Das Wasser
Ps. CIV, 25. 26.

[385] Das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelts ohne Zahl, beyde groß- und kleine Thiere. Daselbst geben die Schiffe, da sind Wall-Fische, die Du gemacht hast, daß sie darin schertzen.


1.

Gott, aus welchem alles quillet,

Der ohn' Ende Wunder thut,

Der der Tiefen Tief' erfüllet

Mit der regen Last der Fluht;

Gib, daß ich das Reich der Wellen

Tauge würdig vorzustellen!

HERR, das Wunder-reiche Meer

Sey ein Spiegel Deiner Ehr'!


2.

Dieses Wunder zu bedencken

Lasst uns Hertzen, Sinn und Muht

Auf des Wassers Wesen lencken,

Und der Flüss' und Meeres Fluht,

Jener Nutzen, dieses Breite,

Tief' und ungeheure Weite,

So weit unsre Kräfte gehn,

Mit Verwunderung besehn.
[386]

3.

Die fast unumschränckte Grösse

Der beschäumten Wasser-Welt,

Das unmeßliche Gefässe,

Das ihr Umkreis in sich hält,

Zeigen Gottes Gröss' und Stärcke,

Sind zwey solche Wunder-Wercke,

Deren jedes unsern Geist

Fast vergräb't und in sich schleusst.


4.

Wenn der Tiefe Grund der Schlünde

In der See von Wassern leer,

Bloß und ausgeschöpfet, stünde,

Und man sahe dann das Meer;

Würde man ohn' Angst und Grauen

Solchen Abgrund wohl beschauen?

Welch ein Auge, welch Gesicht

Schwindelt' ob dem Anblick nicht!


5.

Welch' ein' ungeheure Breite,

Welch' entsetzlich schroffe Höh'n,

Welch' unendlich öde Weite

Würd' ein starres Auge sehn,

Wenn es grauend überliefe

Der verborgnen blinden Tiefe

Unermeßlich-holen Schlund,

Dessen Abgrund ohne Grund!
[387]

6.

Dessen Himmel-hohe Seiten

Selber der Gedancken Kraft

Und die Sinnen überschreiten,

Deren Fuß im Grunde haft't,

Deren tief-geborst'ner Bäuche

Ungeheure Wasser-Schläuche,

Deren Stirnen aufwärts stehn,

Und bis ans Gestirne gehn.


7.

Würde man nicht ruffen müssen:

Wer hat doch der Abgrunds-Gruft

Weiten Rachen aufgerissen?

Wer formirte solche Kluft?

Welche starcke Finger haben

Solchen tiefen Pful gegraben?

Wer muß sein Erhalter seyn?

Gott, nur Du, nur Du allein.


8.

Auch den alten weisen Heyden

War dieß grosse Wunder kund,

Drum sie zwischen Furcht und Freuden

Diesem ungeheuren Schlund'

Ungemeine Namen gaben,

Und ihn bald genennet haben,

Abgrund, schwartzen Erebus,

Chaos, Nacht und Tartarus.
[388]

9.

Ja sie gläuben und erzählen,

Und vielleicht nicht ungereimt,

Daß aus diesen weiten Hölen

Selbst die Welt hervor gekeimt,

Und daß Gott, die wahre Liebe,

Durch Zertrenn- und Fügungs-Triebe

Aus dem Abgrund und der Nacht

Dieses All hervorgebracht.


10.

Wenn wir, von erhab'nen Höhen,

In die weite Wasser-Welt,

Mit geschärftem Blicke, sehen,

Der, weil es stets vorwärts fällt,

Und kein Ziel noch Grentzen findet,

Ohne Wiederkehr verschwindet;

Zeigt sich recht, wie tief, wie groß,

Dieses Wasser-Cörpers Schooß.


11.

Wo der Augen Kräfte schwinden,

Fängt die Kraft des Denckens an:

Dennoch kann auch die nicht finden

Dieser ungemessnen Bahn

Ausgespannte ferne Schrancken.

Die ermüdeten Gedancken

Müssen selbst verwirrt gestehn:

Daß auch sie kein Ende sehn.
[389]

12.

Denn hier muß nicht, wie auf Erden,

Ihre Fläche nur allein,

Sondern auch erwogen werden,

Wie so tief die Tiefen seyn:

Weil in diesen feuchten Reichen

Alle Stellen zu durchstreichen,

Und nicht, wie das feste Land,

Wo es nur der äussre Rand.


13.

Zwey und zwanzig hundert Meilen

Streckt das stille Meer sich fort,

Wo sich Ost und Westen theilen:

Ja die Meere, wo der Nord

Und der Süd-Pol schimmernd gläntzen,

Sind fast gäntzlich ohne Grentzen,

Und es weis kein Menschen-Kind,

Wo derselben Ufer sind.


14.

Fürchterlich, ja gleichsam gräßlich,

Unerfüllbar, Boden-los,

Unerforschlich, unermeßlich

Ist des Meeres dunckler Schooß,

Dessen aufgesperrter Rachen,

Drin die Fluhten rauschen, krachen,

Schäumen, brüllen; wie die Welt,

Fremde Wunder in sich hält.
[390]

15.

Was ist tiefer, höher, grösser

Als der Fluht verborg'ner Schatz?

Aller irdischen Gewässer

Unergründ'ter Sammlungs-Platz

Ist das Meer mit Recht zu nennen,

Wohin, mit nie müdem Rennen,

Wenn die Fluht die Welt getränckt,

Sie sich stetig stürtzt und senckt.


16.

Um im Mittel-Punct der Erden

Von dem Welt-Geist abermahl

Schwanger wiederum zu werden,

Und die Geister ohne Zahl

Unsrer Welt aufs neu zu bringen,

Draus ohn' Unterlaß entspringen

Alle Dinge, die wir sehn,

Wachsen, währen und vergehn.


17.

Nun bedenck man und ermesse,

Nebst der unumschränckten See

Eb'nen Fläch' und weiten Grösse;

Ihrer Fluhten Tief' und Höh',

Dieses Wasser-Cörpers Dicke,

Wie ein Tropf den andern drücke:

Ihre Meng' und wahres Seyn

Zähl't und kennet Gott allein.
[391]

18.

Dennoch reichet unserm Geiste

Unser Schöpfer so viel Kraft,

Daß auch wir, wo nicht das meiste;

Dieß doch von der Eigenschaft

Mit Verwund'rungs-vollen Augen

Sehn und zu erlernen taugen:

Jeder Tropf der weiten See

Zeiget Gottes Macht und Höh'.


19.

Fast die meisten Menschen meynen:

Wasser sey ein Element,

Das wir zwar nicht gantz verneinen;

Wenn mans aber recht erkennt,

Muß ja die Vernunft gestehen,

Daß, was wir von Wassern sehen,

Nur der Cörper, der den Geist

Gantz verborgen in sich schleusst.


20.

Dieser Cörper, dessen Wesen,

Eigenschaften und Natur

Bloß ein Saltz, so auserlesen,

Und ein gröberer Mercur,

Nährt, durch seine ird'schen Säfte

Und des innern Geistes Kräfte,

Menschen, Thiere, Stein, Metall,

Bäum' und Pflantzen überall.
[392]

21.

Nichts zeigt deutlicher und besser

Gottes Lieb' und weise Macht,

Als daß er ins See-Gewässer

Solch ein fruchtbar Saltz gebracht,

Welches, wenn es durch die Enge

Der verborg'nen Erden-Gänge,

Drin sichs säubert, durchgerollt,

Reines Saltz der Erden zollt.


22.

Dieses Saltzes wahrer Name

Ist aus jedem Element

Der Natur gekochter Same,

Drin der Zeugung Feuer brennt,

Draus, wenns in die Mütter fliesset,

Aller Dinge Wesen spriesset,

Der die Erde stets durchdringt,

Und sich stets im Meer verjüngt.


23.

Wie man bey den Thieren spühret,

Daß ein fremder Trieb das Blut

Von und nach dem Hertzen führet;

So scheint, durch die Ebb' und Fluht,

Von dem Mittel-Punct der Erden

Auch die Fluht geführt zu werden,

Und die Ebbe zu entstehn,

Wenn die Wasser rückwärts gehn.
[393]

24.

Dieses (sprechen viele) stammet

Aus der innern Gluht der Welt,

Wo ein ird'sche Sonne flammet,

Die die Kraft, so sie enthält,

Und die Welt zur Nahrung brauchet,

Unaufhörlich von sich hauchet,

Und uns Geister ohne Zahl

Schickt in unsichtbarem Strahl.


25.

Diese Geister dringen besser

Durch der luckern Erden Schooß,

Als durchs dichte See-Gewässer.

Hiedurch nun entsteht ein Stoß,

Wodurch selbst des Meeres Wellen

Sich erheben, blähen, schwellen,

Bis der Geister Heer durchdringt,

Und sich in die Lüfte schwingt.


26.

Alsdenn sencken sich der Wogen

Schwere Fluhten alsofort,

Wann die Geister durchgeflogen,

Wiederum an ihren Ort;

Dieses Auf- und Niedergehen

Wär' am Ufer starck zu sehen;

Aber auf dem weiten Meer

Spürte man es nicht so sehr.
[394]

27.

Der spricht; Man kann nicht verneinen,

Daß des Mondes Wechsel-Schein,

Wie verschied'ne Weisen meynen,

Hieran sollte Ursach seyn,

Wenn im Mond die Sonne kräftig,

Strahlet auch das Feuer heftig,

Das im Innersten der Welt

Alles nähret und erhält.


28.

Und hieraus wird leicht erhellen,

Woher dann mit grössrer Macht

Die gedrückten Fluhten schwellen,

Wann der Mond in voller Pracht:

Nemlich von den innern Flammen,

Woraus stärckre Geister stammen,

Wenn den Mond die Sonn' erklär't,

Und die Erd' ihr Feuer mehrt.


29.

Daß wir aber nicht verspühren,

Wie im Mittelländ'schen Meer'

Ebb' und Fluht so starck sich rühren,

Käm' aus dieser Ursach' her:

Durch ihr dünneres Gewässer

Dringt der Geister Menge besser,

Weil, wenn diese sich erheb't,

Das so starck nicht wiederstreb't.
[395]

30.

Scheints nun gleich, daß durch die Gründe

Ebb' und Fluht erwiesen sey:

Doch, weil ich viel Zweifel finde;

Stimm' ich lieber denen bey,

Die von diesem Wunder gläuben,

Es sey einzig zuzuschreiben,

Was man auch dawieder spricht,

Dem erwärm'nden Sonnen-Licht.


31.

Wenn es nemlich, wie der Erden,

Auch des Mondes, Luft-Kreis rührt,

Alle beyde Kreise werden

Dann, wann sie die Kraft verspühr't,

Ausgedehnt und fortgerücket:

Dadurch wird die Luft gedrücket,

Die drückt wiederum die Fluht

Weil sie auf dem Wasser ruht.


32.

Welche denn zu beyden Seiten

Gegen Süd- und Norden weicht.

Aber daß das Maaß der Zeiten

Allemahl einander gleicht;

Hat man diesen Grund gefunden,

Weil die Welt sich stets sechs Stunden,

Samt dem Mond, zur Sonne dreht,

Und sechs wieder von ihr geht.
[396]

33.

Daher kömmts auch, daß die Wellen,

Bey des vollen Mondes Schein,

Und im Neu-Mond, stärcker schwellen,

Weil sein Kreis dann insgemein

Die vom Licht bestrahl'te Seite

In der gantzen Gröss' und Breite,

Wodurch sie die Lüfte spannt,

Gantz zum Wasser hingewandt.


34.

Und daher mit grössern Kräften

Durch die Luft das Wasser drückt,

So daß es, nebst seinen Säften,

Mehr nach Süd- und Norden rückt.

