Lureley

[247] Singet leise, leise, leise,

Singt ein flüsternd Wiegenlied,

Von dem Monde lernt die Weise,

Der so still am Himmel zieht.


Denn es schlummern in dem Rheine

Jetzt die lieben Kindlein klein,[247]

Ameleya wacht alleine

Weinend in dem Mondenschein.


Singt ein Lied so süß gelinde,

Wie die Quellen auf den Kieseln,

Wie die Bienen um die Linde

Summen, murmeln, flüstern, rieseln.


Herzeleid


Wer nie sein Brot in Tränen aß,

Wer nie die kummervollen Nächte

Weinend auf seinem Bette saß,

Der kennt euch nicht, ihr himml'schen Mächte!


Wer einsam nie am Strome ging,

Wer nie wie die trauernde Weide

Sein Haupt zum Spiegel niederhing,

Der weiß noch nichts vom schweren Herzenleide.


Chor


Sieh! wie wandelt der Mond so helle,

Horch! wie eilet die Quelle so schnelle,

Summ, summ, summ,

Kein Tröpflein kommt um.


Liebesleid


Wer vor dem Fels die Hände ringt

Und eines Hirten Liedes fluchet,

Vom Brunn des Mondes nicht mehr trinkt,

Den hat das bittre Elend heimgesuchet.


Wer keine Blume brechen mag,

Sie lieber mitleidlos vernichtet[248]

Mit seines Pilgerstabes Schlag,

Den hat der Liebe Leid wohl hingerichtet.


Chor


Sieh! wie schlummern die Blumen so leise,

Horch auf der Nachtigall klagende Weise,

Summ, summ, summ,

Der Schmerz geht herum.


Liebeseid


Wer glaubt, daß der Treue Schwur,

Den leicht die Lippe spricht in trunknen Stunden,

Ein leerer Schall des Rausches nur,

Des Ehre ist an einer Frauen Haar gebunden.


Und wer die Götter lachen hört,

Als er den Liebesmeineid ausgesprochen,

Von dem hat sich der gute Geist gekehrt,

Sein Herz wird mit dem Glückesrad gebrochen.


Chor


Sieh! wie das Auge der Eule glüht,

Horch! wie die Fledermaus rauschend zieht,

Summ, summ, summ,

Der Meineid geht um.


Liebesneid


Wer Steine wirft ins grüne Haus,

Wo treue Turteltauben girren

Und falsche Lichter stellet aus,

Den Schwimmer auf der Liebesfahrt zu irren;


Wer in dem Taue auf der Flur,

Um einer Hirtin Tugend anzuschwärzen,[249]

Verrät der nächt'gen Liebe Spur,

Der nährt den Wurm des Neids in bösem Herzen.


Chor


Sieh! wie ringelt zwischen Blumen die Schlange,

Horch! wie seufzet die Nachtigall bange,

Summ, summ, summ,

Der Neid geht herum.


Reu und Leid


Wer vor der Sünden Strafe bebt

Und nicht vor ihrem innern Tod erschrecket,

Noch fremde Schuld in seine webt,

In dem ist noch die Buße nicht erwecket.


Wer seine Zeit und die Gebrechlichkeit

In seiner eignen Schuld wagt anzuklagen,

Dem hat die Reue und das bittre Leid

Noch nicht so recht ans kranke Herz geschlagen.


Chor


Horch! wie der Wurm im Holz dort naget,

Horch! wie die Weid' im Teiche klaget,

Summ, summ, summ,

Die Reue geht um.


Mildigkeit


Wer nie der Vöglein Brut gestört,

Wer auf der Schwalbe frühen Morgensegen

Mit süß erquickter Seele hört,

Der geht der Armut mildreich auch entgegen.


Wer die zerknickte Ähre gerne hebt

Und gern die Mücke aus dem Netz befreit,[250]

Der Spinne schonend, die es sinnreich webt,

Des Herz ist voll von göttlichem Mitleid.


Chor


Sieh! an den Dorn hängt das Lamm die Wolle,

Daß sich das Vöglein weich betten solle,

Summ, summ, summ,

Das Mitleid geht um.


Liebesfreud


Wer lachend früh die Sonne grüßt

Und heiter an den Mittag blicket,

Und fromm im Abendsterne liest,

Zufrieden, wie die Nacht ihr Haus beschicket:


Der wird auch froh in Liebesaugen sehen

Und greifet in das falsche Rad dem Glücke,

Es muß vor seinem Frieden stille stehen,

Daß Liebesfreude gründlich ihn entzücke.


Chor


Sieh! wie lächelt gen Morgen die Ferne,

Horch! wie grüßet die Lerche die Sterne,

Tireli, Tireli –

Der treue Müller ist hie.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 247-251.
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