Die Zigeunerin

[188] Liebe Frau, daß Gott dich segne,

Und daß dir sein Glück begegne!

Sei willkommen altes Männlein!

Da mit deinem schönen Kindlein!


Mutter


Gar willkomm' auf unserm Pfade,

Schwester mein, daß Gott dir gnade,

Deiner Schuld Verzeihung sende,

Der barmherzig ist ohn' Ende.


Zigeunerin


Pilger, ihr müßt wohl gar müd sein,

Und ich glaub', ihr armen Leutlein

Mögt ein Obdach gern erreichen,

Die lieb Frau auch gern absteigen.


[188] Mutter


Ihr, wer seid ihr, Schwester meine?

Ihr seid höflich ungemeine,

Ihr seid recht erfüllt mit Güten,

Mir die Hülfe anzubieten.


Zigeunerin


Ich bin ein Zigeunerweiblein,

Und wenn gleich ein armes Schelmlein,

Lad' ich euch zu meiner Hütte,

Nehmt's vor Liebe an, ich bitte.


Mutter


Immer sei gedankt, gelobet

Gott der Herr im Himmel droben,

Deine freundlich lieben Reden

Trösteten mein Herz in Nöten.


Zigeunerin


Schnell, steig ab, o meine Fraue!

Eine Göttin ich dich schaue,

Ich die Kreatur mit Bangen

Fühl' dies Herz mit Lieb umfangen!


Mutter


Wir von Nazareth herkommen,

Fanden nirgends Unterkommen,

Müd vom Weg und ohn' Bekannte,

Sind wir nun im frenden Lande.


Zigeunerin


Ich hab' einen kleinen Stall hier,

Da kann stehen euer Saumtier,[189]

Heu und Stroh will ich drin streuen,

Daß wir all uns drin erfreuen.


Liebe Frau, ist's nicht nach Würden,

So verzeiht, wie mag bewirten

Eine Königin ich Arme,

Ach daß Gott sich mein erbarme!


Und du Alterchen sitz nieder,

Kamst zu Fuß, hast müde Glieder,

Schöne Tochter ohn' Verweilen

Machtet ihr dreihundert Meilen.


Eine Königin der Gnaden

Bist du, wie's mein Herz erraten,

Dieser ist dein Eh'herr, denk ich,

Ei wie ist er gut und freundlich!


Und gefällt dir's, liebe Fraue,

Daß ich in die Hand dir schaue,

Wenn gleich arm und zu beklagen,

Will ich dir dein Glück wahrsagen.


Doch was ich werd' sagen müssen,

Wirst du all schon besser wissen,

Denn es läßt dein schönes Wesen,

Eine große Weisheit lesen.


Töricht werd' ich noch vor Freude,

Glücklich war mein Ausgang heute,

Du bist, ich kann's unterscheiden,

Auserwählt von Ewigkeiten.


Du warst stets die Gottgeliebte,

Reine, keusche, ungetrübte,

Du bist Mutter von dem Sohne

Dessen Vater himmlisch wohnet.[190]


Gott zum Boten dir bestellte

Gabriel, den Glanz umhellte,

Dir im Kämmerlein verschlossen,

Hat die Botschaft sich ergossen.


Wußtest, daß und wie der Willen

Gottes, sich ins Fleisch zu hüllen,

O was Trost ist aufgegangen,

Weib in deinem Gottempfangen.


Gnadenvoll bist du gewesen,

Himmelskönigin erlesen,

Als er sprach mit Worten süße,

Ave Maria, Gott dich grüße!


Und als er dich so gegrüßet,

Angst dein reines Herz durchfließet,

Deine Frucht sei benedeiet,

Die die Welt erlöst, befreiet.


Und von Demut ganz erfüllet,

Mir gescheh', wie Gott gewillet

Mir der Magd des Herrn, es komme,

Der Erlöser, sprachst du fromme.


Aber Joseph dort der gute

Dachte nach in trübem Mute,

Und ob deines Leibes Segen

Tät sein Herz viel Sorgen hegen.


Doch vom Engel unterrichtet,

Ward mit Trost er aufgerichtet,

Und dich Schöne Gottbegehrte

Höher er fortan verehrte.


Und als nun die Zeit gekommen,

Hast du Joseph mitgenommen,

Um nach Bethlehem zu gehen,

Mußtest viele Not ausstehen.[191]


Konntest nirgend Obdach finden,

Deiner Frucht dich zu entbinden,

Ach du mußtest, Weib der Ehren,

Einsam unterwegs gebären.


O welch arm elende Stätte,

Ohne Feuer, ohne Bette,

In dem Stall, du Gottbeschwerte,

Unter dir die harte Erde.


In der heil'gen Weihnacht Taue,

Da gebarst du o lieb Fraue,

Diesen schönen Gottesknaben,

Hirten ihn verehret haben.


Betetest ihn Lieb erfüllet

An, ins Schleierlein gehüllet

Legtest du dein schönes Knäblein,

Zwischen's Öchslein und das Es'lein.


In der Krippe statt der Wiege,

Schöne Frau dein Kindlein lieget,

So gebarst du Gott hienieden,

Krieg nahm er und gab den Frieden.


Solcher Glanz die Nacht entzückte,

Daß die Welt erstaunend blickte,

Alle Hirten sangen Lieder,

Der Erlöser kam hernieder.


Und der Engel Melodeien,

Konnten alle Welt erfreuen,

O du Nacht der Seligkeiten

Ganz voll Licht und Himmelsfreuden.


Hirten kamen ihn zu ehren,

Gaben groß ihm zu bescheren,

Ihr Geschrei drang zu den Ohren,

Der Messias ist geboren.[192]


Und weil ihr so mild und huldreich

Zeigt mir auch, lieb Frau, ich bitt' euch,

Zeigt, mir Armen, euer Kindlein,

Den Erlöser in den Windlein.


Mutter


Schwester, blick zum Himmelskinde,

Zum Erlöser aller Sünde,

Ach schau wohl, in seinen Blicken

Paradiesisches Entzücken.


Zigeunerin


Ach du lieb Frau Kaiserinne,

Bin nur eine Sünderinne,

Doch wem kann geliebter sein

Dies mein liebes Jesulein.


Ach mein Weg war wohl gesegnet,

Daß ich euch allhier begegnet,

Drum schlug mir mein Herz voll Bangen,

Da ich hier herausgegangen.


Doch weil es der Himmel wollte,

Daß ich dir wahrsagen sollte,

Ich dir mit betrübter Seele,

Des Erlösers Leid erzähle.


Schöne Mutter voller Güte,

Duldsam bist du im Gemüte,

Deine Äuglein nur bereite,

Weinen solln wir alle beide.


Jesus beten wird im Garten,

Gottes Stärkungskelch erwarten,

Blut'ger Angstschweiß wird ihn decken,

Ach mein Herz erbebt vor Schrecken.[193]


Dann kömmt Judas hergegangen,

Küßt verratend seine Wangen

Und um dreißig Silberlinge

Wird verkauft der Herr geringe.


An die Säule fest gebunden

Und geschlagen voller Wunden

Und gekrönet, ich ihn schaue,

Ach mit Dornen, liebe Fraue.


Von des Kreuzes Last gebeuget,

Traurig er zum Berge steiget,

Und erschöpfet und entkräftet

Wird er an das Kreuz geheftet.


Liebe Frau, nach seinem Ende

Wird er in das Grab gesenket,

Und nach dreien Tagen wieder

Hebt er lebend auf die Glieder.


Und zwölf Jahr nach diesem Tage,

Liebe Frau, wie ich euch sage,

Kehrt er sich zum andern Leben,

Wird zum Himmel sich erheben.


Dann o Mutter voller Leiden,

Wirst du für uns Sünder streiten,

Weil du kamst zu solchen Ehren

Um die Schlange zu zerstören.


Liebe Frau, nun will ich schweigen,

Euch nicht länger niederbeugen.

Gebt, daß ich nach meinem Ende

Wieder schau in eure Hände.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 188-194.
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