[Die Welt war mir zuwider]

[273] Die Welt war mir zuwider

Die Berge lagen auf mir

Der Himmel war mir zu nieder

Ich sehnte mich nach dir, nach dir,

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Ich trieb wohl durch die Gassen

Zwei lange Jahre mich

An den Ecken mußt' ich passen

Und harren nur auf dich, auf dich.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Und alle Liebeswunden

Die brachen auf in mir

Als ich dich endlich gefunden

Ich lebt' und starb in dir, in dir!

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Ich hab' vor deiner Türe

Die hellgestirnte Nacht,

Daß dich mein Lieben rühre

Oft liebeskrank durchwacht.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Ich gieng nicht zu dem Feste

Trank nicht den edlen Wein[273]

Ertrug den Spott der Gäste

Um nur bei dir zu sein.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Bin zitternd zu dir gekommen

Als wärst du ein Jungfräulein,

Hab' dich in Arm genommen

Als wärst du mein allein, allein.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Wie schlecht du sonst gewesen

Vergaß ich liebend in mir

Und all dein elendes Wesen

Vergab ich herzlich dir ach dir,

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Als du mir nackt gegeben

Zur Nacht den kühlen Trank

Vergiftetest du mein Leben,

Da war meine Seele so krank so krank,

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Bergab bin ich gegangen

Mit dir zu jeder Stund,

Hab' fest an dir gehangen

Und gieng mit dir zu Grund.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Es hat sich an der Wunde

Die Schlange fest gesaugt

Hat mit dem gift'gen Munde

Den Tod in mich gehaucht.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Und ach in all den Peinen

War ich nur gut und treu

Daß ich mich nannt' den Deinen

Ich nimmermehr bereu', bereu'.

O lieb Mädel, wie schlecht bist du!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 273-274.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon