Der Sand

[589] So gar auf einem öden Lande,

Wo weder Baum, noch Strauch, noch Gras,

Selbst in dem unfruchtbaren Sande

Find't ein betrachtend Auge was,

In diesem schönen Welt-Gebäude,

Zu GOTTES Ehr' und eigner Freude.


Auf! lasset uns denn weiter gehn,

Und GOTT zum Ruhm was sehn, auch wenn wir nichts fast sehn!

Die Sandes-Körper selbst und Theilchen unsrer Erden,

Sind ebenfalls ja wircklich Creaturen,

Worin, wenn wir den Geist mit unserm Blick verbinden,

Wir mancherley Vergnügen finden,

Da, wenn sonst nichts zu sehn, doch allerley Figuren

Von eingedruckten Spuren

Im dürren Sande ja gefunden werden.


In kleinen Tiefen, kleinen Höh'n,

Kann ein aufmercksam Hertz so Licht, als Schatten, seh'n.

Man trifft, wenn man so gar allein,

Daß weder Laub, noch Kraut, noch Bäume bey uns seyn,

Dennoch Veränderung nicht ohn' Vergnügen an,

Wie jeder, der es recht betrachtet, finden kann.


Es kommet jedes Sand-Korn mir

Als wie ein kleines Glied

Der allgemeinen Mutter für.

Von unsrer Welt ist es ein wircklich Theilchen mit.

Die Kleinheit, Festigkeit, die Klarheit, Glätt' und Ründe,[590]

Die ich in manchem Sand-Korn finde,

Wodurch sie sich nicht gantz verbinden können,

Und eben dadurch allem Saft

Vom Regen oder Thau, zu der Gewächse Kraft,

Den Aufenthalt und Durchgang gönnen,

Ist ja Bewunderns-werth. Noch mehr, da sie vereint,

Und doch nicht gantz, (indem sie sonst versteint,)

So können sie den Pflantzen nützen,

Den Wurtzeln Raum, sich auszubreiten, geben,

Auch, wenn dieselbigen sich aufwärts heben,

Dieselben so viel besser stützen.


Ich nahm hierauf ein Häuflein Sand,

Betrachtet' es genau, und fand

Den Unterschied, daß er nicht mancherley,

Nein, in der That unzählig sey.

Ich konnte tausend Form- und Ecken

Auch an dem kleinsten Sand entdecken.

Theils sind die Körner lang, theils rund, theils groß, theils klein,

Theils schwartz, theils braun, theils gelb, theils grau,

Theils röthlich, weißlich theils, theils blau,

Es sind die meisten dicht und dunckel, viele helle,

Durchsichtig, gläntzend, rein.

Ich wurd' auf mancher Stelle

Verschiedener, die, wie Krystall so klar,

Mit Lust und mit Verwunderung gewahr.


Indem ich nun die Kleinheit übersehe,

Und alles dieses überlege;

Erstaun' ich, wenn ich recht erwege,

Daß alle Grösse dieser Welt,

Ja selbst die Welt aus Kleinigkeiten nur,

Wie groß sie uns auch scheint und wircklich ist, bestehe.[591]

Es fiel mir ferner bey,

Wie Kleinigkeiten fast in allen Sachen

Besondere Veränderungen machen.

Was ist die schöne Kunst der edlen Mahlerey,

Die guten Theils aus Farben nur bestehet,

Und diese wiederum aus Sand und Erden?

Wodurch jedoch die schönsten Bilder werden.

Denn das, was unser Aug' erfrischt

Auf solche wundersame Art,

Ist bloß ein wenig Sand mit Oel gemischt,

Ist so unglaublich dünn und zart,

Daß, wenn man es vom Tuche trennen wollte,

Man es für cörperlich kaum halten sollte.


Noch mehr, wie wunderbar

Erhellt im Sande Gottes Macht,

Der alles nicht allein aus Nichts hervor gebracht;

Der auch so gar

Durch solche Kleinigkeit das allergrößte zwinget,

Indem Er, durch so kleinen Sand,

Die ungeheure Fluthen-Last

So wunderbarlich eingefasst,

Daß aller Wellen Wuth nicht durch ihn dringet.

Hiemit stimmt alles überein,

Daß, wir für uns das allerkleinste groß,

Also für GOTT das allergrößte klein,

Daher denn David auch recht unvergleichlich schloß:


Wie das Zünglein an der Wage, so ist, Herr, vor Dir die Welt;

Wie der Tropfen aus dem Eimer, welcher auf die Erde fällt.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 589-592.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Irdisches Vergnügen in Gott
Irdisches Vergnügen in Gott: Erster und zweiter Teil
Irdisches Vergnügen in Gott: Dritter und Vierter Teil

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon