971. An Nanda Keßler

[35] 971. An Nanda Keßler


Wiedensahl 9. Juli 94.


Liebe Nanda!

Ein paar Zeilen von mir, die dich doch begrüßen möchten zu deiner Heimkehr in die Wiesenau, in's hübsche Haus, woneben der herrliche Garten liegt, treffen dich, hoff ich, in anderer Laune, als mir aus deinem Briefe etwas graufarbig entgegen dämmert. Auf und ab gehen die Wellen; bald ist das Schifflein unten, bald obenauf; so geht's Dir, so geht's Allen. Einen Hauptwunsch und Landungsplatz, den er selten erreicht, oder wenn auch, doch selten frischdauernd zu schätzen weiß, wird wohl fast Jeder im Auge haben. Dann, kaum ist er am Ziel, späht er schon wieder hinaus über die unruhige Waßerfläche nach neuen, fernliegenden Inseln, wo das begehrliche Herz, getäuscht durch die Fata morgana, erst den wahren Sitz seines Glückes vermuthet. Ja, wer nicht immer weit weg guckte, wer die kleinen Fischlein, die ihm jeden Augenblick vor der Nase schwimmen, wer das geringste Gute, was ihm paßirt, als unverdient, mit Dank genöße, der kriegte so leicht keine Gräthen in den Hals und dürfte wohl lachen, sagen wir, zehnmal im Tage. Jedoch, wer kann's? Ich nicht, Du nicht, die Meisten nicht. Das Spiel zu durchschaun, hilft immerhin etwas, wenn auch nicht viel. Dazu gehört mehr.

Was fehlte denn dem Hugo? Wie ging es zu? Warum sind sie alle weggesaust in den Schwarzwald und haben Eine vergeßen? Ich frage so hin, weiß aber wohl und finde es auch ganz in der Ordnung, daß Kinder nicht alles zu wißen brauchen.

Frischauf! liebe Nanda. Was sag ich! Das Barometerchen, wie ich's kenne, steht gewiß so wie so schon wieder hoch, indem ich dies schreibe.

Herzlichen Gruß vom

Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 35.
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