Hänschen Däumeling

Hänschen Däumeling

[375] Es lebt ein Schneider, leicht und dünn,

mit seiner Frau gemütlich hin.

Sie hatten auch ein Söhnchen schon,

sehr klein und zierlich von Person.

Er war nicht dicker wie die Pflaumen

und grad so lang als wie mein Daumen.

Drum, weil er so ein kleines Ding,

nennt man ihn Hänschen Däumeling.


Sein Mut jedoch ist ohne Tadel,

sein Degen spitz wie eine Nadel;

damit hat er an einer Wand

drei Fliegen durch und durch gerannt.


Hänschen Däumeling

[375] Drauf legt er sich im grünen Grase,

um auszuruhn, auf Bauch und Nase.


Hänschen Däumeling

Ein Rabe, der spazierengeht,

hat ihn mit einem Aug' erspäht.

Er denkt: »Was ist das für ein Käfer?«


Hänschen Däumeling

[376] Und rupft und zupft den kleinen Schläfer.

Der dreht sich um und will den Frechen

in seine dürren Waden stechen.


Hänschen Däumeling

»Kraha!« – lacht dieser – »wär nit übel!

Gottlob! ich habe dicke Stiebel!«


Hänschen Däumeling

[377] Grapps! packt er ihn, fliegt in die Höh

und weit, weit über einen See.


Die Eltern aber fragen bange:

»Wo bleibt denn Hänschen nur so lange?«


Hänschen Däumeling

Sie suchen ihn in allen Taschen,

in Stiefeln, Hauben, Büchsen, Flaschen.

Sie rufen: »Herzchen!« rufen: »Liebchen!«

Allein es kommt und kommt kein Bübchen.
[378]

Hänschen Däumeling

Der Rabe mit dem Hänschen flog

auf einen Baum, erschrecklich hoch.

Hier wünscht er ihm recht guten Morgen

und läßt ihn für sich selber sorgen.


Hänschen Däumeling

Uhu! Im Astloch mit Geheule

hockt eine alte Schleiereule.
[379]

Hänschen Däumeling

Und über ihm die dicke Spinne

hat auch nichts Gut's mit ihm im Sinne.


Hänschen Däumeling

Schon sträubt die Eule sich und droht;

das Hänschen sticht die Spinne tot.[380]

Schnell läßt er sich an ihrem Faden

vom Baum herunter ohne Schaden.

Juchhe! Hier unten in dem Moos

Geht's lustig her und ist was los.

Drei muntre Käfer trinken Met

von allerbester Qualität.


Hänschen Däumeling

Hänschen Däumeling

[381] Da heißt es: Prost! und: Was wir lieben!

Das Hänschen trinkt so viel wie sieben.

Der Kopf wird schwer, die Beine knicken,


Hänschen Däumeling

bums! liegt das Hänschen auf dem Rücken.
[382]

Hänschen Däumeling

Das gibt'n Spaß! Die Käfer laufen

mit ihm zu einem Ameishaufen.


Hänschen Däumeling

So was macht munter. O wie schnelle

verläßt er diese Wimmelstelle!
[383]

Hänschen Däumeling

Er läuft und schlupft mit großer Freude

in ein sehr enges Wohngebäude.
[384]

Hänschen Däumeling

»Nun ja!« – denkt sich der Jägersmann –

»jetzt zieh ich meine Handschuh an!«


Hänschen Däumeling

Auweh! – Was war das für ein Stich!?

Der Jägersmann schreit jämmerlich.


Hänschen Däumeling

[385] Dem Hänschen wird's bedenklich doch;

er möchte in ein Mäuseloch.

»Ein Dieb, ein Dieb!« – so schreit die Maus

und zieht ihn hinterwärts heraus.

Und plötzlich geht's: Kraha Kraha!!

Der böse Rab ist wieder da.


Hänschen Däumeling

Er faßt die Maus bei ihrem Schwänzchen

und flattert weg mit Maus und Hänschen.


Hänschen Däumeling

[386] »Die« – ruft der Jäger – »muß ich haben!«

Bauz! – richtig trifft er Maus und Raben.
[387]

Hänschen Däumeling

Und Rabe, Maus und Hänselein

plumbumsen in den See hinein.


Sofort erscheint die kleine Sylphe

Zephire, Königin im Schilfe,

reicht ihm die Hand und lispelt fein:

»Sprich, Prinz, willst du mein Liebster sein?«

»Schön Dank!« – spricht er – »o Königin!

Ich muß zu meinen Eltern hin!«

»So geh ich mit dir!« – haucht Zephire –

»mein Schifflein wartet vor der Türe!«


Hänschen Däumeling

Hänschen Däumeling

[388] Und wie sie so dahingefahren

und mitten auf dem Wasser waren,

da kommt ein dicker Hecht und: schwapp!

schluckt er sie in den Bauch hinab.


Hänschen Däumeling

Hänschen Däumeling

[389] Ein Fischer, welcher grade fischt,

hat aber gleich den Hecht erwischt.


Hänschen Däumeling

Er überbringt ihn Hänschens Mutter,

die denkt: »Den braten wir in Butter!«[390]

Ratsch! wird der Bauch ihm aufgeschnitten,

und sieh! wer kommt herausgeschritten?


Ei! unser Hänschen, und galant

führt er Zephiren an der Hand.


Hänschen Däumeling

Das wurde mal ein hübsches Paar!

Sie lebten fröhlich manches Jahr.

Und Hänschen ward ein Damenschneider

und machte wunderschöne Kleider;

und was er machte, saß.

Er stieg auf eine Leiter

und nahm genau das Maß.
[391]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 375-392.
Lizenz:
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