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[362] 878. An Nanda Keßler
Wiedens. 11. Aug. 92.
Meine liebe Nanda!
Nicht Schreiben hat mich am Schreiben behindert. Wie sollt es auch? Bin ich doch kein Geschäftsmensch, der den ganzen Tag wurzelt und purzelt, um Geld zu verdienen. Bin ich doch (relativ!) viel zu bescheiden, als daß ich meinte, die Welt könne ohne meine unausgesetzte Thätigkeit und Betriebsamkeit nicht fertig werden. Und selbst wenn mir mal Malen, Zeichnen, Schreiben ein wirklich höchsteigenes Pläsir macht, hab ich immer noch hübsch viel Zeit übrig, an meine Freunde zu denken.
Aber dürft ich wohl kommen mit den ethischen Problemen, die mich dringend am Frackschoß halten? Es wäre störend und langweilig. Oder möcht ich was davon sagen, daß mir die lettres provinciales, worin schon über zweihundert Jahre ein kluger Franzos sein gelenkiges Sprachroß tummelt, allabendlich das größte Ergötzen bereiten? Es würde Mitleid erwecken. Oder sollt ich von der günstigen Erndte berichten, die so Vielen an's Herz geht, welche letzther nichts Rechtes zu beißen hatten? Auch das paßt schwerlich. Und das ideale Telephondrähtchen? Trotz redlichen Bemühns von beiderlei Seiten hat sich die Anlage nicht ergiebig rentiren wollen. Der Onkel, so scheint's, hat eben den Drang, sich nach innen zu sammeln, während sich's Tantchen nach außen zerstreuen möchte; was ja auch beides natürlich ist. Daher, weil sie gewißermaßen weit von einander wohnen, kann eine kleine Verkehrsstockung leicht einmal vorkommen. Indeß gute Freunde und »Verwandte«, die gern von sich hören und hören laßen, bleiben's doch derweil und fort und fort.
Somit, liebe Nanda, sei freundlich bedankt für das zierliche Sträußlein von Inselblumen, mir wohlbekannt ihrer Art nach von Borkum her. Und laß dich nur recht an= und überplatschen von den lustigen Meereswellen, und bleib frisch und gesund, und sei herzlich gegrüßt sammt den Kindern
vom
Onkel
Wilhelm.