[Am Berge hoch in Lüften]

[124] Am Berge hoch in Lüften,

Da baute er sein Haus;

Am Tore liegt Gewitter,

Nun kann er nicht hinaus.

Die Wolken, sie wollen nicht ziehen,

Der Pfad ist steil und schwer,

O Lieber, Herzlieber in Lüften,

O wenn ich bei Dir wär'!


Wohl bei Dir über Wolken,

Wohl bei Dir über Wind,

Wo fromme Vöglein schweben

In Himmelsluft so lind.

Meine Flüglein, die sind mir gebrochen

Und heilen auch nicht eh'

Bis ich zu der Herzliebsten

Durch Tür und Tor eingeh'!


Daß ich so stolz in Lüften

Mein Haus gebauet hab',

Das muß mich gar betrüben,

Ich kann nicht mehr hinab;

Die Riegel sind alle verrostet,

Die Tore sie gehen so schwer,

O Liebchen, Herzliebchen im Tale,

O wenn ich bei Dir wär'!


Wohl bei Dir in dem Garten,

Wohl bei Dir in dem Wald,[124]

Wo dichte Bäume stehen

Und Vogelsang erschallt.

Ich kann kein' Kranz mehr flechten

Und singen auch nicht eh'

Bis ich zu Dir Herzliebste

Durch Flur und Wald eingeh'.


Sie dringt wohl durch die Wolken,

Geht ein durch Tür und Tor,

Die Flüglein schnell ihr heilen

Und heben sie empor,

Wohl über die Wolken und höher

Zu Gott wohl in die Höh',

Trägt sie das treue Herze,

Ade, Herzlieber, ade! –


Er dringt wohl durch die Wolke,

Geht ein durch Flur und Wald,

Ein Kranz wird ihm geflochten,

Ein Lied ihm auch erschallt,

Wohl unter dem Baum und wohl tiefer

Wohl unter grünem Klee

Ruht nun sein stolzes Herze,

Ade, Herzliebste, ade! –

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 124-125.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)