Zweyter Auftritt.

[222] Klerdon. Amalia.


AMALIA die in wilder Betrübniß auftritt. Zu Ihnen, Klerdon! muß ich fliehen; – Ihren Beystand, Ihr Mitleiden, muß ich anflehen: – – Mein Bruder –

KLERDON. Wessen Stimme höre ich! – Indem er sie erblickt. O Rache! – – Miß! – – ich bin verloren![222]

AMALIA. Sie erschrecken? So wissen Sie denn schon, daß der beste, der zärtlichste Bruder – daß Ihr Freund von der Hand eines Bösewichts entseelt liegt? – Ich Unglückliche! ich konnte den entsetzlichen Streich nicht verhindern: – ich konnte nicht einmal die letzten zärtlichen Worte von seinen sterbenden Lippen aufsammeln; – seine brechenden Augen konnte ich nicht zudrücken: und auch den traurigen Trost, seinen blutigen Ueberrest zu umarmen, versagt man mir.

KLERDON. Unglückliche Miß! – unseliger Mörder!

AMALIA. Sie müssen seinen Tod rächen, Sie müssen dem Mörder nacheilen. Ein geheimer und um so viel gefährlicher Feind muß ihm nachgefolget, und keinen bequemern Ort zu seinem Frevel gewußt haben. Auf, Klerdon! vielleicht ist der Bösewicht noch in dem Bezirk dieser Mauern.

KLERDON. Wie, Miß? ich seinen Tod rächen? – Ich Elender! –

AMALIA. Und wem könnte dieses traurige Geschäffte anders zukommen als Ihnen? Waren[223] Sie nicht stets der liebste und teuerste seiner Freunde? Wüßten Sie, wie zärtlich er für Ihre Wohlfahrt besorgt war, wie viele wehmüthige Thränen Ihre bedrängten Umstände ihm abgelockt, wie sehr seine Seele mit der Ihrigen litte, mit welcher Ungeduld er die Reise beschleunigte, die er bloß zu Ihrem Besten unternahm, wie sein ganzes Herz in Wollust zerfloß, wenn er sich Ihr durch ihn wieder aufblühendes Glück vorstellte; wüßten Sie die Entwürfe, die er machte, es Ihnen auch nach seinem Tode zu versichern – – vielleicht gab ihm dieß Ihr Schutzgeist ein, der den traurigen Fall voraus sah – – wenn Sie dieses wüßten – doch warum sollten Sie es nicht wissen? Sie liebten ihn ja auch – nur zu sehr sehe ich, welche betäubende Traurigkeit sich durch Ihre Seele verbreitet hat, ich lese Ihre Verzweiflung in Ihren Augen.

KLERDON. O Tag voll Frevel! voll Grauen! warum mußte ich dich erleben?

AMALIA. Ihre Schmerzen, Ihre stürmische Angst, machen Sie mir noch theuerer. Nun erkenne ich den wahren Freund –[224]

KLERDON. Fliehen Sie mich, Miß! fliehen Sie mich auf ewig! Sie würden mich verabscheuen, wenn Sie mich kennten.

AMALIA. Ich? Sie fliehen? Wo bliebe mir nach Ihnen noch einige Zuflucht übrig? In meinem Bruder hat eine grausame Hand mir die letzte Stütze geraubt: – Sie allein sind mitten unter den Ruinen von dem, was mir jemals theuer gewesen, zurück geblieben; Sie, – denn warum sollte ich eine Liebe, die von allen gebilligt wird, leugnen? – Sie, den zu lieben sich mein Herz durch eine süße Gewohnheit schon so lange zu seinem vorzüglichsten Geschäfte gemacht hat; Sie, den selbst der Wille des zärtlichsten Bruders bestimmte, künftig mit mir vereinigt, gesellige Thränen seinem Andenken zu weihen, Sie allein müssen mir jetzt alles, was ich verlor, ersetzen, Sie müssen meinen Verlust an dem Unwürdigen ahnden, der ihn verursachte. – Vielleicht frohlockt der Blutdürstige jetzt über den gelungenen Frevel. Noch einmal, Klerdon, eilen Sie ihm nach. Bey dem vergoßnen Blute Ihres Freundes, bey seinem[225] Andenken, bey Ihrer Zärtlichkeit gegen mich, beschwöre ich Sie – –

KLERDON. Nicht weiter, Miß! diesen Reden kann ich nicht länger widerstehn. Sie sind gleich tausend brennenden Schwerdtern in meiner Brust. Sie sollen alles wissen – Sie werden mich hassen, Sie werden mich verfluchen; – zu meinem Verderben, sollen Sie alles wissen: – ich kenne den Mörder.

AMALIA. Sie kennen ihn? und noch befleckt das Blut meines Bruders ungeahndet die Erde? noch geht das Ungeheuer, das ihn tödten konnte, triumphirend und frey herum? – Nennen Sie mir ihn; ich gehe selbst alles wider ihn aufzubringen.

KLERDON. Sie wollen es – zittern Sie – Der Mörder –

AMALIA. Wer ist der Mörder?

KLERDON. Ich selbst.

AMALIA. Ists möglich? – Klerdon, – Sie? Nein, Ihre zerrüttete Phantasie reißt Sie dahin: – Sie sind nicht der Mörder meines Bruders; Sie konnten nicht den zärtlichsten, den großmüthigsten[226] Freund durchbohren, und diejenige zu beständigen Thränen verdammen, die Sie unaussprechlich liebt – Nein, Klerdon, dieß konnten Sie nicht.

KLERDON. Ich wäre zu irgend einem Frevel unfähig? – ich betrüge Sie nicht, Miß! ich bin der Mörder, ich bin das Ungeheuer, das Sie so lange verkannt haben.

AMALIA. Die Uebermaß der Schmerzen hat Ihren Geist überwältigt – fassen Sie Sich, und hören Sie auf, mich mit so ausschweifenden Reden zu schrecken. Schauer durchströmt mich bey dem bloßen Gedanken, daß Ihnen diese That möglich gewesen. – Wie? Sie wären unmenschlich genug? – nein! ein einziger Blick Ihres Freundes würde Sie entwaffnet haben.

KLERDON. Sie müssen mir glauben, Miß, – ich will es, ich fodere Ihren Haß – das ärgste, das fürchterlichste für mich – ich brenne, mein Verderben vollendet zu sehn. Ja, Ihr Bruder fiel durch meine Hand, und fiel unschuldig; Eifersucht, Irrthum, ein Geist des Verderbens, der sich meiner bemächtigte, trieb mich zu der entsetzlichen[227] That. – Wo seine Angst, seine Wut, seine Verzweiflung, wo der Abscheu, mit dem die ganze Natur sich wider ihn empört, Ihnen den Mörder nicht verrathen, so erkennen Sie ihn an dem Grausen, das ihm Ihre Gegenwart einjagt. – Sie war unaussprechliche Wollust für ihn, so lange er unschuldig war. – Ueberzeugt Sie dieß nicht, so fürchten Sie, daß die Erde vor Ihren Augen sich unter ihm aufreiße, und Sie zwinge zu glauben. Nein, Miß, keine zerrüttete Einbildung spricht aus mir; ich schwöre bey den unerträglichen Gerichten –

AMALIA. Entsetzlicher Schwur! – schreckliches Licht, das mich überfällt! Hinweg, Mörder! – Ungeheuer! – das Blut deines Freundes strömt an dir herab! – Raserey und Mordlust umgeben dich! – Ich sehe ihn, ich sehe den Unglücklichen, sorglos für sein Geschick, zu dir nahen, ich sehe, wie dein wütender Arm den blutdürstigen Stal gegen ihn empor hebt – gegen ihn? – Unmensch! Er denkt auf nichts als dein Wohl – du durchbohrst eine Brust, an die die Freundschaft dich so oft mit Inbrunst drückte – Kann dich nichts erweichen?[228] nicht jene sanfte Majestät, die von seiner Stirne herab stralt, nicht jene Mienen, die Güte und Menschenliebe reden? – O Entsetzen! ich sehe ihn fallen, ich sehe ihn den Tod doppelt fühlen, da er ihn von der Hand des Freundes empfängt – Du verweilst noch hier, Wütender? du tödtest mich noch länger durch deinen Anblick? Trunken vom Blute des Bruders bist du ungeduldig, dich mit dem meinigen zu sättigen? Kröne deinen Triumph! stoße den grausamen Stal, den Mörder deiner Freunde, in diese Brust! – tödte mich! – denn auch ich kam, dich zu retten.

KLERDON. Deine Wut ist erschöpft, verfolgendes Geschick; nunmehr bin ich zum tiefsten Abgrund der Verzweiflung hinabgesunken; ich trotze jetzt deinem Haß, versuche es, erfinde neue, höhere Qualen für mich. – Und dennoch übersteigt diese peinigenden Empfindungen die Grösse meines Verbrechens. Sie selbst, Miß, wissen noch nicht jeden Umstand, der es erhöht. Sie kennen noch nicht den ganzen erhabnen Geist, den ich der Welt raubte – Hier an diesem Orte empfieng ich Vergebung[229] von seinen sterbenden Lippen; hier war es, wo er mit seinem Mörder von nichts als Liebe redete; hier war es, wo seine empor strebende Seele nur darum zu verweilen schien, ihre ganze Größe zu entfalten, und von einem blendenden Schimmer mehr als menschlicher Tugend umflossen, die Erde zu verlassen.

AMALIA. Er hat demjenigen vergeben – –

KLERDON. Ja er that es, und noch mehr, er hat ihn gewürdigt, ihn Freund zu nennen. Er hat seine letzten Thränen über das Schicksal seines Mörders vergossen, und die feurigsten Gebete für das Wohl des Zerstörers seines irdischen Glücks gesprochen. O Andenken, das ewig sein Rächer seyn wird! – ich sah ihn seine erstarrenden kraftlosen Arme, da ihm die siegende Gewalt des Todes sie kaum noch zu erheben erlaubte, voll Zärtlichkeit gegen mich ausstrecken, und in meinen Umarmungen hauchte er die göttliche Seele aus. So einen Bruder habe ich Ihnen entrissen. Schütten Sie nunmehr Ihren ganzen Zorn über mich aus! überhäufen Sie mich mit Flüchen! – Wie? Sie[230] blicken mich mit Thränen, mit einer Miene voll Mitleid an? – Nicht diese Empfindungen, Miß! – Sie beleidigen das Andenken meines Freundes – Zorn, Wut, Abscheu, Verwünschungen, diese fodre ich, diese verdiene ich.

AMALIA nach einem langen Stillschweigen. Meine ersten Bewegungen haben mich hingerissen, – wie unähnlich war ich dir, o mein erhabner Bruder! – dein Beyspiel begeistert mich jetzt. – Ich sehe, wie du mir aus jenen Gegenden, wo Glanz und Unsterblichkeit dich krönen, zurufst und mir jene großmüthige Sanftmuth empfiehlst, für welche dich jetzo das Lob der Himmel belohnt. Mein Bruder hat Ihnen vergeben, Klerdon, und ich würde strafbar seyn, wenn ich Rache gegen den aushauchte, den er noch sterbend seinen Freund nannte. Da seine Lippen Sie segneten, so sey es fern, daß die meinigen von Verwünschungen wider Sie strömen sollten. Nur zu sehr bemerke ich, was für bittre Vorwürfe Ihnen Ihr eigen Herz macht: – Ich verzeihe Ihnen, und ich bedaure Sie. – Möchte Ihnen doch jener göttliche Richter auch verzeihen![231]

KLERDON. Dieß kann er nie. Die Thränen, die ich eine so edelmüthige Tugend zu weinen zwinge, sind zu mächtige Ankläger für mich.

AMALIA nach einigem Stillschweigen. Wir müssen uns trennen. Dieser unglückliche Zufall hebt alle Verbindung zwischen uns auf. Ich eile, mich einer beständigen Einsamkeit zu widmen, und den Bruder und Geliebten zu beweinen, die mir beide ein neidisches Geschick auf Einen Tag entwandt hat. – Unglücklicher Klerdon, könnten Sie doch der Ruhe künftig genießen, der ich nie wieder genießen werde!

KLERDON. Sie mich auf ewig verlassen? – Doch ja, Sie müssen es. Nie sollen Sie den strafbaren Klerdon wieder erblicken. – Möchten Sie mit ihm alle Schmerzen vergessen, die er Ihnen jemals verursachte! – Ich gehe zu sterben, und bald soll ein rächender Tod – –

AMALIA. Nein, Klerdon, leben Sie! wo meine letzte Bitte etwas über Sie vermag, so leben Sie, um Ihre Verbrechen zu beweinen, und einen Gott zu versöhnen, den Sie so sehr gereizt haben.[232] Warum mußten Sie ihn jemals verlassen, und warum wollten Sie zu so vielen Empörungen die größte hinzuthun, und den Tod wählen, da er Ihnen zu leben erlaubt. – Meine hervorbrechenden Thränen verbieten mir, diese Unterredung fortzusetzen. – Noch einmal, Klerdon, wiederhole ich es, leben Sie, und wo meine Wünsche bey dem Himmel etwas vermögen, so werden Sie glücklich leben.


Sie geht ab.


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 222-233.
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