. Das geschah denn auch, und dieses Fest dauerte einen guten Monat, bis Gruffy nach Neapel abreisen mußte. Mit großem Bedauern nahm er Abschied von der Dame, ohne jedoch von ihr ein einziges Wort zu hören; er vernahm nur Seufzer und fühlte ihre Tränen über die Wangen rinnen. So mußte er von ihr scheiden, ohne sie je gesehen und erkannt zu haben.

Seitdem soll sich diese Dame in demselben Spiel mit zwei oder drei andern gütlich getan haben. Man sagt, sie habe diese List nur aus Geiz angewandt und es sich auf diese Weise erspart, ihren Liebhabern Geschenke anzubieten. Denn jede große Dame muß um ihrer Ehre willen etwas geben, wenig oder viel, sei es nun Geld, seien es Ringe oder Kleinodien oder sonstige Geschenke. So verschaffte diese galante Dame ihrem Cunnus Vergnügen und schonte ihre Geldbörse, indem sie nicht kund gab, wer sie sei; und so verausgabte sie sich nicht mit ihren beiden Börsen, da sie sich niemals zu erkennen gab. Das war die schlimme Laune einer großen Dame.[167]

Manche werden ihre Manier gut finden, andre werden sie tadeln, wieder andre werden sie sehr sonderbar finden. Einige mögen sie für eine gute Haushälterin ansehen: aber das werden andre besser beurteilen können als ich. Jedenfalls verdiente diese Dame nicht solchen Tadel wie jene Königin, die sich in dem Hotel von Nesle zu Paris aufhielt, auf die Vorübergehenden lauerte und wer ihr am besten gefiel, gleichviel wer es war, zu sich rufen ließ. Nachdem sie dann von diesen Männern gehabt, was sie wollte, ließ sie sie von der Höhe des Turmes, der noch zu sehen ist, hinunterstürzen und im Flusse ertrinken.

Ich weiß nicht, ob es wahr ist; aber in Paris wird es allgemein versichert. Wenn man jemanden nach diesem Turm fragt, wird einem gewöhnlich diese Geschichte gleich von selbst erzählt.

Aber lassen wir diese Liebschaften, die mehr eine Mißgeburt als Liebe sind. Von unsern heutigen Damen wird so etwas meistens verabscheut und mit Recht; wenn sie mit ihren Liebhabern verkehren, wollen sie nicht aus Stein und Marmor sein, sondern, wenn sie sich einen auserlesen haben, so wollen sie frisch und frei mit ihm zärtlich sein. Sind sie der Treue und Beständigkeit gewiß, dann geben sie sich mit heißer Leidenschaft hin, und zwar nicht in Masken und still und stumm in tiefster Finsternis; nein, am liebsten lassen sie sich kosen und plaudern mit ihnen toll, üppig und ausgelassen im hellen Licht des Tages. Zuweilen allerdings helfen sie sich auch mit Masken; denn manche Damen sind dazu gezwungen, um ihren Teint zu schonen, wenn die Sonne sehr brennt, oder auch damit bei einer Überraschung ihre Röte sie nicht verrate, wenn sie sich zu[168] sehr erhitzt haben, so daß sie ihre Selbstbeherrschung verlieren könnten, wie ich das öfter gesehen habe. Die Maske verbirgt alles, und so täuschen sie die ganze Welt.

Quelle:
Brantôme: Das Leben der galanten Damen. Leipzig [1904], S. 161-169.
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