793. An Adolf Nöldeke

[322] 793. An Adolf Nöldeke


Wiedens. 5. Jun. [1890]


Sei bedankt, lieber Adolf, für deinen Brief aus der Spektakelhaide von Lockstedt. Ich hab draus ersehn, daß auch dort von früh bis spät für eure Unterhaltung ausreichend gesorgt war. Das scheint nun mal neuerdings absichtlich und allgemein zu sein. Du hast vielleicht gelesen, was letzthin der Herr Reichskanzler im Reichstage sagte: Der Soldat hätte jetzt mehr zu thun als früher; das könne man schon in Berlin sehen; unter der Woche ginge kein Soldat mehr auf der Straße spatzieren, am Sonntag nur selten und dann auch meist ohne weibliche Begleitung, weil ihm die Zeit fehle, sich 'ne Braut anzuschaffen. – Der Marsch nun, denk ich, wird nicht das schlimmste sein, und ich hoffe, ihr habt gutes Wetter dazu. Vielleicht schreibst du währenddeßen mal 'ne Karte an Mutter. Sie scheint bis jetzt entschieden nicht nach Braunlage gehn zu wollen. Frau Mühlm., wie H. schreibt, denkt doch nun ernstlich an die Abreise. Eine Kinderfrau haben sie nicht finden können. S. ist noch nervös. Nun wollte Mutter hin. Ich habe mich aber dagegen gesträubt aus Gründen, die du dir selbst aus der Situation abstrahiren kannst. – Otto ist Montag Morgens abgerutscht, mit Wilhelm Sunder, der seinen Onkel bei Hildesheim besucht, in Stadthagen zusammen getroffen und hat von Göttingen geschrieben, daß er gut angekommen. – Von Münster erfahren wir, daß Onkel Lüethorst bei Schäfers krank zu Bett liegt, daß es ihm aber wieder etwas beßer geht. – Hier geht's im gewohnten Geleise. Das Korn wogt prächtig im Feld; im Garten sieht's weniger gut aus. Es ist ein Jubeljahr des Ungeziefers. Dazu kamen ein paar kalte Nächte. Bohnen, Erbsen, Gurken sind etwas kümmerlich; weißer Kohl gut. Das bestgerathene Gemüse sind die Stiefmütterchen, selbstgesät und von Otto im Herbst ausgepflanzt. Die Rosen wurden, trotz regelmäßigen Lausens, von Raupen recht zerknabbert. Jetzt treten sie in Blüthe. –[322] Gestern ist auch per Sandwagen Otto sein Velociped, welches er noch selbst, ich glaube, mit Wehmuth, verpackte, nach Barnstorf abgereist. Wilhelm Sunder hat's gekauft. »Viel Vergnügen mit dem Wurm« sagte der Bauer zur Kleopatra.

Leb wohl, lieber Adolf! Halt den Nacken steif. Bis zum 1ten Oct. sind's nicht mehr ganz vier Monate.

Die herzlichsten Grüße von Mutter, Frl. K. und Frau N. und

deinem getr. Onkel

W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 322-323.
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