Beschluß

[649] 130.

Dieses ists, was von den Sinnen

Unsern Sinnen ist bekannt.

Hat man aber gleich hierinnen

Alles Sinnen angewandt;

Bleibt das Wesen doch verborgen.

Ungeachtet aller Sorgen

Muß der Klügste doch gestehn,

Daß wir kaum den Schatten sehn!


131.

Daß wir aber dieß nicht fassen,

Solches dürfen warlich wir

Uns nicht sehr befremden lassen.

Hätten wir nur deren vier;

Sagt, wer würde dann wohl können

Auch des fünften Kraft nur nennen?

Daß uns also viel verheelt,

Kommt, weil uns der sechste fehlt.
[649]

132.

Welchen, nebst viel andern Gaben

Kräft- und Sinnen, gar vielleicht

Andrer Erden Bürger haben,

Die Gott ihnen dargereicht,

Daß auf mannigfache Weise

Die verschied'nen Himmels-Kreise

Seine Grösse sollten sehn,

Und Sein' Allmachts-Kraft erhöhn.


133.

Ja wer weis, wann wir verkläret

Durch den Tod ins Leben gehn,

Was alsdann uns wiederfähret,

Ob uns Gott nicht ausersehn,

Uns in jenem seel'gen Leben

Andre Sinne noch zu geben,

Und zwar immer mehr und mehr

Zur Vermehrung Seiner Ehr'


134.

Warum will man denn ergründen,

Was nicht zu ergründen steht?

Lasst so saure Mühe schwinden,

Drin die Zeit umsonst vergeht!

Gott hat uns in diesem Leben

Die fünf Sinne bloß gegeben,

Um in Ihm vergnügt zu seyn.

Und sich seiner zu erfreun.
[650]

135.

Lasset uns doch überlegen,

Daß fast alles auf der Welt

Bloß um unsrer Sinne wegen

Sey gemacht und vorgestellt;

Daß die Luft, das Licht, die Erde

Unsrer Sinne Werckzeug werde;

Daß so viel so vielerley

Zu den Sinnen nöthig sey;


136.

Daß der Pflantzen, daß der Thiere

Absicht, Nutz und Zweck allein,

Bloß damit man sehe, spühre,

Schmecke, hör' und fühle, seyn;

Daß selbst unser Leib von innen

Und von aussen bloß den Sinnen

Mit so mancherley Bemühn

Kräft- und Eigenschaften dien'.


137.

Wenn wir unsern Leib von innen

Mit Aufmercksamkeit besehn;

Spühren wir, daß für die Sinnen

Alle Wirckungen geschehn;

Daß sich unser Hertze reget,

Daß sich unser Blut beweget,

Daß es, wie ein Brunnen, springt,

Und durch tausend Adern dringt;
[651]

138.

Die besond're Kraft der Nieren,

Daß die Leber das Geblüth,

Nebst der Miltz, weis zu formiren,

Daß die Lung' uns Athem zieht;

Unsrer Nerven zarte Gänge,

Der Gedärme Läng' und Menge,

Daß des Magens rege Kraft

Allen Theilen Nahrung schafft.


139.

Aller dieser Eingeweide

Unerforschliche Natur

Zielet auf des Cörpers Freude,

Dienet den fünf Sinnen nur.

Denn die uns verborg'nen Säfte

Geben unsern Sinnen Kräfte,

Und ihr Endzweck ist allein,

Daß die Sinne sinnlich seyn.


140.

Zeigen solche Wunder-Wercke,

Die kein Mensch begreifen kann,

Keine Weisheit, Liebe, Stärcke,

Noch den Werth der Sinnen an?

Ich erschrecke, wenn ich dencke,

Wie so wenig dieß Geschencke

Und des grossen Gebers Macht

In denselben wird geacht't.
[652]

141.

Sprich, verstockter Atheiste,

Wenn ein Mensch auf Erden wär',

Welcher solche Künste wüste,

Daß er Augen, das Gehör,

Riechen, Fühlen, Schmecken, Dencken

Dir vermögend wär' zu schencken,

Und er schenckte sie denn dir,

Dancktest du ihm nicht dafür?


142.

Solltest du wohl sagen können:

Alles dieß ist keine Kunst,

Und was er mir wollen gönnen,

Acht' ich gantz für keine Gunst?

Nein, unmöglich wird auf Erden

Solch ein Vieh gefunden werden.

Da es aber Gott gemacht,

Schlägt mans leider aus der Acht,


143.

Lasst uns doch den Schöpfer ehren,

Wenn wir recht was schönes sehn!

Wenn wir etwas lieblichs hören,

Lasst uns Seinen Ruhm erhöhn:

Wenn uns Riechen, Fühlen, Schmecken

Anmuth, Lust und Freud' erwecken;

Lasst uns in Zufriedenheit

Zeigen unsre Danckbarkeit!
[653]

144.

Solch ein Danck-erfülltes Lallen,

Wenns auch denckend nur geschicht,

Muß dem Schöpfer wohlgefallen.

Dies ist aller Menschen Pflicht;

Denn wenn man es nicht erkennet,

Wie viel Gutes Gott uns gönnet,

Und es nicht einmahl bedenckt;

Ist's, als wär' uns nichts geschenckt.


145.

Nach der Menschen Art zu sprechen,

Scheint zwar dieses Laster klein;

Aber wahrlich kein Verbrechen

Kann Gott mehr zuwider seyn.

Solche Wunder nicht betrachten,

Heisst ja, selbige verachten,

Und aus diesem Undancks-Meer

Fliessen alle Sünden her.


146.

Wir sind sinnreich, uns zu quälen,

Und vergrössern unsre Pein;

Dennoch wünschen unsre Seelen,

Allezeit vergnügt zu seyn.

Nun, zu diesem Zweck zu kommen,

Thut, was ihr anitzt vernommen!

Zur Vergnügung eurer Brust,

Ehret Gott in eurer Lust!
[654]

147.

Sollten unsre Sinne taugen,

Tiefer, als sie thun, zu gehn,

Könnten wir durch unser' Augen

Als durch ein Vergröss-Glas sehn;

Würd' uns für uns selber grauen,

Sollten wir die Haut beschauen,

Die ja dann, als wie ein Bär,

Rauch und recht abscheulich wär'.


148.

Zwar man würd' auf solche Weise

Viele Kleinigkeiten sehn;

Doch wie dürft' es um die Kreise

Jener grossen Cörper stehn?

Von den schönen Himmels-Lichtern

Würde menschlichen Gesichtern

Nichts, bey allem Glantz' und Schein,

Im geringsten sichtbar seyn.


149.

Wär' ein Auge so gebeuget,

Wie ein Fern-Glas, das allein

Diese Ding' uns deutlich zeiget,

Die von uns entfernet seyn;

Würden dann die nahen Sachen

Uns nicht gantz verwirret machen?

Also gehts mit dem Gebrauch

Unsrer andern Sinnen auch.
[655]

150.

Könnten wir viel schärfer hören,

So, wie oftermahls geschicht,

Wenn man durch die Ohren-Röhren

Oder Sprach-Trompeten spricht;

Welch verworrnes lautes Schallen

Würd' uns in die Ohren fallen?

Ein so wild Geräusch allein

Würd' uns unerträglich seyn.


151.

Wär' auch des Gefühles Wesen

Schärfer, und von solcher Art,

Wie uns Gott zum Aug' erlesen;

Vieler Cörper Gegenwart

Wär' uns schmertzlich und verdrießlich.

Gleichfalls wär' es nicht ersprießlich,

Wenn der Zungen Kraft, die schmeckt,

Weiter sich, als itzt, erstreckt.


152.

Wenn auch der Geruch sich schärfte,

So daß man, den Hunden gleich,

Alle Dinge riechen dörfte;

Wie verdrießlich würden euch

Allerley Geruch der Erden,

Ja der meisten Dinge, werden?

Wir empfänden jederzeit

Eckel, Abscheu, Widrigkeit.
[656]

153.

Wer kann GOTTES Lieb' ergründen?

Wer kann Seine Macht verstehn?

Daß wir ohne Müh' empfinden,

Hören, riechen, schmecken, sehn

Sonder Arbeit und Studiren,

Kann man durch die Sinne spüren,

Diese Gab' allein ist werth,

Daß man GOTT darum verehrt.


154.

Wie der Sonnen Geist die Hölen

Unsrer Luft im Strahl durchbricht;

Also strahlt aus unsern Seelen

Ein beständig sinnlich Licht,

Wodurch aller Menschen Sinnen

Die Empfindungs-Kraft gewinnen.

Alles, was man sinnt und thut,

Stammt aus dieser innern Gluht.


155.

Diesen wiederhohlten Lehren

Folge denn doch jedermann!

Braucht dieß Licht zu Gottes Ehren!

Seht die Welt mit Andacht an!

Sucht mit Gottes Werck die Seelen

Durch die Sinne zu vermählen,

Und erzielt, wenn ihr euch freut,

Kinder brünst'ger Danckbarkeit!
[657]

156.

Müsst ihr nicht auch, wieder Willen,

Zu des Höchsten Preis und Ehr'

Alles, was er will, erfüllen?

Wollet ihr denn nicht viel mehr

Ihm von selbst zu Dienste leben,

GOTT in eurer Freud' erheben,

Seines Namens Ehr' erhöhn,

Und mit Lust Sein Werck besehn?


157.

Wenn der Schöpfer nichts, als Schmertzen,

Statt der Lust uns eingeprägt,

Und nur bloß für Pein im Hertzen

Ein' Empfindlichkeit gelegt,

Wär' uns unser Leben täglich

Nur ein Scheusal, unerträglich,

Ein' abscheulich schwere Last,

Ja mehr, als der Tod, verhasst.


158.

Sey denn, grosser Gott, gepriesen!

Daß aus lauter Gnaden nur

Du uns so vilel Gnad' erwiesen,

Und der menschlichen Natur

So viel Freud' und Anmuth schenckest,

Sie mit Lust und Wonne tränckest,

Da uns jedes Sinnes Kraft

Tausendfach Vergnügen schafft.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 649-658.
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