Wann auch Tag und Nacht sich gleichet,

Spühr't man, daß es stärcker weichet,

Und mehr nach den Angeln fährt,

Als dann, wann die Sonn' sich kehrt.


35.

Welches denn daher entstehet,

Weil die Luft dann starck gespannt,

Daß die Kraft nicht weiter gehet

Bey des Sommers Sonnen-Stand:

Und wann sie im Winter wendet,

Weil sie dann vom weiten sendet

Ihr erwärmend Strahlen-Licht;

Ist so starck ihr Einfluß nicht.
[397]

36.

Aber dann, wann Nächt' und Tage,

Wie uns Herbst und Frühling zeigt,

Gleichsam stehn in einer Wage,

Und die Sonn' itzt fällt, itzt steigt;

Dehnet sich der Luft-Kreis gerne,

Weil die Sonne hier nicht ferne,

Jener nicht gedehnt, daher

Schwellt denn insgemein das Meer.


37.

Grausam ist die Macht der Fluhten,

Daß ein jeder drob erschrickt,

Wenn sie Gott, als seine Ruhten,

Ueber Städt' und Länder schickt,

Wenn sich die erzürnten Wellen,

Von der Luft gedrenget, schwellen;

Kehrt ihr ungestühmer Grimm

Thäler, Berg' und Felsen üm.


38.

Wenn sie Land und Strand verschlingen,

Und mit ungeheurem Fall

Ueber alle Dämme dringen,

Deckt ein dunckler Wasser-Schwall

Die mit Korn gefüllten Felder,

Stürtzt und raubt die dicksten Wälder,

Rollt und wältzet Holtz und Stein,

Reisset Städt' und Dörfer ein.
[398]

39.

Wer erblicket ohne Grausen,

Wenn ein fester Damm zerreisst,

Wie die Fluht, mit wildem Brausen,

Durch die dunckle Spaltung scheusst,

Und, gleich einem Strahl' und Pfeile,

In so gräßlich schneller Eile,

Recht als wenn der Donner brüllt,

Alle Tiefen plötzlich füllt?


40.

Hier zersplittert eine Brücke,

Dort ein Haus, da stürtzt ein Baum.

Halbe Dämm' in einem Stücke

Schwimmen in dem weissen Schaum,

Werden in den Grund gerissen,

Wiederum empor geschmissen,

Und, bis sich der Strom verliehrt,

Weit ins Land hinein geführt.


41.

Dort wird Haus und Hof verschlungen,

Hausgeräth und Kaufmanns-Gut

Wird entsetzlich umgeschwungen

Von der Wirbel Circkel-Fluht:

Hier sieht man, samt seiner Wiegen,

Einen zarten Säugling liegen,

Und mit wimmernden Geschrey

Schiesst er, wie ein Pfeil, vorbey.
[399]

42.

Hier wird ein Paar Ehe-Leute,

Das sich noch umfaßt und druckt,

Der erzürnten Fluht zur Beute,

Und vom Strudel eingeschluckt:

Dort ersaufen gantze Heerden.

Bey den Hirschen, Schaf- und Pferden

Schwimmt ein Wind-Spiel, Wolf und Bär,

Durch die Angst versöhnt, daher.


43.

In der Stadt sind Thor' und Wälle

Umgerissen, abgespühl't,

Thürne, Kirchen, Häuser, Ställe

Weg, die Gräber aufgewühlt.

Es versincken Leichen-Steine,

Halb vermoderte Gebeine

Treiben, als im Todten-Meer,

Recht entsetzlich hin und her.


44.

Einer, der, was zu erreichen,

Die halb-todten Finger schloß,

Griff nach einer faulen Leichen,

Die den Augenblick zerfloß:

Must' er also trostlos sincken,

Und im Wust und Schlamm ertrincken;

Einer streckt die Hand empor:

Dort ragt noch ein Kopf hervor.
[400]

45.

Bey so grossem Elend lerne,

Wie uns Gott bestrafen kann,

Und ruff' Ihn, daß ers entferne,

Auch in guten Zeiten, an!

Wir indeß mit unsern Lehren

Wollen itzo wiederkehren,

Anzusehn, was durch die Fluht

Gott an uns für Wohlthat thut.


46.

Woraus kann wohl mehr erhellen

Gottes Lieb' und Weisheits-Kraft,

Als aus tausend Bäch- und Quellen,

Die er allenthalben schafft,

Daß sich so viel Ström' ergiessen,

In so langen Strichen fliessen,

So daß oft ein eintz'ger Fluß

Viele Länder träncken muß.


47.

Solche Fluht nun fortzubringen,

Daß sie nimmer stille steh',

Lässt sie Gott mit Fleiß entspringen

Aus der Berg' und Felsen Höh,

Wohinauf man klärlich spühret,

Daß Sein' Allmachts-Hand sie führet,

Daß durch ihn die Circkel-Fluht

Fällt und steigt und nimmer ruht.
[401]

48.

Mensch, betrachte denn und mercke,

Nebst des Schöpfers Macht und Gunst,

Seiner Weisheit Wunder-Wercke,

Der, wie eine Wasser-Kunst,

Alles Wasser, was sich sencket,

Wieder aufwärts treibt und lencket,

Welch Bewegen, wie die Welt,

Auch das Wasser selbst, erhält.


49.

Wie viel ungeheurer Flüsse

Meilen-dicker Wasser-Strahl

Stürtzet die beschäumten Güsse

In des Meeres Abgrunds-Thal.

Daß die Fluhten seiner Flächen

Sich zertheilen, brausen, brechen.

Spey'n nicht Plata, Nilus, Rhein

Gantze Meer' ins Meer hinein?


50.

Ja in eines Jahres Länge

Trägt ein eintz'ger Strom allein

Eine grössre Fluhten-Menge

In des Meeres Bauch hinein,

Als das Meer in seinen Gründen

Und den ungemeßnen Schlünden,

Ohneracht't der Fluhten Last,

Aufbehält, begreift und fasst.
[402]

51.

Nun bedenckt, was Elb' und Rhone,

Was der Amazonen-Fluß,

Nebst des Apenninus Sohne,

Ganges und Eridanus,

Samt viel tausend andern Flüssen

Für Gewässer führen müssen;

Ohne was die Unter-Welt

In dem finstern Schooß enthält.


52.

Hier erstaunt nun meine Seele,

Wenn sie grauend überlegt,

Was doch diese Wunder-Höle

Für Geschöpf' und Wunder hegt,

Welcher Wunder-Thiere Heere

Diese hole Tiefe nähre,

Wie so mancherley Gestalt

In dem dunckeln Aufenthalt.


53.

Wie in dieses Abgrunds Rachen

Wallfisch', Wallross' und Tonnin,

Hayen, Tyger, Wasser-Drachen

Oft bey gantzen Heerden ziehn,

Wie die gräßlichen Tritonen

In beschäumten Klüften wohnen,

Und mit knirschendem Getön

Ihr beschupptes Heer besehn.
[403]

54.

Wie viel unbekannte Thiere

Brechen durch das tiefe Meer!

Wie viel Wasser-Hund' und Stiere

Schwimmen schnauffend hin und her!

Gantze Schwein- und Kälber-Heerden,

Samt den frechen Wasser-Pferden,

Machen in des Meeres Grund

Ihres Schöpfers Allmacht kund.


55.

Wer kann Rochen, Kabbeljauen,

Hummer, Crocodillen, Stör

Ohn' ein furchtsam Wundern schauen?

Wer erstaunt nicht ob dem Heer

Aller Fisch' und ihrer Menge?

Wen erschrecket nicht die Länge,

Die der grosse Wallfisch hat,

Und der Finnfisch, der ihm naht?


56.

Wer kann jede Gattung zählen,

Die in Flüss- und Bächen sind?

Karpen, Quappen, Lachs, Makrelen,

Dosch, Forellen, Zungen, Stint,

Muscheln mit und ohne Perlen,

Gründling', Ascher, Barben, Schmerlen,

Hecht, Karutzen, Plateiß, Ahl,

Und viel andre sonder Zahl.
[404]

57.

Bald deckt Haut, bald decken Schilde,

Oefters Schuppen, vielmahls Haar,

In dem wallenden Gefilde,

Die meist Silber-graue Schaar.

Wie viel tausend tausend Schnecken,

Die in bunten Schalen stecken,

Nehmen, durch der Farben Schein,

Aller Schauer Augen ein!


58.

Auf viel tausendfache Weise

Baut die spielende Natur

Ihr versteinertes Gehäuse.

Keine seltsame Figur

Ist fast auf der Welt zu finden,

Die nicht in des Meeres Gründen,

Durch des Schöpfers weise Macht,

Wunderbar hervor gebracht.


59.

Bald gewölbet, bald gebogen,

Runtzlich, spitzig, kraus und glatt,

Bald mit manchem Strich durchzogen,

Der so manche Farbe hat,

Bald gewölcket, bald gekörnet,

Bald gewunden, bald gehörnet,

Bald gekerbt, bald lang, bald rund,

Bald gedreht, gescheckt und bunt.
[405]

60.

Oefters zeigt sich ein Gegitter,

Oft sind sie Trompeten gleich:

Wie viel schöne Perlen-Mütter,

Die so Form- als Farben-reich,

Wie viel treffliche Corallen,

Die ins Weiss' und Rothe fallen,

Muscheln, Austern mancher Art,

Drauf sich manche Farbe paart'.


61.

Noch ist in des Meeres Gründen,

Die man untersuchet hat,

Mancherley Gesträuch zu finden,

Derer Zweig' und Blätter platt,

Daß sie füglicher und besser,

Durch die Schärfe, das Gewässer

Theilten, und desselben Lauf

Nicht mit Schaden hielten auf.


62.

Aller Vortheil ist ungläublich,

Den dieß Element uns bringt,

Unentbehrlich, unbeschreiblich,

Was für guts daraus entspringt,

Da es grosse Schiffe träget,

Die es noch dazu beweget,

So daß das entfernte Land

Durch die Schiffahrt wird bekannt.
[406]

63.

Welche Kräft' und Tugend stecken

In der feucht- und kalten Fluht?

Wasser wächst und tilgt die Flecken,

Löscht den Durst, und löscht die Gluht,

Es vereint, was sonst zertheilet,

Und, so tief es abwärts eilet,

Heb't es, in geradem Strich,

Alle Tropfen über sich.


64.

Die sonst immer abwärts gleiten,

Welches aller Wasser Bahn;

Denn von allen ihren Seiten

Nehmen sie Gestalten an,

Die die Cörper ihnen schencken,

Die sie hier und dort umschrencken;

Denn die Fluht hat von Natur

Keine Bildung, noch Figur.


65.

Obwohl ihre zarte Theile

(Wie man glaubet insgemein)

Gleichsam länglich-runde Seile

Fast wie Ahle mögen seyn,

Welche stets gedehnet scheinen,

Sich zwar nah'n, doch nicht vereinen,

Weil, wo man sie niedergiesst,

Jedes aus einander fliesst.
[407]

66.

Wie viel unterschied'ne Säfte

Trifft man nicht im Wasser an?

Welcher lebt, der ihre Kräfte

Zählen und begreifen kann?

Wie viel kalt' und warme Bäder

Circkeln sich im Welt-Geäder,

Deren Blasam-reiche Fluht

Wunder an den Krancken thut?


67.

Viele reinigen und heilen,

Viele lindern Schmertz und Pein,

Viele führen ab, zertheilen

Und zerreiben Gries und Stein.

Sind nicht viele Bäch' und Flüsse

Bitter, sauer, scharf und süsse,

Schweflicht, hartzig, unschmackhaft,

Ja von unbekannter Kraft?


68.

Wasser wirckt zugleich und leidet.

Saltz und süß von aller Art

Lös't das Wasser auf und scheidet.

Weil des Wassers Theilchen zart,

Kann's in ihre Löcher dringen,

Und es von einander bringen,

Was sonst fest zusammen steht,

Daß es naß wird und zergeht.
[408]

69.

Wasser ist durch Gottes Willen

Dicht und flüssig, leicht und schwer.

Wie könnt' es die Kräuter füllen,

Wenn es nicht so flüssig wär'?

Wär' es aber nicht so dichte,

Trüg' es kein so schwer Gewichte,

Schwerer, gönnt's uns keinen Pfad,

Leichter, trieb's kein Mühlen-Rad.


70.

Noch ist neulich erst entdecket,

Was für eine Wunder-Kraft

In dem feuchten Wasser stecket,

Da nur bloß durch seinen Saft,

Ohn' ein Zuthun von der Erden,

Bluhmen fortgetrieben werden,

Welches ich, daß es geschehn,

Selbst probiert und angesehn.


71.

Bluhmen, welche Zwiebel haben,

Darf man in der Erden Schooß,

Nicht, wie sonst geschicht, vergraben,

Sondern kann dieselben bloß

Auf ein Glas voll Wasser setzen,

Da man denn bald mit Ergetzen,

Wie so schön die Bluhme blüht,

Und das Glas voll Wurtzeln sieht,
[409]

72.

Wo ihr Menschen nun nicht kummer,

Als das Vieh und Fische, seyd;

So erwacht doch einst vom Schlummer

Eurer Unempfindichkeit,

Rühmet Gottes Wasser-Wercke,

Freut euch Seiner Lieb' und Stärcke,

Lasset dieß den Zweck allein

Aller eurer Sinnen seyn.


73.

Da das Auge nie vom Sehen

Noch das Ohr vom Hören satt,

Müsset ihr denn nicht gestehen,

Daß, da Gott der Schöpfer hat

So unzählig viele Sachen

Auch im Wasser wollen machen,

Sein Geschöpf so mancherley,

Zu der Sinnen Lust nur sey?


74.

Seht denn alles, was ihr sehet,

Mit vergnügtem Hertzen an!

Gott wird besser nicht erhöhet,

Als wenn man, was Er gethan,

Mit zufried'ner Seele preiset,

Ihm ein danckbar's Hertze weiset,

Und auf Seine Lieb' und Macht

Woller Freud' und Ehrfurcht ach't.
[410]

75.

Gebt durch Danck- und Freuden-Lieder

Und mit immer frohem Sinn

Diesem grossen Geber wieder,

Was er euch gegeben, hin,

Anders will ja Gott nichts haben,

Als daß ihr die Wunder-Gaben,

Die Er euch aus Gnaden schenckt,

Mit vergnügtem Sinn bedenkt.


76.

Preiset Seine Vater-Güte,

Geb't mit Andacht Achtung drauf,

Opfert Gott der Sinnen Blühte

Mit vergnügter Seelen auf,

Denckt, betrachtet und ergründet,

Was ihr höret, seht, empfindet!

Alles ist, durch Gottes Macht,

Euch zur Lust hervorgebracht.


77.

Rühmt denn Seiner Gnaden-Triebe

Tiefen Abgrund ohne Grund,

Machet Seiner Vater-Liebe

Tiefes Meer und Allmacht kund,

Weil Gott nichts von euch begehret,

Als daß ihr Ihn fröhlich ehret,

Da in dem, was euch ergetzt,

Er nur Seine setzt.
[411]

78.

Möchte man doch dieses fassen,

Das nur Gott das eintz'ge Gut;

Würde man die Laster hassen,

Und sich stets, mit frohem Muth,

Durchs Geschöpf, zum Schöpfer lencken,

Ja sich stetes in Demuth sencken,

Voll gelassener Geduld,

In den Abgrund Seiner Huld.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 385-412.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Irdisches Vergnügen in Gott
Irdisches Vergnügen in Gott: Erster und zweiter Teil
Irdisches Vergnügen in Gott: Dritter und Vierter Teil

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon