Sechster Auftritt.

[209] Klerdon. Granville, (den Truworth und ein Bedienter führen.)


GRANVILLE. Setzt mich hier nieder, meine Freunde, und entfernt euch. Ich wünschte meine letzten Augenblicke mit meinem Klerdon allein zuzubringen. Bemüht euch nicht, mir Hülfe zu schaffen. Ich empfinde es, sie würde fruchtlos seyn. – Stille deine Thränen, Truworth, und auch du, dessen Treue gegen mich, nicht die Treue eines Bedienten, sondern eines Freundes gewesen. – Wie kränkt es mich, daß ich die Welt verlassen muß, ehe ich beiden diese Zärtlichkeit zu vergelten vermag. Truworth und der Bediente gehn ab. Zum Klerdon, der in einiger Entfernung steht. Nähern Sie Sich, Klerdon.

KLERDON. Ach Unglücklicher, wozu haben Sie mich bringen müssen!

GRANVILLE. Ich komme nicht hieher, Ihnen Vorwürfe zu machen, – ich komme, mich zu rechtfertigen. – Das Grab würde mir fürchterlich und grauenvoll scheinen, wenn es mich, mit[210] Ihrem Haß beladen, empfangen sollte – Sie schlugen es mir vorhin ab, mein Verbrechen mir zu eröffnen. Jetzt bitte ich, verschweigen Sie es nicht weiter. Lassen Sie es an dieser Rache genug seyn; hören Sie meine Vertheidigung an, und gönnen Sie mir, in den Armen meines ausgesöhnten Freundes zu sterben.

KLERDON. Konnte in einem Herzen von so großmüthiger Zärtlichkeit, ein so schwarzes Verbrechen geboren werden? Schauervolle Aussichten! Wenn diese vielleicht betrügerischen Hüllen hinweg wichen, wenn ich finden sollte, ich hätte mich geirrt – – doch Sie wollen es. So hören Sie denn die unselige Ursache meiner Raserey: – Henley zeigte mir einen Brief. Es war Ihre Hand, Ihr Name. Sie trugen ihm darinne Ihre Schwester an; gegen mich hauchten Sie nichts als unversöhnliche Rache wegen meines Betragens in London aus. Sie wollten, wie der Brief redete, mich durch die Zernichtung meiner teuersten Hoffnungen strafen, und denn öffentlich über meine Verzweiflung triumphiren. –[211] Verhaßter Brief! hätte ich ihn nie gesehn! – Die Verbergung der Ankunft Ihrer Schwester brachte meine von finsterm Verdacht umwölkte Seele noch mehr auf. Endlich trieb eine Unterredung, die, wie Henley vorgab, Sie mit ihm gehabt, und die voll der grausamsten Gesinnungen gegen mich war, die Furien meiner Brust aufs höchste. Ich eilte – – Hätte eine tödtliche Erstarrung doch gleich den ersten Schritt gehemmt! Denn, sind Sie auch schuldig, Granville, so bin ich doch unglücklich.

GRANVILLE. Dank sey dir, ewige Güte, daß du mir in meinen letzten Augenblicken die Glückseligkeit gönnest, mich bey meinem Freunde zu rechtfertigen! Auch Ihnen, Klerdon, danke ich dafür. – Meine Augen werden sich also noch mit dem Lächeln des Vergnügens schließen! Ich fühle es, dieser freudige Gedanke verjüngt mein schon stockendes Blut mit neuer Kraft zu seinem letzten Geschäfte. Nach einigem Innehalten Die zu begränzte Zeit, die mir übrig bleibt, befiehlt mir, meine Rechtfertigung abzukürzen. – Ich kam mit meiner Schwester[212] hieher, Sie mit ihr verbunden, und durch die Mittheilung meiner Güter wieder glücklich zu sehn. Die Ehre und die Zärtlichkeit derselben foderten, ihre Gegenwart Ihnen so lange zu verschweigen, bis ich Ihre Gesinnungen sowohl in Ansehung Ihrer, als der Religion, wider welche Sie Sich öffentlich aufgelehnt hatten, erforschet; dann hätte ich Sie mit dieser Freude unvermuthet überraschen wollen. Das war mein Vorhaben. – Wofern es auch möglich wäre, daß Unwahrheit in dieser feyerlichen Minute die Lippen eines Sterbenden entheiligen sollte, so werden doch die Schriften, die ich stets bey mir führe, und die ich Ihnen in Ihre Gewalt gebe, mich gänzlich lossprechen. – Mein letzter Wille – dieser Zufall hat mich nicht unbereitet überfallen – erklärt Sie und meine Schwester zu Besitzern meines Vermögens. Der Brief, – meine Unterredung mit Henley, alles ist Erdichtung – Und nun seyn Sie versöhnt, Klerdon, lassen Sie mich, liebster Freund – –

KLERDON der sich ihm zu Füßen wirft. Nennen Sie mich nicht Ihren Freund; dieser Name ist ein[213] Donner in meinen Ohren. Nicht diese Blicke, nicht diese Güte, großmüthiger, göttlicher Mann! nennen Sie mich ein Ungeheuer, – den Abscheu der Natur, – Ihren Mörder. Rufen Sie die zornigste Rache des Himmels über mein Haupt. Sie wird, sie muß mich treffen; – die entsetzlichsten Flüche – –

GRANVILLE. Nein, Klerdon, ich kann nichts, als Sie segnen. Meine Religion befiehlt es, und wie leicht wird diese Pflicht meinem Herzen! Stehen Sie auf, theuerster Freund! – es ist mir nicht möglich, Sie anders zu nennen; – umarmen Sie mich, lassen Sie mich ganz die Freude schmecken, von dem wieder geliebt zu werden, der stets das kostbarste Glück meines Lebens gewesen ist.

KLERDON. O Worte voll Tod! o Qual! o Verzweiflung! Und Sie können dem vergeben, was sage ich? Sie können mit dem von Liebe reden, der den abscheulichen Stahl in die zärtlichste, in die edelmüthigste Brust stoßen konnte? Wo jemals –

GRANVILLE. Nicht weiter, Klerdon! ich erlaube es Ihnen, einige stille Thränen der Freundschaft[214] auf mein Grab hin zu weinen; doch diese tobende, stürmische Angst müssen Sie bezähmen. Sie vollführten den Streich in einer Trunkenheit von Wut, da Sie selbst nicht Herr über Ihren Arm waren. Ein unglücklicher Irrthum hatte ihn bewaffnet –

KLERDON. Nein, entschuldigen Sie nicht eine Frevelthat, für der sich die Natur entsetzen muß. War es nicht schon Verbrechen genug, ein Herz, wie das Ihrige, in Verdacht zu haben? – O Henley! Ungeheuer, das mich fast selbst übertrifft, dich müsse meine Rache – –

GRANVILLE. Sie müsse ihn nie treffen. Ich bitte für ihn! – Verwerfen Sie nicht die Bitten eines sterbenden Freundes; huldigen Sie aufs neue den sanften Gesetzen der Religion, und dann werden Sie diese selbst lehren, ihm zu verzeihen. – – Versichern Sie ihn von mir, daß ich ihm meinen Tod vergebe, und in meinem letzten Augenblicke die feurigsten Wünsche für seine Wohlfahrt thue. – Lassen Sie uns, liebster Freund, diesen stolzen Geist zu seinem Besten schamroth machen, und ihn nöthigen, wenn er sieht, wie Christen, die er so tödtlich[215] beleidigt, sich rächen, selbst einer und glücklich zu werden. Nach einigem Stillschweigen. Ich sehe Sie trostlos, Klerdon, in stummer betäubender Verzweiflung. – Ach Unglücklicher! Ihr künftiges Schicksal – traurige Ahndung!

KLERDON. Wie? Sie würdigen mich, mich zu beklagen? Für mich fließet dieses großmüthige Mitleid aus diesen liebreichen Augen, die nun bald durch mich sich auf immer schließen.

GRANVILLE. Jetzt gedenke ich an meine Schwester, – die unglückliche Amalia! – Ihnen, Klerdon, befehle ich sie an, das kostbarste Kleinod, das ich besitze. Seyn Sie ihr ein Bruder, ein Freund, ein Gemahl, – ja, ein Gemahl; – denn warum sollte dieser widrige Zufall meine Absichten zerstören: – Sie war schon die Ihrige, sie soll es auch bleiben. Nie darf sie die Art meines Todes erfahren. Ihr Diener und der meinige, die mich verwundet gefunden, glauben, es sei von unbekannter Hand geschehn. – Meine Güter werden Ihren verfallnen Umständen wieder empor helfen. –[216] Dieß ist der einzige Zeitpunkt meines Lebens, wo ich mir großen Reichthum gewünschet. – Möchten doch Ihre beider Tage in Gefilden voll Glücks und ruhiger Freuden dahin fließen, und Ihr Bruder und Freund Ihnen nicht ein trauriges, sondern angenehmes Andenken seyn.

KLERDON der sich ihm zu Füßen wirft. Erhabner, schon den Unsterblichen, die deiner warten, ähnlicher Mann, wenn ein Elender aus seiner Tiefe dich um etwas beschwören darf, o! so töte mich nicht mehr durch diese mehr als menschliche Güte! Sie ist Marter, unerträgliche Marter für mich. Ich sollte dir danken, und kann nichts, als verzweifeln!

GRANVILLE. Halten Sie ein, Klerdon. Gönnen Sie mir doch die Freude, Sie ruhiger zu sehn, ehe ich sterbe. – Ich fühle es, der wichtige, der große Augenblick nahet heran; – noch wiederhole ich meine Bitte, die letzte, die feyerlichste Bitte, werden Sie wieder, was Sie vormals waren, der Bekenner einer Religion, die ihre Bekenner weit über die Klasse gemeiner[217] Menschen empor hebt. – – Lassen Sie meinen Tod den Zeitpunkt seyn, da Sie zu Ihrem Gott zurück kehren. – O Klerdon! welch ein Glück, ein Christ zu seyn! In der Stunde des Todes; dann werden Sie es erst recht fühlen. – Möchte doch die Ihrige der meinigen ähnlich seyn! Sie ist heiter, – ganz heiter, wenn nicht die Bekümmerniß um Sie, mir Thränen ablockte. – Unaussprechliche Wollust ergießt sich durch meine Seele. – Große, – ein nahes Glück weissagende Empfindungen bemeistern sich meiner; mein entzücktes Ohr höret die Harmonien der Unsterblichen! – Nach einigem Innehalten. Unterstützen Sie mich, Klerdon, mit Ihren freundschaftlichen Armen; – mein Auge kann Sie nicht mehr sehen, die Natur verwelkt vor meinen Blicken. – Wie sanft ist der Tod an der Brust eines Freundes! – Ihre bebenden Arme vermögen mich kaum zu umfassen? Ihre Thränen benetzen häufig mein Gesicht? – O träufle Trost auf ihn herab, du, zu dem sich mein Geist voll Ungeduld aufschwingt, und auch mir – – [218] Er hebt die Augen gen Himmel, und scheint einige Worte für sich zu sprechen. Nun ist es geschehn! – Leben Sie glücklich, Klerdon! – seyn Sie ein Christ, – bester Freund! – Er stirbt.


Klerdon, sieht den Körper des Granville einige Zeit starr und sprachlos an, und geht ab, mit einer Stellung, die Verzweiflung und betäubendes Entsetzen verräth.


Ende des vierten Aufzugs.


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 209-219.
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