Dritte Scene.

[133] Das Innere der Klosterkirche Sanct Just.

Nur von der ewigen Lampe erhellt.


PATER ANSELMO tritt auf.

Was liegt im engen Stundenkreise

Oft eines einz'gen Tages nicht!

Daß selbst der gottergebne Weise

Wegbeugt entsetzt sein Angesicht;

Was sah ich nicht am heut'gen Tage!

Kaum, daß ich's rückzudenken wage:

Wahnsinn, Selbstmord und Mord,

Sündhaft geheimen Bund der Herzen,

Das eine todt, vom Gram durchbohrt,

Und einen Mann, deß dunkles Wort

Auf Tage deutet, reich an Schmerzen,

Reich an Verbrechen auch vielleicht![133]

Und Alles dies in wenig Stunden!

Wer sollte lieben da ein Leben,

Wenn solches Leiden es beschleicht,

Wenn solche Qualen es durchbeben?

Wie selig, wer an Einsamkeit

Am Lebensmorgen schon gefunden,

Das ganze Glück der Lebenszeit!

FAUST tritt ein.

Schmerz sucht den Schmerz; so seht ihr mich

Denn hier auf euer frommes Wort,

Doch morgen, Vater, pilgre ich

Mit meiner Last von Leiden fort.

ANSELMO.

Vielleicht, daß dieses hohe Fest

Euch Seelenruhe finden läßt.

FAUST.

So ist's denn wahr, was ich für Worte

Des Wahnsinns hielt, der Kaiser schließt

Sich selber auf des Todes Pforte?

ANSELMO.

So grau'nvoll der Gedank' auch ist,

In seinen eignen Sarg zu schauen,

Er will's; er will im Todtenamt,

Im eignen, seinen Geist erbauen;

Es wird sogleich; gut, daß ihr kamt.[134]

FAUST.

O seltsam Schauspiel, Bild voll Trauer!

Wie stimmt es mir das Herz so bang;

Es überfloß kein gleicher Schauer

Mich sonst bei Sonnenuntergang:

Er war die Sonne meiner Zeit,

Sie sinkt nach einem heißen Tage

Verklärt ins Meer der Ewigkeit.

ANSELMO.

Es ehrt euch diese tiefe Klage.

FAUST.

Wer strebt noch nach des Ruhmes Kranze,

Wenn solcher Weltbau so zerstäubt,

Wenn selbst von solchem Kronenglanze

Nichts als ein Lampenschimmer bleibt?

Wer blickt ins Auge noch dem Leben

Mit Liebe, wenn selbst solch ein Herz,

Purpur bedeckt und Stahl umgeben,

Zernagt der Wurm, der Lebensschmerz?

Was sollen wir dann, wir, die Kleinen

Die unbekannt durchs Leben geh'n,

Wenn Macht die Ohnmacht lehret weinen,

Wer will, wo Riesen fallen, steh'n?

O das ist bitterste Erfahrung,

Voll Lehre von Vergänglichkeit,[135]

Des ew'gen Todes Offenbarung,

Das ist Zerstörung ohne Streit;

ANSELMO.

Ich seh' das andern Blickes an:

Der Tag verbleicht, der blüht heran;

Doch über alle Tage strahlt

Des Himmels milde Allgewalt

Mit unversiegtem Sonnenschein

Ins ewig junge Herz hinein.

So tröstet mich Religion;

Das ist des Christen stiller Ruhm:

Geht alle Herrlichkeit davon,

Eins bleibt, – das Evangelium!


Posaunen.


Nun tretet an die Säulen, Herr;

Der Zug beginnt, der Kaiser naht.


Ab.


FAUST.

Er wandelt schönen Traumes Pfad

Und kehrt zur Wirklichkeit nicht mehr.


Er stellt sich vorne an eine Säule.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 133-136.
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