[Sieh den dunklen Schleier]

[260] Sieh den dunklen Schleier der Nacht,

Wie er sich hernieder senket,

Da des Wagens schimmernde Pracht

Phöbus nun hinab gelenket.

Sehnsucht führet die Geliebten

Auf des Mondes Zauberpfad,

Wo sie gestern Scherze übten,

Zu des Seees Glanzgestad.


Sieh, den dunklen Schleier der Nacht,

Immer näher aus der Ferne,

Sticken nun mit lachender Pracht[260]

Die geliebten Heldensterne!

Einer aber ist geschweifet,

Er ist heftig und ist mutig,

Und den Mond er peitschend greifet,

Und der blasse Mond wird blutig!


Sieh, des Monds zerschmettertes Schild

In ein rotes Feld sich kehrte,

Und des Wappens gläubiges Schild

Schmückt der Stern mit einem Schwerte.

Benavides, deinem Stamme

Ist der Glanz nun angefacht!

Aber sieh, des Schwertes Flamme

Weichet und es kehrt die Nacht!


Sieh, ein feuriger Regen fällt,

Und es schwebt, gleich einem Sarge

Über der zornumfluteten Welt

Jetzt die gottgebaute Arche!

Und es fliegt der dunkle Rabe,

Kehret hoffnungslos zurück,

Aber mit der Friedensgabe

Sieht die Taube Sonnenblick!


Und es spannt der Bogen des Herrn

Seine bunte Farbenbrücke,

Tränen schimmern so freudig gern

In des Auges Sonnenblicke.

Wie der Hals der Taube schimmert,

Locket eines Habichts Wut,

Ach, der Fried', wird der zertrümmert,

Taube, du wirst Opferblut!


Wohl uns! überm Habicht kreist

Nun ein Falke, doch zu leise,

Denn der Habicht stürzend zerreißt

Weh! die Taube sich zur Speise.

Falke, lieber Falke, stürze[261]

Auf den Habicht, daß ihr Weh

Rächend wenigstens sich kürze,

Daß ich tot den Mörder seh!


Habicht wird zum blutigen Schild,

Unter ihm die arme Taube,

Aber der Falke steiget zum Wild

Über des Wappens geharnischte Haube,

Und der Falke wird zum Schwerte

Das sich flammend abwärts kehrt,

Daß der Traum erfüllet werde,

Nieder in dein Herzschild fährt!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 260-262.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon