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[369] O du Brunn des wahren Lebens,
Voller Lust und Lieblichkeit,
O wie oft nach dir vergebens
Seufze ich in meinem Leid,
Ach wann wird zu dir einst fahren
Meine Seel' aus diesem Land,
So bisher in vielen Jahren
Bleibt in gar betrübtem Stand!
Ach daß möchten bald zerspringen
Die zu starke Lebensbänd',
Daß die Seel' hinauf sich schwingen
Möcht' zu ihrem Ziel und End'!
Ich gezwungen hie muß bleiben,
Gern wollt' fahren bald hinauf,
Mein Begierden stark mich treiben,
Zu vollenden meinen Lauf.
Kann nit länger ausgeschlossen
Von dem Trunk des Brunnens sein,
Der vom Anfang ausgegossen
Gibt mir lauter Freudenwein,
In der Höh' ist er gegründet,
Ihn umfaßt ein' solche Stadt,
Da nur Lieb' und Fried' sich findet,
Da man nichts zu fürchten hat.
Da die Mauren und die Pforten
Glänzen wie der Sternenschein,
Da die Palläst' aller Orten
Edle Stein' und Perlen sein,
Da die Weg' und alle Straßen
Nie vom Regen werden naß,
Ja sein über alle Maßen
Glänzend wie das gülden Glas.
Nichts vom Winter da man leidet,
Keine Wind' zu spüren sein,
Aller Schnee die Felder meidet,[370]
Blitz und Donner halten ein,
Steter Frühling da sich zeiget,
Prangt mit seiner Gärten Schätz'
Gar kein Dorn sich da ereignet,
Alle Frucht bleibt unverletzt.
Blumen sein dort auserlesen,
Nit verändern's ihren Stand,
Laub und Gras bleibt unverwesen,
Haltet immer grün das Land,
Balsam, Honig häufig fließen,
Und bereichen Berg und Tal,
Auch an Bäumen zu genießen
Hängen Früchten ohne Zahl.
Nie zum Untergang da neiget
Sich der helle Sonnenschein,
Immer auch der Mond sich zeiget
Unverändert, voll und rein,
Auch die Sternen nit mehr leiden,
Daß man's treibt zur finstern Wacht,
Von dem neuen Licht nie scheiden,
Fliehen nimmer zu der Nacht.
O du Lamm, bist Sonn' und Mone,
Du der Stadt giebst allen Schein,
Von dir kommt ihr Freud und Wonne,
Alle durch dich selig sein;
Deiner Freunden Glanz darneben
Wird durch dich den Sternen gleich,
O wie freund- und herrlich leben
Allesamt in deinem Reich!
Mit den Palm- und Lorbeerzweigen
Herrlich treten sie hervor,
Ihren Sieg damit zu zeigen,
Du selbst führest ihren Chor;
Groß Frohlocken wird gehöret,
Weil gelegt ist aller Krieg,
Nichts die sichre Freud' verstöret,
Ewig ihnen bleibt der Sieg.
Nit der Geist wird mehr verletzet[371]
Durch des Fleischs Betrüglichkeit
Dies den Stachel nit mehr wetzet
Zum gewohnten Seelenstreit,
Sein einander wohl gewogen,
Wunderfriedsam sein verpaart,
Weil der Leib auch angezogen
Nunmehr hat der Seelen Art.
Solcher Fried' ist gleichermaßen
Bei der auserwählten Schar,
Freudenfest auf allen Gassen
Alle halten immerdar.
Alle in der Jugend blühen
Und frohlocken immerdar,
Keine Sorg' sie kann bemühen
Und erwecken graue Haar.
Was den Menschen je erfreuet,
Haben sie in Überfluß,
Was der Mensch hingegen scheuet.
Weit von ihnen bleiben muß.
Aus dem Brunn des Lebens fließet
Alles Gut ohn' Unterlaß,
Dessen jedermann genießet
Ohne Ziel und ohne Maß.
Also süßlich immer leben
Die so liebe Gottesfreund',
Gern sich aller Dienst begeben,
Nur mit Gott zufrieden seind.
Speis und Trank nach Wunsch sie haben,
Keiner Durst noch Hunger leidt,
Gott mit seinen besten Gaben
Sie erquickt in Ewigkeit.
Fröhlich singen sie und klingen,
Geben ihrem Gott die Ehr,
Auf das immerwährend Singen
Sie zu singen wünschen mehr,
Keinen tut der Neid verwunden,
Eins ist aller Glück und Ehr,
Lieb' sie alle hat verbunden,[372]
Gleich als ein Person da wär'.
Was Gott einem hat gegeben,
Allen macht die Lieb' gemein,
Was gemein, ein jeder eben
Hat, als wär' es sein allein.
Keiner kann da Spaltung leiden,
Dann es ist der Liebe Reich,
Sein die Kronen schon verscheiden,
Macht die Lieb' doch alles gleich.
Diese Lieb' vom Geist entzündet
Immer bleibt in ihrer Glut,
Dann in Gott ist sie gegründet,
In dem lieb und höchsten Gut.
Aller Herz ihm einverleibet
Hat die göttlich Gütigkeit,
Darum stets bei allen bleibet
Die gewünschte Einigkeit.
Keine Plag' sie wird berühren,
Nichts den Leib wird machen matt.
Ja gar nit wird sein zu spüren,
Was vom Tod nur Namen hat.
Süßlich viele Instrumenten
Mit dem Singen stimmen ein,
Dieses Musikspiels Regenten
Gottes liebe Geister sein.
O! wie großes Gut wird geben
Denen, so aus dieser Welt
Gott beruft zu jenem Leben,
Und den Engeln zugesellt,
Da sie fröhlich immer sehen
Unter ihnen Sonn' und Mon,
Da sie ewiglich bestehen
Bei erlangter Ehrenkron'.
Ach zu welchen Freud' und Ehren
Werden Gottes Freund erhebt!
All mein Wünschen und Begehren
Nur nach diesen Gütern strebt.
Alle Güter dieser Erden[373]
Sein doch lauter Eitelkeit,
Können nit verglichen werden
Mit dem, was uns Gott bereit.
Jesu, wollest mir erwerben
Die so große Freud' und Ehr,
Gern alsdann ich jetzt wollt' sterben,
Und kein Ding begehren mehr!
Meine Seel' hast du versöhnet
Mit dem liebsten Vater dein,
Laß sie auch von dir gekrönet
Deines Reichs ein Miterb' sein!
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