33. An Otto Bassermann

[28] 33. An Otto Bassermann


Wiedensahl d 12/12 63.


Liebster Freund!

Die stürmische Jahreszeit ist nun mit aller Gewalt über uns hereingebrochen; wie eine Kuppel von Milchglas hängen die rieselnden Wolken umher; das Waßer sammelt sich in großen Lacken; die braunen, dürren Weinranken tappen an mein Fenster; drüber hinaus seh ich das graue Schattenbild der Mühle mit dem drehenden Windkreuz; da läßt jeder gern die Beine hinter dem warmen Ofen stehen. – Ein andrer Sturm scheint da draußen im Lande auch die Gemüther der Menschen ergriffen zu haben; aber nur von fern hören wir sein Brausen. Bei dir selber, lieber Freund, dünkt mich, weht es auch scharf um's Eck und will Dir einen Riß geben. Davon nachher! – –

Zuerst habe Dank für deinen Brief, der mir gestern zu Handen kam. Die bedenklich=ernste Miene, mit der du über den »Vetter« Bericht erstattest, konnt ich nicht ohne ein leichtes Lächeln mit ansehen; jedoch war sie mir erklärlich, wenn ich an so mancherlei zurückdenke. – Nun! Wenn also die kleine Poße (wie ich sie meinerseits immer nannte) so ziemlich mißglückt scheint, so soll mich das nicht sehr verdrießen. Sie hat ihren Zweck, während meiner damaligen Reconvaleszenz eine aufgetauchte Erinnerung festzuhalten, für mich erfüllt. Daß der sogenannte »Dialog« ärmlich und corrumpirt ausgefallen, ist meine Schuld, da ich's vorhersah. Du weißt, wie das geht. Der Componist theilt sich seine »Nummern« ein; manches, was musikalisch gedacht war, läßt er stehen, oder umgekehrt; kurz, man muß das parlando jedenfalls am Ende hineinflicken, so gut es geht; aber auch das habe ich versäumt; ich habe das Ding nicht wieder in die Hand nehmen mögen, weil es mir zuwider war. Jetzt haben sie denn auch noch in ihrer Art damit geschaltet. – Mich, wie du sagst, gerade hier zur »Höhe der Selbstständigkeit« zu erheben, war nie meine Absicht, wenn ich's auch gekonnt hätte. Das wäre so gut wie ein hölzernes Eisen. Welcher Sänger giebt sich denn die Mühe, so etwas nur einigermaßen zu sprechen? Da heißt's: entweder Drama oder Operntext. – Damit hast du auch meine Meinung über deine vorgeschlagene Umarbeitung; ganz abgesehn davon, daß der Stoff viel zu unbedeutend und veraltet ist, um die Mühe zu lohnen. – Man findet zu viel Handlung im Stück: Das kann mich nur freuen; denn wenn's gefällt, so ist darin, abgesehn von der Musik, der Grund zu suchen. – Die Metamorphose des Beil's in den Knotenstock ist abgeschmackt. – Da, wie du sagst, das kleine Stück gefällt, so denk ich hab ich für den Musiker ja auch wohl so viel gethan, daß er mir keine zu große Vorwürfe machen[28] kann. Meinen Namen hab ich außerdem dabei, so viel möglich, verschwiegen; und somit leg ich denn die Schnurre getrost zu den Todten und wasche meine Hände in Unschuld, so viel das überhaupt möglich ist, wenn man einmal in die Sünde eines Operntextes verfallen ist. –

Mit meinem Briefe an Krempl' wollt ich ihm nur eine Ungebührlichkeit unter die Nase reiben, ohne ihn jedoch zu kränken; es ist wohl auch ein wenig Verdruß über mich selbst mit untergelaufen; sag ihm das, wenn er sich wirklich beleidigt fühlt.

Aus den zwei Geschichten für Richter sind jetzt vier geworden, im ganzen mehr als 60 Zeichnungen. Es wird konsequent daran gearbeitet, aber bei den kurzen Tagen geht's doch langsam. Ich habe mich, aus leicht begreiflichen Gründen, nun entschloßen, alles hier fertig zu machen. Damit wird sich denn meine Rückkehr noch verzögern.

Was die ausgequetschte Citrone anbelangt, so will ich dir nur vorläufig bemerken, daß in den Abenden bereits etwas Neues mit circa 100 Zeichnungen für den Holzschnitt fertig skizzirt ist und daß der Plan zu einem Bildermärchencyklus für nächsten Sommer bereit liegt. – Dies zur Beruhigung! –

Und nun zu einer Sache, die wohl ernst genug ist, um auch einige ernstliche Worte darüber an den Mann zu bringen. – Du sprichst von deinem möglichen Verhältniße zur »Initiative des Volkes«. – In diese Wogen sich zu stürzen, dürfte wohl nur demjenigen zuträglich sein, der zugleich Amt und Beruf hat, sie zu beherrschen. – Wer's thut, um im Trüben zu fischen, der mag seinen Lohn immerhin nehmen; wer's thut, um die Konfusion seines Innern durch Bewußtlosigkeit zu ertränken, der kommt wohl nur zum Ziel, wenn er in den Wellen zugleich seinen Tod findet; wen aber die Begeisterung für ein Ideal hinaustreibt, der wird, wenn die Gewäßer sich verlaufen, indem er einen schönen Zug seines Herzens vereitelt sieht, für einen Fehler seines Verstandes zu büßen haben. – Nenne mich immerhin engherzig: aber Egoismus, Unklarheit, Wankelmuth, Undank sind die ewig unvermeidlichen Atribute jener großen Maße, die das Volk genannt wird. – Die leiseste Berührung einer Thatsache, die mit ernster Mahnung an dein Leben trat, wird dich von dieser Wahrheit überzeugen. – Das Glück des Individuums, so weit es überhaupt möglich, liegt im eignen Kopfe, in der harmonischen Ausbildung seines Wesens; sodann mag es etwas davon auf die nächste Umgebung übertragen; die Volksbeglückung en gros wird aber eine Arbeit der Danaiden bleiben bis an's Ende der Welt. – Es ist mir ordentlich ekelhaft, wenn ich mir denke, du könntest hineingemengt sein in jene zusammengewürfelten Haufen, die man Freischaaren nennt; verachtet vom ordentlichen Soldaten, richten sie selten etwas aus, kehren am Ende der Dinge verlumpt und unlustig zu ihren Geschäften zurück und warten vergebens auf den Dank der Leute, die zuerst hurrah! geschrieen. – Oder willst du in's reguläre Militär eintreten, um zuletzt, wenn's ausgegangen, wie's Hornberger Schießen, als Leutnant höchst verlegen am Platze zu bleiben? – Ich mag's nicht denken! – Nur der regelmäßige Verlauf kann zum Ziele führen, und wenn dann die Reihe auch an dich kommt, so will ich sagen: es ist Zeit!

Ist Kösting wieder da? und wie hat er sich mit Hanfstängl abgefunden? Er hat mir seine »zwei Könige« geschickt. –

Wie geht es dem alten Schneider? –

Ich bitte dich, mir jedenfalls noch vor Weihnachten einmal zu schreiben. – An Dernen und die übrigen Freunde meine besten Grüße.

Dein getr. Freund

W. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 28-29.
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