Am 23. April 1818

[427] Ich darf mich wohl erfreuen

An diesem Gnadentag,

Da man die heil'gen Weihen

Zum kleinen Kinde sprach.


Zum Kind, das groß geworden

Die Weihe treu erhielt,

Und in dem Christenorden

Zum ew'gen Heile zielt.


Daß vierundzwanzig Tage

Man dich ließ Heidin sein,

Das bracht' dir manche Plage

Und Trug und falschen Schein.


Es tränkten alle Musen

Dich, außer Christi Hut,

Am vollen Sinnenbusen

Mit regem Lebensblut.


Du lerntest Träume spinnen,

In Kranz und Blumenspiel

Gar mancherlei ersinnen

Was nicht dem Herrn gefiel.


Du lerntest Lieder singen,

Die dich zur Welt gewandt,

Manch bunten Kranz zu schlingen,

Der an die Welt dich band.


Doch alle diese Künste

Sie wurden heut gekehrt

Zu einem heil'gen Dienste,

Der nur das Ew'ge ehrt.


In jenem heil'gen Bade

In jenem Heilerguß,[428]

Da schöpftest du die Gnade,

Von der ich leben muß.


Du liebes gutes Wesen,

Ertauftes Christenkind,

Mit dir bin ich genesen,

Ich war ein Heide blind.


Bin wieder auch geboren

Hab' Mut von deinem Mut,

Was alles ich verloren

Ersetzt mir Jesu Blut.


Das hast du mir von Herzen

Gleich anfangs zugesagt,

Als ich die bittern Schmerzen

Zu Füßen dir geklagt.


Und alle dies Erbarmen

Das kam heut über dich,

Du Kind auf Trostes Armen

Wardst auch ein Christ für mich.


Drum darf ich heut dich grüßen

Du fandst mich nah dem Tod,

Ließ'st Tränen auf mich fließen

Und tauftest meine Not!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 427-429.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon